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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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lichen Theils und der Knabe vergeht in dem Liebreiz
dieses Angesichts; er versäumt das leichte, nur noch
über die Schulter geschlungene Tuch, das der Wind
als schmalen Streif in die Höhe flattern läßt. Eine
Figur von großer Bedeutung ist der Satyr als Zu-
schauer. Die muskulose Figur steht, auf das Ruder
gelehnt, etwas seitwärts im Schiffe, und überragt,
obgleich nicht ganz aufrecht, die Uebrigen. Eine stumme
Leidenschaft spricht aus seinen Zügen, denn obgleich
er der Nymphe durch den Raub und die Herbeischaf-
fung des herrlichen Lieblings einen Dienst erweisen
wollte, so straft ihn jezt seine heftige Liebe zu ihr
mit unverhoffter Eifersucht. Er möchte sich lieber mit
Wuth von dieser Scene abkehren, allein er zwingt sich
zu ruhiger Betrachtung, er sucht einen bittern Genuß
darin. Das Ganze rundet sich vortrefflich ab und mit
Klugheit wußte der Maler das Eine leere Ende des
Nachens rechter Hand hinter hohe Seegewächse zu
verstecken. Uebrigens ist vollkommene Meeraussicht
und man befindet sich mit den Personen einsam und
ziemlich unheimlich auf dem hülflosen Bereiche. Ich
sage Ihnen Nichts weiter, mein Freund. Ihre ge-
lassene Miene verräth mir eine hinlängliche Bekannt-
schaft mit der Sache; Sie dürften übrigens, wenn
keine Verwunderung, doch wahrlich ein wenig gerech-
ten Stolz auf ihr Werk blicken lassen, wofern nicht
eben in diesem Anscheine von Gleichgültigkeit schon
der höchste Stolz liegt."

lichen Theils und der Knabe vergeht in dem Liebreiz
dieſes Angeſichts; er verſäumt das leichte, nur noch
über die Schulter geſchlungene Tuch, das der Wind
als ſchmalen Streif in die Höhe flattern läßt. Eine
Figur von großer Bedeutung iſt der Satyr als Zu-
ſchauer. Die muskuloſe Figur ſteht, auf das Ruder
gelehnt, etwas ſeitwärts im Schiffe, und überragt,
obgleich nicht ganz aufrecht, die Uebrigen. Eine ſtumme
Leidenſchaft ſpricht aus ſeinen Zügen, denn obgleich
er der Nymphe durch den Raub und die Herbeiſchaf-
fung des herrlichen Lieblings einen Dienſt erweiſen
wollte, ſo ſtraft ihn jezt ſeine heftige Liebe zu ihr
mit unverhoffter Eiferſucht. Er möchte ſich lieber mit
Wuth von dieſer Scene abkehren, allein er zwingt ſich
zu ruhiger Betrachtung, er ſucht einen bittern Genuß
darin. Das Ganze rundet ſich vortrefflich ab und mit
Klugheit wußte der Maler das Eine leere Ende des
Nachens rechter Hand hinter hohe Seegewächſe zu
verſtecken. Uebrigens iſt vollkommene Meerausſicht
und man befindet ſich mit den Perſonen einſam und
ziemlich unheimlich auf dem hülfloſen Bereiche. Ich
ſage Ihnen Nichts weiter, mein Freund. Ihre ge-
laſſene Miene verräth mir eine hinlängliche Bekannt-
ſchaft mit der Sache; Sie dürften übrigens, wenn
keine Verwunderung, doch wahrlich ein wenig gerech-
ten Stolz auf ihr Werk blicken laſſen, wofern nicht
eben in dieſem Anſcheine von Gleichgültigkeit ſchon
der höchſte Stolz liegt.“

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[8/0016] lichen Theils und der Knabe vergeht in dem Liebreiz dieſes Angeſichts; er verſäumt das leichte, nur noch über die Schulter geſchlungene Tuch, das der Wind als ſchmalen Streif in die Höhe flattern läßt. Eine Figur von großer Bedeutung iſt der Satyr als Zu- ſchauer. Die muskuloſe Figur ſteht, auf das Ruder gelehnt, etwas ſeitwärts im Schiffe, und überragt, obgleich nicht ganz aufrecht, die Uebrigen. Eine ſtumme Leidenſchaft ſpricht aus ſeinen Zügen, denn obgleich er der Nymphe durch den Raub und die Herbeiſchaf- fung des herrlichen Lieblings einen Dienſt erweiſen wollte, ſo ſtraft ihn jezt ſeine heftige Liebe zu ihr mit unverhoffter Eiferſucht. Er möchte ſich lieber mit Wuth von dieſer Scene abkehren, allein er zwingt ſich zu ruhiger Betrachtung, er ſucht einen bittern Genuß darin. Das Ganze rundet ſich vortrefflich ab und mit Klugheit wußte der Maler das Eine leere Ende des Nachens rechter Hand hinter hohe Seegewächſe zu verſtecken. Uebrigens iſt vollkommene Meerausſicht und man befindet ſich mit den Perſonen einſam und ziemlich unheimlich auf dem hülfloſen Bereiche. Ich ſage Ihnen Nichts weiter, mein Freund. Ihre ge- laſſene Miene verräth mir eine hinlängliche Bekannt- ſchaft mit der Sache; Sie dürften übrigens, wenn keine Verwunderung, doch wahrlich ein wenig gerech- ten Stolz auf ihr Werk blicken laſſen, wofern nicht eben in dieſem Anſcheine von Gleichgültigkeit ſchon der höchſte Stolz liegt.“

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/16>, abgerufen am 30.04.2024.