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Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763.

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Neunter Gesang.
Eva! Wie trügt dich die Hoffnung [Spaltenumbruch] h)! und welch ein trauriger Ausgang
420Wartet auf dich! du fandest von dieser unglücklichen Stunde
Weder liebliche Mahlzeit, noch süße Ruh mehr in Eden!
Solch ein wüthender Feind lag unter den Blumen im Schatien
Dir zum Hinterhalte verdeckt; mit höllischem Hasse
Laurt er auf dich, dir entweder den Weg zurück zu verhindern,
425Oder dich, deines Glücks, und deiner Unschuld und Treue

Traurig beraubt, zurücke zu senden. Denn itzo kroch Satan,
Jn der natürlichen Schlange Gestalt, mit dem demmernden Morgen
Listig hervor, und suchte, wo er am ersten die beyden
Einzigen noch vor den Menschen, mit ihnen ihr ganzes Geschlechte,
430Seinen ausersehenen Raub, zu finden vermöchte.

Er durchsuchte Gefild' und Lauben; in jeglichem Busche,
Jeglichem blühenden Hayn, der angenehmer ihm vorkam,
Oder ihr Wohnplatz schien, ihr Pflanzort zu ihrem Vergnügen,
Späht er umher; am rieselnden Quell, am schattichten Bache
435Sucht er sie auf. Doch wünscht er bey sich, ein glücklicher Zufall

Möcht ihm Even allein entdecken; er wünscht' es, doch konnt' er,
Was so selten geschah, nicht hoffen: als wider sein Hoffen
Even allein er entdeckt, in eine Wolke von Weyhrauch

Und Gerüchen verhüllt; er sah sie nur halb, so umfloß sie
440Ringsum ein glühender Busch von duftenden Rosen. Sie beugte

Oft
h) Diese schönen Apostrophen und
Vorentdeckungen sind in den Poeten ge-
wöhnlich, als die gern im Prophetischen
Charakter und wie Männer reden, wel-
che die Erkenntniß der Zukunft besitzen.
[Spaltenumbruch] Es ist etwas fehr bewegliches in solchen
Betrachtungen, die uns die Eitelkeit aller
menschlichen Hoffnungen schildern, und
zeigen, wie wenig oft der Ausgang mit
unsern Erwartungen übereinstimme.
L 3

Neunter Geſang.
Eva! Wie truͤgt dich die Hoffnung [Spaltenumbruch] h)! und welch ein trauriger Ausgang
420Wartet auf dich! du fandeſt von dieſer ungluͤcklichen Stunde
Weder liebliche Mahlzeit, noch ſuͤße Ruh mehr in Eden!
Solch ein wuͤthender Feind lag unter den Blumen im Schatien
Dir zum Hinterhalte verdeckt; mit hoͤlliſchem Haſſe
Laurt er auf dich, dir entweder den Weg zuruͤck zu verhindern,
425Oder dich, deines Gluͤcks, und deiner Unſchuld und Treue

Traurig beraubt, zuruͤcke zu ſenden. Denn itzo kroch Satan,
Jn der natuͤrlichen Schlange Geſtalt, mit dem demmernden Morgen
Liſtig hervor, und ſuchte, wo er am erſten die beyden
Einzigen noch vor den Menſchen, mit ihnen ihr ganzes Geſchlechte,
430Seinen auserſehenen Raub, zu finden vermoͤchte.

Er durchſuchte Gefild’ und Lauben; in jeglichem Buſche,
Jeglichem bluͤhenden Hayn, der angenehmer ihm vorkam,
Oder ihr Wohnplatz ſchien, ihr Pflanzort zu ihrem Vergnuͤgen,
Spaͤht er umher; am rieſelnden Quell, am ſchattichten Bache
435Sucht er ſie auf. Doch wuͤnſcht er bey ſich, ein gluͤcklicher Zufall

Moͤcht ihm Even allein entdecken; er wuͤnſcht’ es, doch konnt’ er,
Was ſo ſelten geſchah, nicht hoffen: als wider ſein Hoffen
Even allein er entdeckt, in eine Wolke von Weyhrauch

Und Geruͤchen verhuͤllt; er ſah ſie nur halb, ſo umfloß ſie
440Ringsum ein gluͤhender Buſch von duftenden Roſen. Sie beugte

Oft
h) Dieſe ſchoͤnen Apoſtrophen und
Vorentdeckungen ſind in den Poeten ge-
woͤhnlich, als die gern im Prophetiſchen
Charakter und wie Maͤnner reden, wel-
che die Erkenntniß der Zukunft beſitzen.
[Spaltenumbruch] Es iſt etwas fehr bewegliches in ſolchen
Betrachtungen, die uns die Eitelkeit aller
menſchlichen Hoffnungen ſchildern, und
zeigen, wie wenig oft der Ausgang mit
unſern Erwartungen uͤbereinſtimme.
L 3
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[85/0105] Neunter Geſang. Eva! Wie truͤgt dich die Hoffnung h)! und welch ein trauriger Ausgang Wartet auf dich! du fandeſt von dieſer ungluͤcklichen Stunde Weder liebliche Mahlzeit, noch ſuͤße Ruh mehr in Eden! Solch ein wuͤthender Feind lag unter den Blumen im Schatien Dir zum Hinterhalte verdeckt; mit hoͤlliſchem Haſſe Laurt er auf dich, dir entweder den Weg zuruͤck zu verhindern, Oder dich, deines Gluͤcks, und deiner Unſchuld und Treue Traurig beraubt, zuruͤcke zu ſenden. Denn itzo kroch Satan, Jn der natuͤrlichen Schlange Geſtalt, mit dem demmernden Morgen Liſtig hervor, und ſuchte, wo er am erſten die beyden Einzigen noch vor den Menſchen, mit ihnen ihr ganzes Geſchlechte, Seinen auserſehenen Raub, zu finden vermoͤchte. Er durchſuchte Gefild’ und Lauben; in jeglichem Buſche, Jeglichem bluͤhenden Hayn, der angenehmer ihm vorkam, Oder ihr Wohnplatz ſchien, ihr Pflanzort zu ihrem Vergnuͤgen, Spaͤht er umher; am rieſelnden Quell, am ſchattichten Bache Sucht er ſie auf. Doch wuͤnſcht er bey ſich, ein gluͤcklicher Zufall Moͤcht ihm Even allein entdecken; er wuͤnſcht’ es, doch konnt’ er, Was ſo ſelten geſchah, nicht hoffen: als wider ſein Hoffen Even allein er entdeckt, in eine Wolke von Weyhrauch Und Geruͤchen verhuͤllt; er ſah ſie nur halb, ſo umfloß ſie Ringsum ein gluͤhender Buſch von duftenden Roſen. Sie beugte Oft h) Dieſe ſchoͤnen Apoſtrophen und Vorentdeckungen ſind in den Poeten ge- woͤhnlich, als die gern im Prophetiſchen Charakter und wie Maͤnner reden, wel- che die Erkenntniß der Zukunft beſitzen. Es iſt etwas fehr bewegliches in ſolchen Betrachtungen, die uns die Eitelkeit aller menſchlichen Hoffnungen ſchildern, und zeigen, wie wenig oft der Ausgang mit unſern Erwartungen uͤbereinſtimme. L 3

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Zitationshilfe: Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies02_1763/105>, abgerufen am 01.11.2024.