Judentum bestand, oder sollte der Absicht des Stifters nach, bestehen, in
1) Religionslehren und Sätzen, oder ewigen Wahrheiten von Gott, und seiner Regierung und Vorsehung, ohne welche der Mensch nicht aufgeklärt und glücklich seyn kann. Diese sind nicht dem Glauben der Nation, unter Androhung ewiger oder zeitlicher Strafen, aufgedrungen; sondern der Natur und Evidenz ewiger Wahr- heit gemäß, zur vernünftigen Erkenntnis em- pfohlen worden. Sie durften nicht durch un- mittelbare Offenbarung eingegeben, durch Wort und Schrift, die nur itzt, nur hier verständlich sind, bekannt gemacht werden. Das allerhöch- ste Wesen hat sie allen vernünftigen Geschöpfen durch Sache und Begriff geoffenbaret, mit ei- ner Schrift in die Seele geschrieben, die zu al- len Zeiten und an allen Orten leserlich und ver- ständlich ist. Daher singt der öfters angeführte Sänger:
Die Himmel erzählen die Majestät Gottes, Und seiner Hände Werk verkündet die Veste. Ein Tag strömt diese Lehr dem andern zu; Und Nacht giebt Unterricht der Nacht.
Keine
Judentum beſtand, oder ſollte der Abſicht des Stifters nach, beſtehen, in
1) Religionslehren und Sätzen, oder ewigen Wahrheiten von Gott, und ſeiner Regierung und Vorſehung, ohne welche der Menſch nicht aufgeklaͤrt und gluͤcklich ſeyn kann. Dieſe ſind nicht dem Glauben der Nation, unter Androhung ewiger oder zeitlicher Strafen, aufgedrungen; ſondern der Natur und Evidenz ewiger Wahr- heit gemaͤß, zur vernuͤnftigen Erkenntnis em- pfohlen worden. Sie durften nicht durch un- mittelbare Offenbarung eingegeben, durch Wort und Schrift, die nur itzt, nur hier verſtaͤndlich ſind, bekannt gemacht werden. Das allerhoͤch- ſte Weſen hat ſie allen vernuͤnftigen Geſchoͤpfen durch Sache und Begriff geoffenbaret, mit ei- ner Schrift in die Seele geſchrieben, die zu al- len Zeiten und an allen Orten leſerlich und ver- ſtaͤndlich iſt. Daher ſingt der oͤfters angefuͤhrte Saͤnger:
Die Himmel erzaͤhlen die Majeſtaͤt Gottes, Und ſeiner Haͤnde Werk verkuͤndet die Veſte. Ein Tag ſtroͤmt dieſe Lehr dem andern zu; Und Nacht giebt Unterricht der Nacht.
Keine
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Judentum beſtand, oder ſollte der Abſicht des
Stifters nach, beſtehen, in
1) Religionslehren und Sätzen, oder ewigen
Wahrheiten von Gott, und ſeiner Regierung
und Vorſehung, ohne welche der Menſch nicht
aufgeklaͤrt und gluͤcklich ſeyn kann. Dieſe ſind
nicht dem Glauben der Nation, unter Androhung
ewiger oder zeitlicher Strafen, aufgedrungen;
ſondern der Natur und Evidenz ewiger Wahr-
heit gemaͤß, zur vernuͤnftigen Erkenntnis em-
pfohlen worden. Sie durften nicht durch un-
mittelbare Offenbarung eingegeben, durch Wort
und Schrift, die nur itzt, nur hier verſtaͤndlich
ſind, bekannt gemacht werden. Das allerhoͤch-
ſte Weſen hat ſie allen vernuͤnftigen Geſchoͤpfen
durch Sache und Begriff geoffenbaret, mit ei-
ner Schrift in die Seele geſchrieben, die zu al-
len Zeiten und an allen Orten leſerlich und ver-
ſtaͤndlich iſt. Daher ſingt der oͤfters angefuͤhrte
Saͤnger:
Die Himmel erzaͤhlen die Majeſtaͤt Gottes,
Und ſeiner Haͤnde Werk verkuͤndet die Veſte.
Ein Tag ſtroͤmt dieſe Lehr dem andern zu;
Und Nacht giebt Unterricht der Nacht.
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Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/214>, abgerufen am 17.06.2024.
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