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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

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zwischen Hörigkeit und Knechtschaft.

Die Töchter wurden ursprünglich, jedoch mit Gnade
des Herrn, von den beneficiis ausgeschlossen, vermuthlich
nicht blos um deswillen, weil sie in Person nicht fechten
oder dienen konnten, sondern weil sie freyeten, das ist ihre
bisherige Hörigkeit verließen, und dann in eine fremde Hö-
rigkeit,
wovon die Mütze, welche ihr zuletzt anstatt der
Krone aufgesetzt wird, das Symbolum seyn mogte, über-
giengen, wodurch sie das Lehn einem fremden Herrn unter-
würfig gemacht haben würden. Eben dieser Grund war es
vielleicht auch, warum die Römer die Töchter als unhörig
ausschlossen; und sowohl der Praetor als der Hofesherr
hat beyde zugelassen, wenn keine Gefahr von einer fremden
Hörigkeit, und der daraus folgenden Lehnsentfremdung zu
befürchten war. So nimmt auch der Gutsherr noch wohl
aus Gnaden eine freygelassene und unledige Tochter zurück,
wenn sie sich von der fremden Hörigkeit wieder befreyen
kann. Nie wird er aber sein Erbe einem Manne geben, der
in einem fremden Eigenthum steht, weil es sonst der fremde
Gutsherr durch den Sterbfall an sich ziehen könnte. So
hätte auch die Kirche die den Geistlichen angefallene Lehne
an sich ziehen können.

Die Hulde hat mit der Hörigkeit etwas ähnliches; ist
aber doch wesentlich von ihr unterschieden. Denn es kann
einer hörig seyn und nicht huldig, auch umgekehrt. Zum Bey-
spiel will ich setzen, daß ein höriges Kind sich außerhalb
Landes oder nur außer Hofrecht (extra curtem) besetze und
einem andern Herrnhuldig mache Dieses Kind kann das Recht
seiner Hörigkeit dadurch bewahren, daß es jährlich gleich
den Bürgern, die aus einer Stadt in die andre ziehen, und
ihr verlassenes Bürgerrecht noch beybehalten wollen, auf
dem Pflichttag, an welchem die Hörigen ihre Hofversamm-
lung halten, eine hergebrachte Urkunde, sie bestehe nun in

einem
N 2
zwiſchen Hoͤrigkeit und Knechtſchaft.

Die Toͤchter wurden urſpruͤnglich, jedoch mit Gnade
des Herrn, von den beneficiis ausgeſchloſſen, vermuthlich
nicht blos um deswillen, weil ſie in Perſon nicht fechten
oder dienen konnten, ſondern weil ſie freyeten, das iſt ihre
bisherige Hoͤrigkeit verließen, und dann in eine fremde Hoͤ-
rigkeit,
wovon die Muͤtze, welche ihr zuletzt anſtatt der
Krone aufgeſetzt wird, das Symbolum ſeyn mogte, uͤber-
giengen, wodurch ſie das Lehn einem fremden Herrn unter-
wuͤrfig gemacht haben wuͤrden. Eben dieſer Grund war es
vielleicht auch, warum die Roͤmer die Toͤchter als unhoͤrig
ausſchloſſen; und ſowohl der Praetor als der Hofesherr
hat beyde zugelaſſen, wenn keine Gefahr von einer fremden
Hoͤrigkeit, und der daraus folgenden Lehnsentfremdung zu
befuͤrchten war. So nimmt auch der Gutsherr noch wohl
aus Gnaden eine freygelaſſene und unledige Tochter zuruͤck,
wenn ſie ſich von der fremden Hoͤrigkeit wieder befreyen
kann. Nie wird er aber ſein Erbe einem Manne geben, der
in einem fremden Eigenthum ſteht, weil es ſonſt der fremde
Gutsherr durch den Sterbfall an ſich ziehen koͤnnte. So
haͤtte auch die Kirche die den Geiſtlichen angefallene Lehne
an ſich ziehen koͤnnen.

Die Hulde hat mit der Hoͤrigkeit etwas aͤhnliches; iſt
aber doch weſentlich von ihr unterſchieden. Denn es kann
einer hoͤrig ſeyn und nicht huldig, auch umgekehrt. Zum Bey-
ſpiel will ich ſetzen, daß ein hoͤriges Kind ſich außerhalb
Landes oder nur außer Hofrecht (extra curtem) beſetze und
einem andern Herrnhuldig mache Dieſes Kind kann das Recht
ſeiner Hoͤrigkeit dadurch bewahren, daß es jaͤhrlich gleich
den Buͤrgern, die aus einer Stadt in die andre ziehen, und
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[195/0209] zwiſchen Hoͤrigkeit und Knechtſchaft. Die Toͤchter wurden urſpruͤnglich, jedoch mit Gnade des Herrn, von den beneficiis ausgeſchloſſen, vermuthlich nicht blos um deswillen, weil ſie in Perſon nicht fechten oder dienen konnten, ſondern weil ſie freyeten, das iſt ihre bisherige Hoͤrigkeit verließen, und dann in eine fremde Hoͤ- rigkeit, wovon die Muͤtze, welche ihr zuletzt anſtatt der Krone aufgeſetzt wird, das Symbolum ſeyn mogte, uͤber- giengen, wodurch ſie das Lehn einem fremden Herrn unter- wuͤrfig gemacht haben wuͤrden. Eben dieſer Grund war es vielleicht auch, warum die Roͤmer die Toͤchter als unhoͤrig ausſchloſſen; und ſowohl der Praetor als der Hofesherr hat beyde zugelaſſen, wenn keine Gefahr von einer fremden Hoͤrigkeit, und der daraus folgenden Lehnsentfremdung zu befuͤrchten war. So nimmt auch der Gutsherr noch wohl aus Gnaden eine freygelaſſene und unledige Tochter zuruͤck, wenn ſie ſich von der fremden Hoͤrigkeit wieder befreyen kann. Nie wird er aber ſein Erbe einem Manne geben, der in einem fremden Eigenthum ſteht, weil es ſonſt der fremde Gutsherr durch den Sterbfall an ſich ziehen koͤnnte. So haͤtte auch die Kirche die den Geiſtlichen angefallene Lehne an ſich ziehen koͤnnen. Die Hulde hat mit der Hoͤrigkeit etwas aͤhnliches; iſt aber doch weſentlich von ihr unterſchieden. Denn es kann einer hoͤrig ſeyn und nicht huldig, auch umgekehrt. Zum Bey- ſpiel will ich ſetzen, daß ein hoͤriges Kind ſich außerhalb Landes oder nur außer Hofrecht (extra curtem) beſetze und einem andern Herrnhuldig mache Dieſes Kind kann das Recht ſeiner Hoͤrigkeit dadurch bewahren, daß es jaͤhrlich gleich den Buͤrgern, die aus einer Stadt in die andre ziehen, und ihr verlaſſenes Buͤrgerrecht noch beybehalten wollen, auf dem Pflichttag, an welchem die Hoͤrigen ihre Hofverſamm- lung halten, eine hergebrachte Urkunde, ſie beſtehe nun in einem N 2

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/209>, abgerufen am 30.04.2024.