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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

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V. Lenz und Frühsommer -- Frühkommen.
bringen -- die Einwohnerschaft ihres Orts davon in Kennt-
niß und dafür in Trab zu setzen. So erscheint denn nun
der eine oder andere vertrauensvolle Fremdling. Er erwägt:
regnerische Tage habe ich allerdings mehr zu erwarten, als
später, dafür aber "beut die Flur das frische Grün" weit
schöner, als das ganze übrige Jahr hindurch, drückende Hitze
ist nicht zu befürchten, die besten Wohnungen sind noch zu
haben, Alles ist billiger, als später, ich finde eine an Zahl
geringe, doch um so traulichere Gesellschaft und meine Frau
kann einige Kleider weniger mitnehmen. Er reist hin, hat
indessen die größte Mühe, nur zwei fertig eingerichtete Zimmer
zu finden. Zu rüsten haben die Leute theils noch gar nicht,
theils eben erst begonnen, da wird gepflastert, gehämmert,
getüncht, tapeziert, Alles duftet nach Lack, Firniß, Kleister,
bessere Mittagstische gibts noch nicht, gesellige Ansprache auch
nicht, die Einheimischen starren den Ankömmling verdutzt an,
die größeren öffentlichen Locale haben sich gegen ihn in Ver-
theidigungszustand gesetzt, Barricaden von hoch übereinander
gethürmten Tischen und Stühlen und eine Eiskelleratmosphäre
empfangen ihn, wenn er die Thür eines Gartensaals öffnet,
kurz Alles ruft ihm zu: Unglücklicher, was willst du denn
nur jetzt schon?

Nichtsdestoweniger hat das Frühkommen erhebliche
Vortheile, und Allen, die in der Zeit unbeschränkt sind und
lange bleiben wollen, ist zu rathen, etwas vor der Saison
einzutreffen und die kleinen Lasten der ersten Zeit zu tragen,
denn der deutsche Lenz und Frühsommer sind in guter Laune
liebenswürdiger und wohlthätiger, als Juli und August, und
der Vortheil einer passenden Wohnung für die ganze Dauer
des Aufenthalts fällt in die Wagschale. Allgemach fängt man
schon an, das einzusehen, und es wird hoffentlich nicht mehr
lange dauern, bis, zum Vortheile Aller, die naturdurstige
Menschheit, anstatt fünf Hochsommerwochen sich gegenseitig
eine erdrückende Concurrenz zu machen, auch von der ver-
wendbaren Zeit vorher und nachher Besitz ergreift.

V. Lenz und Frühſommer — Frühkommen.
bringen — die Einwohnerſchaft ihres Orts davon in Kennt-
niß und dafür in Trab zu ſetzen. So erſcheint denn nun
der eine oder andere vertrauensvolle Fremdling. Er erwägt:
regneriſche Tage habe ich allerdings mehr zu erwarten, als
ſpäter, dafür aber „beut die Flur das friſche Grün“ weit
ſchöner, als das ganze übrige Jahr hindurch, drückende Hitze
iſt nicht zu befürchten, die beſten Wohnungen ſind noch zu
haben, Alles iſt billiger, als ſpäter, ich finde eine an Zahl
geringe, doch um ſo traulichere Geſellſchaft und meine Frau
kann einige Kleider weniger mitnehmen. Er reiſt hin, hat
indeſſen die größte Mühe, nur zwei fertig eingerichtete Zimmer
zu finden. Zu rüſten haben die Leute theils noch gar nicht,
theils eben erſt begonnen, da wird gepflaſtert, gehämmert,
getüncht, tapeziert, Alles duftet nach Lack, Firniß, Kleiſter,
beſſere Mittagstiſche gibts noch nicht, geſellige Anſprache auch
nicht, die Einheimiſchen ſtarren den Ankömmling verdutzt an,
die größeren öffentlichen Locale haben ſich gegen ihn in Ver-
theidigungszuſtand geſetzt, Barricaden von hoch übereinander
gethürmten Tiſchen und Stühlen und eine Eiskelleratmoſphäre
empfangen ihn, wenn er die Thür eines Gartenſaals öffnet,
kurz Alles ruft ihm zu: Unglücklicher, was willſt du denn
nur jetzt ſchon?

Nichtsdeſtoweniger hat das Frühkommen erhebliche
Vortheile, und Allen, die in der Zeit unbeſchränkt ſind und
lange bleiben wollen, iſt zu rathen, etwas vor der Saiſon
einzutreffen und die kleinen Laſten der erſten Zeit zu tragen,
denn der deutſche Lenz und Frühſommer ſind in guter Laune
liebenswürdiger und wohlthätiger, als Juli und Auguſt, und
der Vortheil einer paſſenden Wohnung für die ganze Dauer
des Aufenthalts fällt in die Wagſchale. Allgemach fängt man
ſchon an, das einzuſehen, und es wird hoffentlich nicht mehr
lange dauern, bis, zum Vortheile Aller, die naturdurſtige
Menſchheit, anſtatt fünf Hochſommerwochen ſich gegenſeitig
eine erdrückende Concurrenz zu machen, auch von der ver-
wendbaren Zeit vorher und nachher Beſitz ergreift.

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[114/0128] V. Lenz und Frühſommer — Frühkommen. bringen — die Einwohnerſchaft ihres Orts davon in Kennt- niß und dafür in Trab zu ſetzen. So erſcheint denn nun der eine oder andere vertrauensvolle Fremdling. Er erwägt: regneriſche Tage habe ich allerdings mehr zu erwarten, als ſpäter, dafür aber „beut die Flur das friſche Grün“ weit ſchöner, als das ganze übrige Jahr hindurch, drückende Hitze iſt nicht zu befürchten, die beſten Wohnungen ſind noch zu haben, Alles iſt billiger, als ſpäter, ich finde eine an Zahl geringe, doch um ſo traulichere Geſellſchaft und meine Frau kann einige Kleider weniger mitnehmen. Er reiſt hin, hat indeſſen die größte Mühe, nur zwei fertig eingerichtete Zimmer zu finden. Zu rüſten haben die Leute theils noch gar nicht, theils eben erſt begonnen, da wird gepflaſtert, gehämmert, getüncht, tapeziert, Alles duftet nach Lack, Firniß, Kleiſter, beſſere Mittagstiſche gibts noch nicht, geſellige Anſprache auch nicht, die Einheimiſchen ſtarren den Ankömmling verdutzt an, die größeren öffentlichen Locale haben ſich gegen ihn in Ver- theidigungszuſtand geſetzt, Barricaden von hoch übereinander gethürmten Tiſchen und Stühlen und eine Eiskelleratmoſphäre empfangen ihn, wenn er die Thür eines Gartenſaals öffnet, kurz Alles ruft ihm zu: Unglücklicher, was willſt du denn nur jetzt ſchon? Nichtsdeſtoweniger hat das Frühkommen erhebliche Vortheile, und Allen, die in der Zeit unbeſchränkt ſind und lange bleiben wollen, iſt zu rathen, etwas vor der Saiſon einzutreffen und die kleinen Laſten der erſten Zeit zu tragen, denn der deutſche Lenz und Frühſommer ſind in guter Laune liebenswürdiger und wohlthätiger, als Juli und Auguſt, und der Vortheil einer paſſenden Wohnung für die ganze Dauer des Aufenthalts fällt in die Wagſchale. Allgemach fängt man ſchon an, das einzuſehen, und es wird hoffentlich nicht mehr lange dauern, bis, zum Vortheile Aller, die naturdurſtige Menſchheit, anſtatt fünf Hochſommerwochen ſich gegenſeitig eine erdrückende Concurrenz zu machen, auch von der ver- wendbaren Zeit vorher und nachher Beſitz ergreift.

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Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/128>, abgerufen am 30.04.2024.