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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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merkt, und wenn sie mich drum fragen sollte, so
wüst ich nicht, warum ich ein Geheimniß draus
machen müste, wenn nur Sie mir gut sind. --
Er sank in ihren Arm, küßte sie feurig, und
schwur ihr ewig Liebe.

Der ganze Abend war für unsre Liebende ein
heiliges Fest. Der Bruder kam erst nach zwo
Stunden wieder, und war sehr vergnügt, weil er
ein paar Hasen geschossen hatte. Siegwart be-
gleitete sein Mädchen nach Haus, und hatte nie
einen schönern Frühlingstag gehabt.

Zween Tage drauf kam der Miethkutscher wie-
der, der Kronhelm nach Haus gebracht hatte, und
brachte von ihm folgendes Briefchen an Siegwart:

Liebster Bruder!

Den Augenblick bin ich angekommen, und kann
also noch nichts sagen. Die Reise war mir trau-
rig, so allein, und von dir getrennt, den ich so
sehr liebe! Mein Vater empfieng mich, nach seiner
Art, freundlich, und ist lange so krank nicht, als
ich glaubte. Er konnte im Zimmer auf und abgehn,
als ich ankam. Er fürchtet eben den Tod, daher
war er so besorgt beym letztern Anfall. O Bruder,
was werd ich hier anfangen unter solchen Leuten?



merkt, und wenn ſie mich drum fragen ſollte, ſo
wuͤſt ich nicht, warum ich ein Geheimniß draus
machen muͤſte, wenn nur Sie mir gut ſind. —
Er ſank in ihren Arm, kuͤßte ſie feurig, und
ſchwur ihr ewig Liebe.

Der ganze Abend war fuͤr unſre Liebende ein
heiliges Feſt. Der Bruder kam erſt nach zwo
Stunden wieder, und war ſehr vergnuͤgt, weil er
ein paar Haſen geſchoſſen hatte. Siegwart be-
gleitete ſein Maͤdchen nach Haus, und hatte nie
einen ſchoͤnern Fruͤhlingstag gehabt.

Zween Tage drauf kam der Miethkutſcher wie-
der, der Kronhelm nach Haus gebracht hatte, und
brachte von ihm folgendes Briefchen an Siegwart:

Liebſter Bruder!

Den Augenblick bin ich angekommen, und kann
alſo noch nichts ſagen. Die Reiſe war mir trau-
rig, ſo allein, und von dir getrennt, den ich ſo
ſehr liebe! Mein Vater empfieng mich, nach ſeiner
Art, freundlich, und iſt lange ſo krank nicht, als
ich glaubte. Er konnte im Zimmer auf und abgehn,
als ich ankam. Er fuͤrchtet eben den Tod, daher
war er ſo beſorgt beym letztern Anfall. O Bruder,
was werd ich hier anfangen unter ſolchen Leuten?

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[764/0344] merkt, und wenn ſie mich drum fragen ſollte, ſo wuͤſt ich nicht, warum ich ein Geheimniß draus machen muͤſte, wenn nur Sie mir gut ſind. — Er ſank in ihren Arm, kuͤßte ſie feurig, und ſchwur ihr ewig Liebe. Der ganze Abend war fuͤr unſre Liebende ein heiliges Feſt. Der Bruder kam erſt nach zwo Stunden wieder, und war ſehr vergnuͤgt, weil er ein paar Haſen geſchoſſen hatte. Siegwart be- gleitete ſein Maͤdchen nach Haus, und hatte nie einen ſchoͤnern Fruͤhlingstag gehabt. Zween Tage drauf kam der Miethkutſcher wie- der, der Kronhelm nach Haus gebracht hatte, und brachte von ihm folgendes Briefchen an Siegwart: Liebſter Bruder! Den Augenblick bin ich angekommen, und kann alſo noch nichts ſagen. Die Reiſe war mir trau- rig, ſo allein, und von dir getrennt, den ich ſo ſehr liebe! Mein Vater empfieng mich, nach ſeiner Art, freundlich, und iſt lange ſo krank nicht, als ich glaubte. Er konnte im Zimmer auf und abgehn, als ich ankam. Er fuͤrchtet eben den Tod, daher war er ſo beſorgt beym letztern Anfall. O Bruder, was werd ich hier anfangen unter ſolchen Leuten?

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 764. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/344>, abgerufen am 30.04.2024.