Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 1. Berlin, 1791.
Jst es Unzufriedenheit mit mir selbst, weil ich andre im hellen Licht erblicke, wodurch ich immer mehr verdunkelt werde; weil ich an andern ein angenehmes Wesen, einen gefälligen unterhaltenden Ton bemerke, den ich an mir selbst vermisse; weil ich merke, daß ich der Gesellschaft mißfällig, lästig -- werde, und daß ich diesen Mißfallen verdiene. Weil ich mir nun nicht mehr soviel zutraue, etwas vorzubringen, daß mit Beifall könnte aufgenommen werden, da ich mich einmal durch mein Stillschweigen in der Gesellschaft unwichtig gemacht habe, und dasjenige, was ich nun sagen will, entweder sehr interessant seyn muß, oder gewiß wenig Beifall finden wird. -- Gott! sollte es jene niedrige Gesinnung, sollte es jener hämische Neid seyn, der Kains Stirne verfinsterte, wenn er die bessern Eigenschaften seines Bruders bemerkte -- o wie verderbt ist dann noch mein Herz. -- Aber ich kann es mich noch nicht überreden, daß dieses die Quelle meines Kummers seyn sollte -- Vielleicht ist es blos Mangel an Selbstzutrauen -- und sollt' es das seyn -- so will ich es
Jst es Unzufriedenheit mit mir selbst, weil ich andre im hellen Licht erblicke, wodurch ich immer mehr verdunkelt werde; weil ich an andern ein angenehmes Wesen, einen gefaͤlligen unterhaltenden Ton bemerke, den ich an mir selbst vermisse; weil ich merke, daß ich der Gesellschaft mißfaͤllig, laͤstig — werde, und daß ich diesen Mißfallen verdiene. Weil ich mir nun nicht mehr soviel zutraue, etwas vorzubringen, daß mit Beifall koͤnnte aufgenommen werden, da ich mich einmal durch mein Stillschweigen in der Gesellschaft unwichtig gemacht habe, und dasjenige, was ich nun sagen will, entweder sehr interessant seyn muß, oder gewiß wenig Beifall finden wird. — Gott! sollte es jene niedrige Gesinnung, sollte es jener haͤmische Neid seyn, der Kains Stirne verfinsterte, wenn er die bessern Eigenschaften seines Bruders bemerkte — o wie verderbt ist dann noch mein Herz. — Aber ich kann es mich noch nicht uͤberreden, daß dieses die Quelle meines Kummers seyn sollte — Vielleicht ist es blos Mangel an Selbstzutrauen — und sollt' es das seyn — so will ich es <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0064" n="62"/><lb/> Beistand dieß Mißvergnuͤgen zu uͤberwinden, daß so oft wider meinen Willen in meiner Seele emporsteigt! — Laß, o laß mich die truͤbe Quelle entdecken, aus welcher so viele finstre Augenblicke dahinstroͤhmen, die den Fruͤhling meines Lebens verdunkeln! — </p> <p>Jst es Unzufriedenheit mit mir selbst, weil ich andre im hellen Licht erblicke, wodurch ich immer mehr verdunkelt werde; weil ich an andern ein angenehmes Wesen, einen gefaͤlligen unterhaltenden Ton bemerke, den ich an mir selbst vermisse; weil ich merke, daß ich der Gesellschaft mißfaͤllig, laͤstig — werde, und daß ich diesen Mißfallen verdiene. </p> <p>Weil ich mir nun nicht mehr soviel zutraue, etwas vorzubringen, daß mit Beifall koͤnnte aufgenommen werden, da ich mich einmal durch mein Stillschweigen in der Gesellschaft unwichtig gemacht habe, und dasjenige, was ich nun sagen will, entweder sehr interessant seyn muß, oder gewiß wenig Beifall finden wird. — </p> <p>Gott! sollte es jene niedrige Gesinnung, sollte es jener haͤmische Neid seyn, der Kains Stirne verfinsterte, wenn er die bessern Eigenschaften seines Bruders bemerkte — o wie verderbt ist dann noch mein Herz. — </p> <p>Aber ich kann es mich noch nicht uͤberreden, daß dieses die Quelle meines Kummers seyn sollte — Vielleicht ist es blos Mangel an Selbstzutrauen — und sollt' es das seyn — so will ich es<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [62/0064]
Beistand dieß Mißvergnuͤgen zu uͤberwinden, daß so oft wider meinen Willen in meiner Seele emporsteigt! — Laß, o laß mich die truͤbe Quelle entdecken, aus welcher so viele finstre Augenblicke dahinstroͤhmen, die den Fruͤhling meines Lebens verdunkeln! —
Jst es Unzufriedenheit mit mir selbst, weil ich andre im hellen Licht erblicke, wodurch ich immer mehr verdunkelt werde; weil ich an andern ein angenehmes Wesen, einen gefaͤlligen unterhaltenden Ton bemerke, den ich an mir selbst vermisse; weil ich merke, daß ich der Gesellschaft mißfaͤllig, laͤstig — werde, und daß ich diesen Mißfallen verdiene.
Weil ich mir nun nicht mehr soviel zutraue, etwas vorzubringen, daß mit Beifall koͤnnte aufgenommen werden, da ich mich einmal durch mein Stillschweigen in der Gesellschaft unwichtig gemacht habe, und dasjenige, was ich nun sagen will, entweder sehr interessant seyn muß, oder gewiß wenig Beifall finden wird. —
Gott! sollte es jene niedrige Gesinnung, sollte es jener haͤmische Neid seyn, der Kains Stirne verfinsterte, wenn er die bessern Eigenschaften seines Bruders bemerkte — o wie verderbt ist dann noch mein Herz. —
Aber ich kann es mich noch nicht uͤberreden, daß dieses die Quelle meines Kummers seyn sollte — Vielleicht ist es blos Mangel an Selbstzutrauen — und sollt' es das seyn — so will ich es
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 1. Berlin, 1791, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0801_1791/64>, abgerufen am 16.06.2024. |