Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 1. Berlin, 1791.Ueberdies brauchte ich bei ihm noch diejenigen schuldlosen Kunstgriffe, mit welchen ich so vielen der Taubstummen Lust zum Lernen inokulirte, und die ich, ohne Winkelzug und Zikzak, dem Publikum enthüllte in meinen Reflexionen über Thier- und Menschensprache; auch über die sämmtlichen Lehrer der Taubstummen. Fragment eines Briefes an Bürger. (in Müller' s und Hofmann' s medizinischen Annalen.) Hierdurch gelang es mir: seinem nicht geringen, beinahe akademischen Freiheitsstolze Zaum und Gebiß in's Maul zu legen, und den guten Lebrecht ganz an mich zu ketten. Jch wurde gewahr, daß die Krankheit des leidigen Geniefiebers, Sturm und Drang, heimlich in ihm wüthete. Wie ich dagegen eiferte, wie und welche Medikamente, aus Beweisen, Thatsachen und Beispielen, ja sogar aus meinem eignen Beispiele komponirt ich ihm eingab: dies behalte ich mir vor künftig zu erwähnen. Es ist gewiß, daß jeder gute junge Kopf die sublunarische Welt in der Erst als Dichter und Träumer angaft. Er schaut alles edler, höher, vollkommner, himmlischer, geläutert und gesäubert vom Unreinen, Jrdischen; natürlich auch übertriebner, wilder und verwirrter. Am besten dünkt mich, wenn er das im Stillen auskocht; sonst wird er ein Kontreband in der menschlichen Gesellschaft. Ueberdies brauchte ich bei ihm noch diejenigen schuldlosen Kunstgriffe, mit welchen ich so vielen der Taubstummen Lust zum Lernen inokulirte, und die ich, ohne Winkelzug und Zikzak, dem Publikum enthuͤllte in meinen Reflexionen uͤber Thier- und Menschensprache; auch uͤber die saͤmmtlichen Lehrer der Taubstummen. Fragment eines Briefes an Buͤrger. (in Muͤller' s und Hofmann' s medizinischen Annalen.) Hierdurch gelang es mir: seinem nicht geringen, beinahe akademischen Freiheitsstolze Zaum und Gebiß in's Maul zu legen, und den guten Lebrecht ganz an mich zu ketten. Jch wurde gewahr, daß die Krankheit des leidigen Geniefiebers, Sturm und Drang, heimlich in ihm wuͤthete. Wie ich dagegen eiferte, wie und welche Medikamente, aus Beweisen, Thatsachen und Beispielen, ja sogar aus meinem eignen Beispiele komponirt ich ihm eingab: dies behalte ich mir vor kuͤnftig zu erwaͤhnen. Es ist gewiß, daß jeder gute junge Kopf die sublunarische Welt in der Erst als Dichter und Traͤumer angaft. Er schaut alles edler, hoͤher, vollkommner, himmlischer, gelaͤutert und gesaͤubert vom Unreinen, Jrdischen; natuͤrlich auch uͤbertriebner, wilder und verwirrter. Am besten duͤnkt mich, wenn er das im Stillen auskocht; sonst wird er ein Kontreband in der menschlichen Gesellschaft. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0060" n="58"/><lb/> <p>Ueberdies brauchte ich bei ihm noch diejenigen schuldlosen Kunstgriffe, mit welchen ich so vielen der Taubstummen Lust zum Lernen inokulirte, und die ich, ohne Winkelzug und Zikzak, dem Publikum enthuͤllte in meinen</p> <p rend="indention3">Reflexionen uͤber Thier- und Menschensprache; auch uͤber die saͤmmtlichen Lehrer der Taubstummen. Fragment eines Briefes an <hi rendition="#b">Buͤrger.</hi> (in <hi rendition="#b">Muͤller' s</hi> und <hi rendition="#b">Hofmann' s</hi> medizinischen Annalen.)</p> <p>Hierdurch gelang es mir: seinem nicht geringen, beinahe akademischen Freiheitsstolze Zaum und Gebiß in's Maul zu legen, und den guten Lebrecht ganz an mich zu ketten. Jch wurde gewahr, daß die Krankheit des leidigen Geniefiebers, Sturm und Drang, heimlich in ihm wuͤthete. Wie ich dagegen eiferte, wie und welche Medikamente, aus Beweisen, Thatsachen und Beispielen, ja sogar aus meinem eignen Beispiele komponirt ich ihm eingab: dies behalte ich mir vor kuͤnftig zu erwaͤhnen. Es ist gewiß, daß jeder gute junge Kopf die sublunarische Welt in der Erst als Dichter und Traͤumer angaft. Er schaut alles edler, hoͤher, vollkommner, himmlischer, gelaͤutert und gesaͤubert vom Unreinen, Jrdischen; natuͤrlich auch uͤbertriebner, wilder und verwirrter. Am besten duͤnkt mich, wenn er das im Stillen auskocht; sonst wird er ein Kontreband in der menschlichen Gesellschaft. </p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [58/0060]
Ueberdies brauchte ich bei ihm noch diejenigen schuldlosen Kunstgriffe, mit welchen ich so vielen der Taubstummen Lust zum Lernen inokulirte, und die ich, ohne Winkelzug und Zikzak, dem Publikum enthuͤllte in meinen
Reflexionen uͤber Thier- und Menschensprache; auch uͤber die saͤmmtlichen Lehrer der Taubstummen. Fragment eines Briefes an Buͤrger. (in Muͤller' s und Hofmann' s medizinischen Annalen.)
Hierdurch gelang es mir: seinem nicht geringen, beinahe akademischen Freiheitsstolze Zaum und Gebiß in's Maul zu legen, und den guten Lebrecht ganz an mich zu ketten. Jch wurde gewahr, daß die Krankheit des leidigen Geniefiebers, Sturm und Drang, heimlich in ihm wuͤthete. Wie ich dagegen eiferte, wie und welche Medikamente, aus Beweisen, Thatsachen und Beispielen, ja sogar aus meinem eignen Beispiele komponirt ich ihm eingab: dies behalte ich mir vor kuͤnftig zu erwaͤhnen. Es ist gewiß, daß jeder gute junge Kopf die sublunarische Welt in der Erst als Dichter und Traͤumer angaft. Er schaut alles edler, hoͤher, vollkommner, himmlischer, gelaͤutert und gesaͤubert vom Unreinen, Jrdischen; natuͤrlich auch uͤbertriebner, wilder und verwirrter. Am besten duͤnkt mich, wenn er das im Stillen auskocht; sonst wird er ein Kontreband in der menschlichen Gesellschaft.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 1. Berlin, 1791, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0801_1791/60>, abgerufen am 18.06.2024. |