Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 1. Berlin, 1786.
Da die Morgenländischen Sprachen die ältesten sind, und besonders die Ebräische alle historische Beweise, wo nicht der ersten, doch dieser am nächsten kommenden, Sprache hat: so ist der philosophirende Sprachforscher, der sprachverständige Philosoph, der psychologische Grammatiker, der grammatische Psychologe, wie Sie wollen, auf alle Weise berechtigt und instruirt, aus ihnen den ersten Gang der menschlichen Seele zu abstrahiren. Dieser zeigt sich sogleich in der ersten Conformation dieser Sprachen, wo das Substantivum allemahl nach, und zwar meist ohne die Verbindung seyn, stehet; z.B. Gott gut, Baum groß: recht wie es in der Seele zugehet; erst die Sache, dann ihre Beschaffenheit. Aber warum ist in den Morgenländischen Sprachen die dritte Person des verbi die Wurzel, das erste Grundwort, aus dem andere Personen erst durch Zusätze gebildet werden? Dies scheint mit dem Grundsatze nicht recht übereinzustimmen, daß jeder Mensch zuerst sich selbst denke; das glaube ich auch eben nicht: Kinder wissen von sich selbst nichts ausdrücklich, und werden zuerst und am lebhaftesten von den Dingen
Da die Morgenlaͤndischen Sprachen die aͤltesten sind, und besonders die Ebraͤische alle historische Beweise, wo nicht der ersten, doch dieser am naͤchsten kommenden, Sprache hat: so ist der philosophirende Sprachforscher, der sprachverstaͤndige Philosoph, der psychologische Grammatiker, der grammatische Psychologe, wie Sie wollen, auf alle Weise berechtigt und instruirt, aus ihnen den ersten Gang der menschlichen Seele zu abstrahiren. Dieser zeigt sich sogleich in der ersten Conformation dieser Sprachen, wo das Substantivum allemahl nach, und zwar meist ohne die Verbindung seyn, stehet; z.B. Gott gut, Baum groß: recht wie es in der Seele zugehet; erst die Sache, dann ihre Beschaffenheit. Aber warum ist in den Morgenlaͤndischen Sprachen die dritte Person des verbi die Wurzel, das erste Grundwort, aus dem andere Personen erst durch Zusaͤtze gebildet werden? Dies scheint mit dem Grundsatze nicht recht uͤbereinzustimmen, daß jeder Mensch zuerst sich selbst denke; das glaube ich auch eben nicht: Kinder wissen von sich selbst nichts ausdruͤcklich, und werden zuerst und am lebhaftesten von den Dingen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0071" n="69"/><lb/> Menschen nicht so besonders, wo der Genitiv, ohne Aenderung, nur nach dem regierenden Casu gesetzt, und aus dem vorhergehenden Namen erkennt wird; aber in Sprachen, wo entweder Artikel, oder Endbuchstaben, die Casus machen, da will es gewiß mehr sagen. </p> <p>Da die Morgenlaͤndischen Sprachen die aͤltesten sind, und besonders die Ebraͤische alle historische Beweise, wo nicht der ersten, doch dieser am naͤchsten kommenden, Sprache hat: so ist der philosophirende Sprachforscher, der sprachverstaͤndige Philosoph, der psychologische Grammatiker, der grammatische Psychologe, wie Sie wollen, auf alle Weise berechtigt und instruirt, aus ihnen den ersten Gang der menschlichen Seele zu abstrahiren. Dieser zeigt sich sogleich in der ersten Conformation dieser Sprachen, wo das Substantivum allemahl nach, und zwar meist ohne die Verbindung seyn, stehet; z.B. Gott gut, Baum groß: recht wie es in der Seele zugehet; erst die Sache, dann ihre Beschaffenheit. Aber warum ist in den Morgenlaͤndischen Sprachen die dritte Person des <hi rendition="#aq">verbi</hi> die Wurzel, das erste Grundwort, aus dem andere Personen erst durch Zusaͤtze gebildet werden? Dies scheint mit dem Grundsatze nicht recht uͤbereinzustimmen, daß jeder Mensch <hi rendition="#b">zuerst sich selbst</hi> denke; das glaube ich auch eben nicht: Kinder wissen von sich selbst nichts ausdruͤcklich, und werden zuerst und am lebhaftesten von den Dingen<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [69/0071]
Menschen nicht so besonders, wo der Genitiv, ohne Aenderung, nur nach dem regierenden Casu gesetzt, und aus dem vorhergehenden Namen erkennt wird; aber in Sprachen, wo entweder Artikel, oder Endbuchstaben, die Casus machen, da will es gewiß mehr sagen.
Da die Morgenlaͤndischen Sprachen die aͤltesten sind, und besonders die Ebraͤische alle historische Beweise, wo nicht der ersten, doch dieser am naͤchsten kommenden, Sprache hat: so ist der philosophirende Sprachforscher, der sprachverstaͤndige Philosoph, der psychologische Grammatiker, der grammatische Psychologe, wie Sie wollen, auf alle Weise berechtigt und instruirt, aus ihnen den ersten Gang der menschlichen Seele zu abstrahiren. Dieser zeigt sich sogleich in der ersten Conformation dieser Sprachen, wo das Substantivum allemahl nach, und zwar meist ohne die Verbindung seyn, stehet; z.B. Gott gut, Baum groß: recht wie es in der Seele zugehet; erst die Sache, dann ihre Beschaffenheit. Aber warum ist in den Morgenlaͤndischen Sprachen die dritte Person des verbi die Wurzel, das erste Grundwort, aus dem andere Personen erst durch Zusaͤtze gebildet werden? Dies scheint mit dem Grundsatze nicht recht uͤbereinzustimmen, daß jeder Mensch zuerst sich selbst denke; das glaube ich auch eben nicht: Kinder wissen von sich selbst nichts ausdruͤcklich, und werden zuerst und am lebhaftesten von den Dingen
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 4, St. 1. Berlin, 1786, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0401_1786/71>, abgerufen am 16.06.2024. |