Darum hat ein Leben, das sich den Büchern hin¬ gibt, allerdings etwas Todtes, Mumienhaftes, Trog¬ lodytenmäßiges. Wehe dem Geiste, der sich an ein Buch verkauft, der auf ein Wort schwört; die Quelle des Lebens in ihm selber ist versiegt. In diesem Tode, mitten im Leben, aber liegt eine dämonische Gewalt verborgen, es ist das Gorgonenhaupt, das uns versteinert. Ihre Wirkungen sind unermeßlich in der Weltgeschichte, oft hat ein Wort von Mar¬ mor Jahrhunderte versteinert, und spät erst kam ein neuer Prometheus und beseelte die erstarrten Gene¬ rationen wieder mit lebendigem Feuer.
Im Leben aber, wenn es sich selbst begreift, liegt der Zauber, der des Wortes Meister wird. Wenn es sich nicht zu bewachen weiß, fällt es unter die Gewalt des Wortes; wenn es auf sich selbst ver¬ traut, hat es auch den Talisman gewonnen, mit dem es das dämonische Wort bewältigt. Was nun für jeden Menschen gilt, sobald er ein Buch in die Hand nimmt, soll für uns gelten, indem wir die neue Literatur in ihrem ganzen Umfang betrachten wollen. Wir werden vom Leben ausgehen, um be¬ ständig darauf zurückzukommen; an diesem Ariaden¬ faden hoffen wir in dem Labyrinth der Literatur uns zurecht zu finden. Indem wir uns im frischen Ge¬ fühl des Lebens über die todte Welt der Literatur stellen, wird sie uns alle Geheimnisse aufschließen müssen, ohne uns in den Zauberschlaf zu wiegen. Nur der Lebendige kann wie Dante die Schattenwelt
Darum hat ein Leben, das ſich den Buͤchern hin¬ gibt, allerdings etwas Todtes, Mumienhaftes, Trog¬ lodytenmaͤßiges. Wehe dem Geiſte, der ſich an ein Buch verkauft, der auf ein Wort ſchwoͤrt; die Quelle des Lebens in ihm ſelber iſt verſiegt. In dieſem Tode, mitten im Leben, aber liegt eine daͤmoniſche Gewalt verborgen, es iſt das Gorgonenhaupt, das uns verſteinert. Ihre Wirkungen ſind unermeßlich in der Weltgeſchichte, oft hat ein Wort von Mar¬ mor Jahrhunderte verſteinert, und ſpaͤt erſt kam ein neuer Prometheus und beſeelte die erſtarrten Gene¬ rationen wieder mit lebendigem Feuer.
Im Leben aber, wenn es ſich ſelbſt begreift, liegt der Zauber, der des Wortes Meiſter wird. Wenn es ſich nicht zu bewachen weiß, faͤllt es unter die Gewalt des Wortes; wenn es auf ſich ſelbſt ver¬ traut, hat es auch den Talisman gewonnen, mit dem es das daͤmoniſche Wort bewaͤltigt. Was nun fuͤr jeden Menſchen gilt, ſobald er ein Buch in die Hand nimmt, ſoll fuͤr uns gelten, indem wir die neue Literatur in ihrem ganzen Umfang betrachten wollen. Wir werden vom Leben ausgehen, um be¬ ſtaͤndig darauf zuruͤckzukommen; an dieſem Ariaden¬ faden hoffen wir in dem Labyrinth der Literatur uns zurecht zu finden. Indem wir uns im friſchen Ge¬ fuͤhl des Lebens uͤber die todte Welt der Literatur ſtellen, wird ſie uns alle Geheimniſſe aufſchließen muͤſſen, ohne uns in den Zauberſchlaf zu wiegen. Nur der Lebendige kann wie Dante die Schattenwelt
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Darum hat ein Leben, das ſich den Buͤchern hin¬
gibt, allerdings etwas Todtes, Mumienhaftes, Trog¬
lodytenmaͤßiges. Wehe dem Geiſte, der ſich an ein
Buch verkauft, der auf ein Wort ſchwoͤrt; die Quelle
des Lebens in ihm ſelber iſt verſiegt. In dieſem
Tode, mitten im Leben, aber liegt eine daͤmoniſche
Gewalt verborgen, es iſt das Gorgonenhaupt, das
uns verſteinert. Ihre Wirkungen ſind unermeßlich
in der Weltgeſchichte, oft hat ein Wort von Mar¬
mor Jahrhunderte verſteinert, und ſpaͤt erſt kam ein
neuer Prometheus und beſeelte die erſtarrten Gene¬
rationen wieder mit lebendigem Feuer.
Im Leben aber, wenn es ſich ſelbſt begreift, liegt
der Zauber, der des Wortes Meiſter wird. Wenn
es ſich nicht zu bewachen weiß, faͤllt es unter die
Gewalt des Wortes; wenn es auf ſich ſelbſt ver¬
traut, hat es auch den Talisman gewonnen, mit
dem es das daͤmoniſche Wort bewaͤltigt. Was nun
fuͤr jeden Menſchen gilt, ſobald er ein Buch in die
Hand nimmt, ſoll fuͤr uns gelten, indem wir die
neue Literatur in ihrem ganzen Umfang betrachten
wollen. Wir werden vom Leben ausgehen, um be¬
ſtaͤndig darauf zuruͤckzukommen; an dieſem Ariaden¬
faden hoffen wir in dem Labyrinth der Literatur uns
zurecht zu finden. Indem wir uns im friſchen Ge¬
fuͤhl des Lebens uͤber die todte Welt der Literatur
ſtellen, wird ſie uns alle Geheimniſſe aufſchließen
muͤſſen, ohne uns in den Zauberſchlaf zu wiegen.
Nur der Lebendige kann wie Dante die Schattenwelt
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/21>, abgerufen am 06.05.2024.
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