wegen gar nicht existiren. Diese führen dann die unangenehme Betrachtung sogleich auch auf die furcht¬ samen, halben und albernen Urtheile, welche die Angst vor der Censur oder das Vertrauen, daß sie keine Concurrenz besserer Urtheile zulassen werde, so häufig hervorbringt. Doch davon ist schon oben die Rede gewesen. Die Censurübel sind nichts neues, sie wechseln nur den Ort, auf den sie fallen, und scheinen zu den Kinderkrankheiten der Völker zu ge¬ hören. Sie sind ein Aussatz, der hie und da die Haut wegnimmt, das Kind stirbt aber nicht davon.
Bevor wir die Literatur der politischen Praxis betrachten, wollen wir einen Blick auf die Theorien werfen. Alle Praxis geht von den Theorien aus. Es ist jetzt nicht mehr die Zeit, da die Völker aus einem gewissen sinnlichen Übermuth, oder aus zufälli¬ gen örtlichen Veranlassungen in einen vorübergehen¬ den Hader gerathen. Sie kämpfen vielmehr um Ideen und eben darum ist ihr Kampf ein allgemeiner, im Herzen eines jeden Volkes selbst, und nur in sofern eines Volkes wider das andre, als bei dem einen diese, bei dem andern jene Idee das Übergewicht be¬ hauptet. Der Kampf ist durchaus philosophisch ge¬ worden, so wie er früher religiös gewesen. Es ist nicht ein Vaterland, nicht ein großer Mann, wor¬ über man streitet, sondern es sind Überzeugungen, denen die Völker wie die Helden sich unterordnen müssen. Völker haben mit Ideen gesiegt, aber sobald sie ihren Namen an die Stelle der Idee zu setzen
wegen gar nicht exiſtiren. Dieſe fuͤhren dann die unangenehme Betrachtung ſogleich auch auf die furcht¬ ſamen, halben und albernen Urtheile, welche die Angſt vor der Cenſur oder das Vertrauen, daß ſie keine Concurrenz beſſerer Urtheile zulaſſen werde, ſo haͤufig hervorbringt. Doch davon iſt ſchon oben die Rede geweſen. Die Cenſuruͤbel ſind nichts neues, ſie wechſeln nur den Ort, auf den ſie fallen, und ſcheinen zu den Kinderkrankheiten der Voͤlker zu ge¬ hoͤren. Sie ſind ein Ausſatz, der hie und da die Haut wegnimmt, das Kind ſtirbt aber nicht davon.
Bevor wir die Literatur der politiſchen Praxis betrachten, wollen wir einen Blick auf die Theorien werfen. Alle Praxis geht von den Theorien aus. Es iſt jetzt nicht mehr die Zeit, da die Voͤlker aus einem gewiſſen ſinnlichen Übermuth, oder aus zufaͤlli¬ gen oͤrtlichen Veranlaſſungen in einen voruͤbergehen¬ den Hader gerathen. Sie kaͤmpfen vielmehr um Ideen und eben darum iſt ihr Kampf ein allgemeiner, im Herzen eines jeden Volkes ſelbſt, und nur in ſofern eines Volkes wider das andre, als bei dem einen dieſe, bei dem andern jene Idee das Übergewicht be¬ hauptet. Der Kampf iſt durchaus philoſophiſch ge¬ worden, ſo wie er fruͤher religioͤs geweſen. Es iſt nicht ein Vaterland, nicht ein großer Mann, wor¬ uͤber man ſtreitet, ſondern es ſind Überzeugungen, denen die Voͤlker wie die Helden ſich unterordnen muͤſſen. Voͤlker haben mit Ideen geſiegt, aber ſobald ſie ihren Namen an die Stelle der Idee zu ſetzen
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wegen gar nicht exiſtiren. Dieſe fuͤhren dann die
unangenehme Betrachtung ſogleich auch auf die furcht¬
ſamen, halben und albernen Urtheile, welche die
Angſt vor der Cenſur oder das Vertrauen, daß ſie
keine Concurrenz beſſerer Urtheile zulaſſen werde, ſo
haͤufig hervorbringt. Doch davon iſt ſchon oben die
Rede geweſen. Die Cenſuruͤbel ſind nichts neues,
ſie wechſeln nur den Ort, auf den ſie fallen, und
ſcheinen zu den Kinderkrankheiten der Voͤlker zu ge¬
hoͤren. Sie ſind ein Ausſatz, der hie und da die
Haut wegnimmt, das Kind ſtirbt aber nicht davon.
Bevor wir die Literatur der politiſchen Praxis
betrachten, wollen wir einen Blick auf die Theorien
werfen. Alle Praxis geht von den Theorien aus.
Es iſt jetzt nicht mehr die Zeit, da die Voͤlker aus
einem gewiſſen ſinnlichen Übermuth, oder aus zufaͤlli¬
gen oͤrtlichen Veranlaſſungen in einen voruͤbergehen¬
den Hader gerathen. Sie kaͤmpfen vielmehr um Ideen
und eben darum iſt ihr Kampf ein allgemeiner, im
Herzen eines jeden Volkes ſelbſt, und nur in ſofern
eines Volkes wider das andre, als bei dem einen
dieſe, bei dem andern jene Idee das Übergewicht be¬
hauptet. Der Kampf iſt durchaus philoſophiſch ge¬
worden, ſo wie er fruͤher religioͤs geweſen. Es iſt
nicht ein Vaterland, nicht ein großer Mann, wor¬
uͤber man ſtreitet, ſondern es ſind Überzeugungen,
denen die Voͤlker wie die Helden ſich unterordnen
muͤſſen. Voͤlker haben mit Ideen geſiegt, aber ſobald
ſie ihren Namen an die Stelle der Idee zu ſetzen
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/231>, abgerufen am 16.06.2024.
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