Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

geöffneten Ledertasche und zwei daneben auf den Tisch
geworfenen, entsiegelten Briefen. Die Federzüge, welche
sie bargen, entschieden über das Wohl oder Wehe seines
Landes.

Jetzt öffnete sich langsam die Thüre der Kammer
und Heinrich Rohan erschien blaß und hager auf der
Schwelle. Mit einer unwillkürlichen, freudigen Bewe¬
gung schritt er dem Bündner entgegen, der dem hohen
Herrn in raschem Diensteifer einen tiefen Lehnstuhl
neben das Fenster rückte, wo der Blick des Reisemüden
sich an der goldenen Abendruhe seines Berges erquicken
konnte. Der Herzog ließ sich mit jetzt sichtbar werden¬
der Abspannung nieder und richtete sein klares Auge
auf Georg Jenatsch; dann begann er mit leiser
Stimme und in fragendem Tone: "Ihr kommt von
Finstermünz?"

Dieser hatte sich ehrfurchtsvoll vor den in den Sessel
Zurückgelehnten gestellt und betrachtete unverwandt die
edlen Züge, welche in mehr als einer Weise ihm ver¬
ändert erschienen. Neben den erwarteten Spuren der
schweren Krankheit befremdete ihn darin ein tief ein¬
gegrabener Zug verschwiegenen, hoffnungslosen Grames,
der peinlich hervortrat, wenn der Herzog seinen lautern
strahlenden Blick zeitweise senkte.

Jenatsch brannte vor Begierde zu erfahren, ob

geöffneten Ledertaſche und zwei daneben auf den Tiſch
geworfenen, entſiegelten Briefen. Die Federzüge, welche
ſie bargen, entſchieden über das Wohl oder Wehe ſeines
Landes.

Jetzt öffnete ſich langſam die Thüre der Kammer
und Heinrich Rohan erſchien blaß und hager auf der
Schwelle. Mit einer unwillkürlichen, freudigen Bewe¬
gung ſchritt er dem Bündner entgegen, der dem hohen
Herrn in raſchem Dienſteifer einen tiefen Lehnſtuhl
neben das Fenſter rückte, wo der Blick des Reiſemüden
ſich an der goldenen Abendruhe ſeines Berges erquicken
konnte. Der Herzog ließ ſich mit jetzt ſichtbar werden¬
der Abſpannung nieder und richtete ſein klares Auge
auf Georg Jenatſch; dann begann er mit leiſer
Stimme und in fragendem Tone: „Ihr kommt von
Finſtermünz?“

Dieſer hatte ſich ehrfurchtsvoll vor den in den Seſſel
Zurückgelehnten geſtellt und betrachtete unverwandt die
edlen Züge, welche in mehr als einer Weiſe ihm ver¬
ändert erſchienen. Neben den erwarteten Spuren der
ſchweren Krankheit befremdete ihn darin ein tief ein¬
gegrabener Zug verſchwiegenen, hoffnungsloſen Grames,
der peinlich hervortrat, wenn der Herzog ſeinen lautern
ſtrahlenden Blick zeitweiſe ſenkte.

Jenatſch brannte vor Begierde zu erfahren, ob

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0268" n="258"/>
geöffneten Lederta&#x017F;che und zwei daneben auf den Ti&#x017F;ch<lb/>
geworfenen, ent&#x017F;iegelten Briefen. Die Federzüge, welche<lb/>
&#x017F;ie bargen, ent&#x017F;chieden über das Wohl oder Wehe &#x017F;eines<lb/>
Landes.</p><lb/>
          <p>Jetzt öffnete &#x017F;ich lang&#x017F;am die Thüre der Kammer<lb/>
und Heinrich Rohan er&#x017F;chien blaß und hager auf der<lb/>
Schwelle. Mit einer unwillkürlichen, freudigen Bewe¬<lb/>
gung &#x017F;chritt er dem Bündner entgegen, der dem hohen<lb/>
Herrn in ra&#x017F;chem Dien&#x017F;teifer einen tiefen Lehn&#x017F;tuhl<lb/>
neben das Fen&#x017F;ter rückte, wo der Blick des Rei&#x017F;emüden<lb/>
&#x017F;ich an der goldenen Abendruhe &#x017F;eines Berges erquicken<lb/>
konnte. Der Herzog ließ &#x017F;ich mit jetzt &#x017F;ichtbar werden¬<lb/>
der Ab&#x017F;pannung nieder und richtete &#x017F;ein klares Auge<lb/>
auf Georg Jenat&#x017F;ch; dann begann er mit lei&#x017F;er<lb/>
Stimme und in fragendem Tone: &#x201E;Ihr kommt von<lb/>
Fin&#x017F;termünz?&#x201C;</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;er hatte &#x017F;ich ehrfurchtsvoll vor den in den Se&#x017F;&#x017F;el<lb/>
Zurückgelehnten ge&#x017F;tellt und betrachtete unverwandt die<lb/>
edlen Züge, welche in mehr als einer Wei&#x017F;e ihm ver¬<lb/>
ändert er&#x017F;chienen. Neben den erwarteten Spuren der<lb/>
&#x017F;chweren Krankheit befremdete ihn darin ein tief ein¬<lb/>
gegrabener Zug ver&#x017F;chwiegenen, hoffnungslo&#x017F;en Grames,<lb/>
der peinlich hervortrat, wenn der Herzog &#x017F;einen lautern<lb/>
&#x017F;trahlenden Blick zeitwei&#x017F;e &#x017F;enkte.</p><lb/>
          <p>Jenat&#x017F;ch brannte vor Begierde zu erfahren, ob<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[258/0268] geöffneten Ledertaſche und zwei daneben auf den Tiſch geworfenen, entſiegelten Briefen. Die Federzüge, welche ſie bargen, entſchieden über das Wohl oder Wehe ſeines Landes. Jetzt öffnete ſich langſam die Thüre der Kammer und Heinrich Rohan erſchien blaß und hager auf der Schwelle. Mit einer unwillkürlichen, freudigen Bewe¬ gung ſchritt er dem Bündner entgegen, der dem hohen Herrn in raſchem Dienſteifer einen tiefen Lehnſtuhl neben das Fenſter rückte, wo der Blick des Reiſemüden ſich an der goldenen Abendruhe ſeines Berges erquicken konnte. Der Herzog ließ ſich mit jetzt ſichtbar werden¬ der Abſpannung nieder und richtete ſein klares Auge auf Georg Jenatſch; dann begann er mit leiſer Stimme und in fragendem Tone: „Ihr kommt von Finſtermünz?“ Dieſer hatte ſich ehrfurchtsvoll vor den in den Seſſel Zurückgelehnten geſtellt und betrachtete unverwandt die edlen Züge, welche in mehr als einer Weiſe ihm ver¬ ändert erſchienen. Neben den erwarteten Spuren der ſchweren Krankheit befremdete ihn darin ein tief ein¬ gegrabener Zug verſchwiegenen, hoffnungsloſen Grames, der peinlich hervortrat, wenn der Herzog ſeinen lautern ſtrahlenden Blick zeitweiſe ſenkte. Jenatſch brannte vor Begierde zu erfahren, ob

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/268
Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/268>, abgerufen am 31.10.2024.