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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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Recht zum Widerstande und selbst zur Entfernung des Tyran-
nen von der mißbrauchten Regierung eintreten.

Eine rechtliche Verantwortlichkeit des Staats-
oberhauptes und eine Bestrafung desselben wegen der von ihm
begangenen Gesetzesverletzungen findet jedoch nicht statt. Theils
wäre eine solche Verantwortlichkeit ein Widerspruch in sich.
Verantwortlich kann man nur gegen einen Höheren sein; ein
Staatsoberhaupt hat aber Niemand über sich. Theils aber
wäre eine Anordnung hierzu nicht ausführbar gegen den Ueber-
mächtigen; überdieß schon der Versuch höchst gefährlich, weil
er leicht zu noch weiterem Unrechte und zu gänzlichem Gesetzes-
umsturze anreizen, dadurch aber zu innerem Kampfe und viel-
leicht zur völligen Unterjochung führen würde. Hier ist nur
die Wahl zwischen zwei Uebeln; Unverantwortlichkeit und Straf-
losigkeit ist aber das geringere 1). -- Dieser Satz gilt sowohl
von physischen als von moralischen Personen, welche im Be-
sitze der Staatsgewalt sind.

Die rechtlichen Folgen dieses Verhältnisses sind aber nach-
stehende:

Gegen einen schließlichen Ausspruch des Staatsoberhauptes
oder eine vollendete Handlung desselben findet eine Berufung
nicht statt. Dieselbe ist gültig, wenn sie innerhalb der Zustän-
digkeit, in den gesetzlich vorgeschriebenen Formen und ohne
Verletzung einer ausdrücklich verbietenden oder gebietenden
Grundbestimmung erfolgt ist, auch wenn sie offenbar unsittlich
oder schädlich wäre. In wieferne eine rechtsverletzende Regie-
rungshandlung von den zunächst dadurch Betroffenen zu achten
ist, ergibt sich aus den Grundsätzen über den bloß verfassungs-
mäßigen Gehorsam; jedenfalls sind die dagegen anzuwendenden
Schutzmittel bloße Thatsachen und keine formal gültigen Rechts-
handlungen. Es ist ein Zustand der Nothwehr und kein Prozeß.

Eine Wiederaufhebung einer schädlichen oder rechtswidrigen

Recht zum Widerſtande und ſelbſt zur Entfernung des Tyran-
nen von der mißbrauchten Regierung eintreten.

Eine rechtliche Verantwortlichkeit des Staats-
oberhauptes und eine Beſtrafung desſelben wegen der von ihm
begangenen Geſetzesverletzungen findet jedoch nicht ſtatt. Theils
wäre eine ſolche Verantwortlichkeit ein Widerſpruch in ſich.
Verantwortlich kann man nur gegen einen Höheren ſein; ein
Staatsoberhaupt hat aber Niemand über ſich. Theils aber
wäre eine Anordnung hierzu nicht ausführbar gegen den Ueber-
mächtigen; überdieß ſchon der Verſuch höchſt gefährlich, weil
er leicht zu noch weiterem Unrechte und zu gänzlichem Geſetzes-
umſturze anreizen, dadurch aber zu innerem Kampfe und viel-
leicht zur völligen Unterjochung führen würde. Hier iſt nur
die Wahl zwiſchen zwei Uebeln; Unverantwortlichkeit und Straf-
loſigkeit iſt aber das geringere 1). — Dieſer Satz gilt ſowohl
von phyſiſchen als von moraliſchen Perſonen, welche im Be-
ſitze der Staatsgewalt ſind.

Die rechtlichen Folgen dieſes Verhältniſſes ſind aber nach-
ſtehende:

Gegen einen ſchließlichen Ausſpruch des Staatsoberhauptes
oder eine vollendete Handlung deſſelben findet eine Berufung
nicht ſtatt. Dieſelbe iſt gültig, wenn ſie innerhalb der Zuſtän-
digkeit, in den geſetzlich vorgeſchriebenen Formen und ohne
Verletzung einer ausdrücklich verbietenden oder gebietenden
Grundbeſtimmung erfolgt iſt, auch wenn ſie offenbar unſittlich
oder ſchädlich wäre. In wieferne eine rechtsverletzende Regie-
rungshandlung von den zunächſt dadurch Betroffenen zu achten
iſt, ergibt ſich aus den Grundſätzen über den bloß verfaſſungs-
mäßigen Gehorſam; jedenfalls ſind die dagegen anzuwendenden
Schutzmittel bloße Thatſachen und keine formal gültigen Rechts-
handlungen. Es iſt ein Zuſtand der Nothwehr und kein Prozeß.

Eine Wiederaufhebung einer ſchädlichen oder rechtswidrigen

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[219/0233] Recht zum Widerſtande und ſelbſt zur Entfernung des Tyran- nen von der mißbrauchten Regierung eintreten. Eine rechtliche Verantwortlichkeit des Staats- oberhauptes und eine Beſtrafung desſelben wegen der von ihm begangenen Geſetzesverletzungen findet jedoch nicht ſtatt. Theils wäre eine ſolche Verantwortlichkeit ein Widerſpruch in ſich. Verantwortlich kann man nur gegen einen Höheren ſein; ein Staatsoberhaupt hat aber Niemand über ſich. Theils aber wäre eine Anordnung hierzu nicht ausführbar gegen den Ueber- mächtigen; überdieß ſchon der Verſuch höchſt gefährlich, weil er leicht zu noch weiterem Unrechte und zu gänzlichem Geſetzes- umſturze anreizen, dadurch aber zu innerem Kampfe und viel- leicht zur völligen Unterjochung führen würde. Hier iſt nur die Wahl zwiſchen zwei Uebeln; Unverantwortlichkeit und Straf- loſigkeit iſt aber das geringere 1). — Dieſer Satz gilt ſowohl von phyſiſchen als von moraliſchen Perſonen, welche im Be- ſitze der Staatsgewalt ſind. Die rechtlichen Folgen dieſes Verhältniſſes ſind aber nach- ſtehende: Gegen einen ſchließlichen Ausſpruch des Staatsoberhauptes oder eine vollendete Handlung deſſelben findet eine Berufung nicht ſtatt. Dieſelbe iſt gültig, wenn ſie innerhalb der Zuſtän- digkeit, in den geſetzlich vorgeſchriebenen Formen und ohne Verletzung einer ausdrücklich verbietenden oder gebietenden Grundbeſtimmung erfolgt iſt, auch wenn ſie offenbar unſittlich oder ſchädlich wäre. In wieferne eine rechtsverletzende Regie- rungshandlung von den zunächſt dadurch Betroffenen zu achten iſt, ergibt ſich aus den Grundſätzen über den bloß verfaſſungs- mäßigen Gehorſam; jedenfalls ſind die dagegen anzuwendenden Schutzmittel bloße Thatſachen und keine formal gültigen Rechts- handlungen. Es iſt ein Zuſtand der Nothwehr und kein Prozeß. Eine Wiederaufhebung einer ſchädlichen oder rechtswidrigen

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/233>, abgerufen am 30.04.2024.