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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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VIERTES BUCH. KAPITEL X.
fügungen hinsichtlich des Oberpontifex und des Obercurio (I,
602) wurden von Sulla cassirt und den Priestercollegien das
Recht der Selbstergänzung in seiner ursprünglichen Unbe-
schränktheit zurückgegeben. Hinsichtlich der Staatsämter aber
blieb es im Ganzen bei der bisherigen Weise. Es scheint nicht
einmal, dass Sulla die früher versuchte Restauration der servia-
nischen Stimmordnung (S. 248) jetzt wieder aufnahm, sei es
nun, dass er es überhaupt als gleichgültig betrachtete, ob die
Stimmabtheilungen so oder so zusammengesetzt seien, sei es,
dass diese ältere Ordnung ihm den gefährlichen Einfluss der Ca-
pitalisten zu steigern schien. Nur die Qualificationen wurden
wiederhergestellt und theilweise gesteigert. Die zur Bekleidung
eines jeden Amtes erforderliche Altersgrenze ward aufs Neue ein-
geschärft; ebenso die Bestimmung, dass jeder Bewerber um das
Consulat vorher die Prätur, jeder Bewerber um die Prätur vorher
die Quästur bekleidet haben müsse, wogegen es gestattet war die
Aedilität zu übergehen. Mit besonderer Strenge wurde, in Hin-
blick auf die jüngst mehrfach vorgekommene Tyrannis in der
Form des durch mehrere Jahre hindurch fortgesetzten Consulats,
gegen diesen Missbrauch eingeschritten und verfügt, dass zwischen
der Bekleidung zweier ungleicher Aemter mindestens zwei, zwi-
schen der zweimaligen Bekleidung desselben Amtes mindestens
zehn Jahre verfliessen sollten; mit welcher letzteren Bestimmung
die ältere Ordnung aufgenommen und die ultraoligarchische Vor-
schrift der jüngsten Zeit, die jede Wiederwahl zum Consulat
schlechthin untersagte (S. 64), wieder verlassen ward. Im Gan-
zen aber liess Sulla den Wahlen ihren Lauf wie bisher und be-
gnügte sich auf eine solche Beschränkung der Beamtengewalt hin-
zuarbeiten, dass, wen auch immer die unberechenbare Laune der
Comitien zum Amte berief, der Gewählte ausser Stande sein würde
gegen die Oligarchie sich aufzulehnen.

Zur Beschränkung der Beamtengewalt diente zunächst die
allgemeine Bestimmung, dass jede Verhandlung mit dem Volke,
sei es um dasselbe über ein Gesetz abstimmen zu lassen, sei es
um ihm bloss eine Mittheilung zu machen, geknüpft ward an
die vorgängige Gestattung des Senats. Wie die Herrschaft des
Königs und später der republikanischen Beamten über die
Bürgerschaft kaum irgendwo so klar zu Tage tritt wie in dem
Satz, dass sie ausschliesslich das Recht haben öffentlich zum
Volke zu reden, so zeigt sich die neue Oberherrlichkeit des Se-
nats am bestimmtesten in dieser für jede Verhandlung mit dem
Volke von ihm zu erbittenden Erlaubniss. -- Besonderer Mass-

VIERTES BUCH. KAPITEL X.
fügungen hinsichtlich des Oberpontifex und des Obercurio (I,
602) wurden von Sulla cassirt und den Priestercollegien das
Recht der Selbstergänzung in seiner ursprünglichen Unbe-
schränktheit zurückgegeben. Hinsichtlich der Staatsämter aber
blieb es im Ganzen bei der bisherigen Weise. Es scheint nicht
einmal, daſs Sulla die früher versuchte Restauration der servia-
nischen Stimmordnung (S. 248) jetzt wieder aufnahm, sei es
nun, daſs er es überhaupt als gleichgültig betrachtete, ob die
Stimmabtheilungen so oder so zusammengesetzt seien, sei es,
daſs diese ältere Ordnung ihm den gefährlichen Einfluſs der Ca-
pitalisten zu steigern schien. Nur die Qualificationen wurden
wiederhergestellt und theilweise gesteigert. Die zur Bekleidung
eines jeden Amtes erforderliche Altersgrenze ward aufs Neue ein-
geschärft; ebenso die Bestimmung, daſs jeder Bewerber um das
Consulat vorher die Prätur, jeder Bewerber um die Prätur vorher
die Quästur bekleidet haben müsse, wogegen es gestattet war die
Aedilität zu übergehen. Mit besonderer Strenge wurde, in Hin-
blick auf die jüngst mehrfach vorgekommene Tyrannis in der
Form des durch mehrere Jahre hindurch fortgesetzten Consulats,
gegen diesen Miſsbrauch eingeschritten und verfügt, daſs zwischen
der Bekleidung zweier ungleicher Aemter mindestens zwei, zwi-
schen der zweimaligen Bekleidung desselben Amtes mindestens
zehn Jahre verflieſsen sollten; mit welcher letzteren Bestimmung
die ältere Ordnung aufgenommen und die ultraoligarchische Vor-
schrift der jüngsten Zeit, die jede Wiederwahl zum Consulat
schlechthin untersagte (S. 64), wieder verlassen ward. Im Gan-
zen aber lieſs Sulla den Wahlen ihren Lauf wie bisher und be-
gnügte sich auf eine solche Beschränkung der Beamtengewalt hin-
zuarbeiten, daſs, wen auch immer die unberechenbare Laune der
Comitien zum Amte berief, der Gewählte auſser Stande sein würde
gegen die Oligarchie sich aufzulehnen.

Zur Beschränkung der Beamtengewalt diente zunächst die
allgemeine Bestimmung, daſs jede Verhandlung mit dem Volke,
sei es um dasselbe über ein Gesetz abstimmen zu lassen, sei es
um ihm bloſs eine Mittheilung zu machen, geknüpft ward an
die vorgängige Gestattung des Senats. Wie die Herrschaft des
Königs und später der republikanischen Beamten über die
Bürgerschaft kaum irgendwo so klar zu Tage tritt wie in dem
Satz, daſs sie ausschlieſslich das Recht haben öffentlich zum
Volke zu reden, so zeigt sich die neue Oberherrlichkeit des Se-
nats am bestimmtesten in dieser für jede Verhandlung mit dem
Volke von ihm zu erbittenden Erlaubniſs. — Besonderer Maſs-

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[336/0346] VIERTES BUCH. KAPITEL X. fügungen hinsichtlich des Oberpontifex und des Obercurio (I, 602) wurden von Sulla cassirt und den Priestercollegien das Recht der Selbstergänzung in seiner ursprünglichen Unbe- schränktheit zurückgegeben. Hinsichtlich der Staatsämter aber blieb es im Ganzen bei der bisherigen Weise. Es scheint nicht einmal, daſs Sulla die früher versuchte Restauration der servia- nischen Stimmordnung (S. 248) jetzt wieder aufnahm, sei es nun, daſs er es überhaupt als gleichgültig betrachtete, ob die Stimmabtheilungen so oder so zusammengesetzt seien, sei es, daſs diese ältere Ordnung ihm den gefährlichen Einfluſs der Ca- pitalisten zu steigern schien. Nur die Qualificationen wurden wiederhergestellt und theilweise gesteigert. Die zur Bekleidung eines jeden Amtes erforderliche Altersgrenze ward aufs Neue ein- geschärft; ebenso die Bestimmung, daſs jeder Bewerber um das Consulat vorher die Prätur, jeder Bewerber um die Prätur vorher die Quästur bekleidet haben müsse, wogegen es gestattet war die Aedilität zu übergehen. Mit besonderer Strenge wurde, in Hin- blick auf die jüngst mehrfach vorgekommene Tyrannis in der Form des durch mehrere Jahre hindurch fortgesetzten Consulats, gegen diesen Miſsbrauch eingeschritten und verfügt, daſs zwischen der Bekleidung zweier ungleicher Aemter mindestens zwei, zwi- schen der zweimaligen Bekleidung desselben Amtes mindestens zehn Jahre verflieſsen sollten; mit welcher letzteren Bestimmung die ältere Ordnung aufgenommen und die ultraoligarchische Vor- schrift der jüngsten Zeit, die jede Wiederwahl zum Consulat schlechthin untersagte (S. 64), wieder verlassen ward. Im Gan- zen aber lieſs Sulla den Wahlen ihren Lauf wie bisher und be- gnügte sich auf eine solche Beschränkung der Beamtengewalt hin- zuarbeiten, daſs, wen auch immer die unberechenbare Laune der Comitien zum Amte berief, der Gewählte auſser Stande sein würde gegen die Oligarchie sich aufzulehnen. Zur Beschränkung der Beamtengewalt diente zunächst die allgemeine Bestimmung, daſs jede Verhandlung mit dem Volke, sei es um dasselbe über ein Gesetz abstimmen zu lassen, sei es um ihm bloſs eine Mittheilung zu machen, geknüpft ward an die vorgängige Gestattung des Senats. Wie die Herrschaft des Königs und später der republikanischen Beamten über die Bürgerschaft kaum irgendwo so klar zu Tage tritt wie in dem Satz, daſs sie ausschlieſslich das Recht haben öffentlich zum Volke zu reden, so zeigt sich die neue Oberherrlichkeit des Se- nats am bestimmtesten in dieser für jede Verhandlung mit dem Volke von ihm zu erbittenden Erlaubniſs. — Besonderer Maſs-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/346>, abgerufen am 01.11.2024.