der Folge von Fig. 76. der Grundbaß bey Fig. 78. ist, wenn auch die Septime in die Octave resolviren muß, so gewiß ist es, daß der Grundbaß bey Fig. 76. grundfalsch ist.
§. 310.
Bevor wir weiter gehen, wollen wir eine gewisse Mei- nung des Auctors der Grundsätze kürzlich erörtern. Sie for- miret die Seite 104 gemachte Nacherinnerung, und lautet folgender maßen:
"daß man wohl auf die Fortschreitung eines jeden Ac- "cords Acht haben müsse, indem derselbe Accord durch "die Fortschreitung oft ein ganz anderer Accord ist, als er "zu seyn scheinet."
Alle nur mögliche Fortschreitungen eines Accords können auf drey gebracht werden, in welchen alle übrige enthalten sind. Diese sind die Quarten-Terzen- und Secundenfortschreitungen, auf- und absteigend, und es sind in selbigen die Quinten-Sex- ten- und Septimenfortschreitungen ab- und aufsteigend enthal- ten. Unter diesen Fortschreitungen ist die mit Quarten und Quinten die vollkommenste; die Terzenfortschreitung ist weni- ger vollkommen, und die Secundenfortschreitung ist die un- vollkommenste, wovon die Ursach in dem mehrern oder weni- gern Zusammenhang des folgenden Accords mit dem vorherge- henden liegt, und worüber man das IVte Capitel meiner An- merkungen über des Hrn. Sorge Generalbaß nachlesen kann. Ungeachtet aber die eine Fortschreitung vollkommner als die an- dere, so wie unter den Jntervallen das eine vollkommner als das andere ist, so sind die minder vollkommnen nichts desto weniger alle gut, und es würde alle Mannigfaltigkeit weg- fallen, wenn man keine andere als die vollkommenste Fortschreitung zum Grunde einer Harmonie legen wollte. Es würde damit beschaffen seyn, als wenn nichts anders als die vollkommensten Consonanzen gebrauchet würden, da wenn dieses geschehen sollte, man nicht einmal einen harmonischen Dreyklang haben würde, indem die Terzen zu den unvoll- kommnen Consonanzen gehören, geschweige daß man Septi- menaccorde haben würde. Das Ungereimte eines solchen Grund- satzes ist handgreiflich. Wenn nun nicht lauter vollkommne Fortschreitungen von dem Componisten gebrauchet werden kön-
nen,
Anhang ꝛc. Sechſter Abſchnitt. Beweis,
der Folge von Fig. 76. der Grundbaß bey Fig. 78. iſt, wenn auch die Septime in die Octave reſolviren muß, ſo gewiß iſt es, daß der Grundbaß bey Fig. 76. grundfalſch iſt.
§. 310.
Bevor wir weiter gehen, wollen wir eine gewiſſe Mei- nung des Auctors der Grundſaͤtze kuͤrzlich eroͤrtern. Sie for- miret die Seite 104 gemachte Nacherinnerung, und lautet folgender maßen:
„daß man wohl auf die Fortſchreitung eines jeden Ac- „cords Acht haben muͤſſe, indem derſelbe Accord durch „die Fortſchreitung oft ein ganz anderer Accord iſt, als er „zu ſeyn ſcheinet.“
Alle nur moͤgliche Fortſchreitungen eines Accords koͤnnen auf drey gebracht werden, in welchen alle uͤbrige enthalten ſind. Dieſe ſind die Quarten-Terzen- und Secundenfortſchreitungen, auf- und abſteigend, und es ſind in ſelbigen die Quinten-Sex- ten- und Septimenfortſchreitungen ab- und aufſteigend enthal- ten. Unter dieſen Fortſchreitungen iſt die mit Quarten und Quinten die vollkommenſte; die Terzenfortſchreitung iſt weni- ger vollkommen, und die Secundenfortſchreitung iſt die un- vollkommenſte, wovon die Urſach in dem mehrern oder weni- gern Zuſammenhang des folgenden Accords mit dem vorherge- henden liegt, und woruͤber man das IVte Capitel meiner An- merkungen uͤber des Hrn. Sorge Generalbaß nachleſen kann. Ungeachtet aber die eine Fortſchreitung vollkommner als die an- dere, ſo wie unter den Jntervallen das eine vollkommner als das andere iſt, ſo ſind die minder vollkommnen nichts deſto weniger alle gut, und es wuͤrde alle Mannigfaltigkeit weg- fallen, wenn man keine andere als die vollkommenſte Fortſchreitung zum Grunde einer Harmonie legen wollte. Es wuͤrde damit beſchaffen ſeyn, als wenn nichts anders als die vollkommenſten Conſonanzen gebrauchet wuͤrden, da wenn dieſes geſchehen ſollte, man nicht einmal einen harmoniſchen Dreyklang haben wuͤrde, indem die Terzen zu den unvoll- kommnen Conſonanzen gehoͤren, geſchweige daß man Septi- menaccorde haben wuͤrde. Das Ungereimte eines ſolchen Grund- ſatzes iſt handgreiflich. Wenn nun nicht lauter vollkommne Fortſchreitungen von dem Componiſten gebrauchet werden koͤn-
nen,
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Anhang ꝛc. Sechſter Abſchnitt. Beweis,
der Folge von Fig. 76. der Grundbaß bey Fig. 78. iſt, wenn
auch die Septime in die Octave reſolviren muß, ſo gewiß iſt
es, daß der Grundbaß bey Fig. 76. grundfalſch iſt.
§. 310.
Bevor wir weiter gehen, wollen wir eine gewiſſe Mei-
nung des Auctors der Grundſaͤtze kuͤrzlich eroͤrtern. Sie for-
miret die Seite 104 gemachte Nacherinnerung, und lautet
folgender maßen:
„daß man wohl auf die Fortſchreitung eines jeden Ac-
„cords Acht haben muͤſſe, indem derſelbe Accord durch
„die Fortſchreitung oft ein ganz anderer Accord iſt, als er
„zu ſeyn ſcheinet.“
Alle nur moͤgliche Fortſchreitungen eines Accords koͤnnen auf
drey gebracht werden, in welchen alle uͤbrige enthalten ſind.
Dieſe ſind die Quarten-Terzen- und Secundenfortſchreitungen,
auf- und abſteigend, und es ſind in ſelbigen die Quinten-Sex-
ten- und Septimenfortſchreitungen ab- und aufſteigend enthal-
ten. Unter dieſen Fortſchreitungen iſt die mit Quarten und
Quinten die vollkommenſte; die Terzenfortſchreitung iſt weni-
ger vollkommen, und die Secundenfortſchreitung iſt die un-
vollkommenſte, wovon die Urſach in dem mehrern oder weni-
gern Zuſammenhang des folgenden Accords mit dem vorherge-
henden liegt, und woruͤber man das IVte Capitel meiner An-
merkungen uͤber des Hrn. Sorge Generalbaß nachleſen kann.
Ungeachtet aber die eine Fortſchreitung vollkommner als die an-
dere, ſo wie unter den Jntervallen das eine vollkommner als
das andere iſt, ſo ſind die minder vollkommnen nichts deſto
weniger alle gut, und es wuͤrde alle Mannigfaltigkeit weg-
fallen, wenn man keine andere als die vollkommenſte
Fortſchreitung zum Grunde einer Harmonie legen wollte. Es
wuͤrde damit beſchaffen ſeyn, als wenn nichts anders als die
vollkommenſten Conſonanzen gebrauchet wuͤrden, da wenn
dieſes geſchehen ſollte, man nicht einmal einen harmoniſchen
Dreyklang haben wuͤrde, indem die Terzen zu den unvoll-
kommnen Conſonanzen gehoͤren, geſchweige daß man Septi-
menaccorde haben wuͤrde. Das Ungereimte eines ſolchen Grund-
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Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marpurg_versuch_1776/304>, abgerufen am 15.06.2024.
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