Richtmaß von Wahrheit und Unwahrheit ent- schieden werden. Gutes und Böses wirkt auf sein Billigungs- und Mißbilligungsvermögen. Furcht und Hoffnung lenken seine Triebe. Belohnung und Strafe richten seinen Willen spornen seine Thatkraft, ermuntern, locken, schrecken ab.
Aber wenn Grundsätze glückselig machen sollen; so müssen sie weder eingeschrenckt, noch eingeschmeichelt, so muß blos das Urtheil der Verstandeskräfte für gültig angenommen wer- den. Ideen vom Guten und Bösen mit ein- mischen, heißt die Sachen von einem unbe- fugten Richter entscheiden lassen.
Weder Kirche noch Staat haben also ein Recht die Grundsätze und Gesinnungen der Menschen irgend einem Zwange zu unterwer- fen. Weder Kirche noch Staat sind berechti- get, mit Grundsätzen und Gesinnungen Vorzü- ge, Rechte und Ansprüche auf Personen und Dinge zu verbinden, und den Einfluß, den die Wahrheitskraft auf das Erkenntnißvermö-
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Richtmaß von Wahrheit und Unwahrheit ent- ſchieden werden. Gutes und Boͤſes wirkt auf ſein Billigungs- und Mißbilligungsvermoͤgen. Furcht und Hoffnung lenken ſeine Triebe. Belohnung und Strafe richten ſeinen Willen ſpornen ſeine Thatkraft, ermuntern, locken, ſchrecken ab.
Aber wenn Grundſaͤtze gluͤckſelig machen ſollen; ſo muͤſſen ſie weder eingeſchrenckt, noch eingeſchmeichelt, ſo muß blos das Urtheil der Verſtandeskraͤfte fuͤr guͤltig angenommen wer- den. Ideen vom Guten und Boͤſen mit ein- miſchen, heißt die Sachen von einem unbe- fugten Richter entſcheiden laſſen.
Weder Kirche noch Staat haben alſo ein Recht die Grundſaͤtze und Geſinnungen der Menſchen irgend einem Zwange zu unterwer- fen. Weder Kirche noch Staat ſind berechti- get, mit Grundſaͤtzen und Geſinnungen Vorzuͤ- ge, Rechte und Anſpruͤche auf Perſonen und Dinge zu verbinden, und den Einfluß, den die Wahrheitskraft auf das Erkenntnißvermoͤ-
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Richtmaß von Wahrheit und Unwahrheit ent-
ſchieden werden. Gutes und Boͤſes wirkt auf
ſein Billigungs- und Mißbilligungsvermoͤgen.
Furcht und Hoffnung lenken ſeine Triebe.
Belohnung und Strafe richten ſeinen Willen
ſpornen ſeine Thatkraft, ermuntern, locken,
ſchrecken ab.
Aber wenn Grundſaͤtze gluͤckſelig machen
ſollen; ſo muͤſſen ſie weder eingeſchrenckt, noch
eingeſchmeichelt, ſo muß blos das Urtheil der
Verſtandeskraͤfte fuͤr guͤltig angenommen wer-
den. Ideen vom Guten und Boͤſen mit ein-
miſchen, heißt die Sachen von einem unbe-
fugten Richter entſcheiden laſſen.
Weder Kirche noch Staat haben alſo ein
Recht die Grundſaͤtze und Geſinnungen der
Menſchen irgend einem Zwange zu unterwer-
fen. Weder Kirche noch Staat ſind berechti-
get, mit Grundſaͤtzen und Geſinnungen Vorzuͤ-
ge, Rechte und Anſpruͤche auf Perſonen und
Dinge zu verbinden, und den Einfluß, den
die Wahrheitskraft auf das Erkenntnißvermoͤ-
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Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/91>, abgerufen am 18.06.2024.
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