Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 1. Berlin, 1791.Mit dieser Jdee wurde er nach und nach so vertraut, und sie wurde ihm so lieb, daß er sie manchmal um die angenehmsten Aussichten in das Leben nicht hätte vertauschen mögen. Er hatte nun auch wieder einen Brief von Philipp Reiser aus Hannover erhalten, der eben so wie ehemals die Gespräche desselben, statt einer besondern Theilnehmung an seines Freundes Schicksale, eine etwas weitläuftige Schilderung seiner damaligen Liebe enthielt, und wie weit er nun schon in dieser Liebe gekommen sey, und was ihm noch für Hindernisse im Wege ständen. Demohngeachtet trug Reiser diesen Brief beständig bei sich, und laß ihn zum öftern durch, weil Philipp Reiser doch sein einziger Freund war. Ohnweit der Kirschlache war ein angenehmer Spatziergang, wo zwischen grünem Gebüsch im Thale sich ein klarer Bach ergoß. -- Die Aussicht war rund umher gehemmt, und man befand sich in einer reitzenden Einsamkeit. -- Hier brachte Reiser manche Stunde auf den grünen Rasen am Ufer des Baches zu, und dachte über sein Schicksal nach, und wenn er zu denken müde war, so laß er den Brief seines Freundes durch, den er, so wenig ihn auch der Jnhalt interessirte, am Ende fast auswendig lernte -- denn er hatte doch einmal nichts zu lesen, was ihm näher gewesen wäre, als dieser Brief. Mit dieser Jdee wurde er nach und nach so vertraut, und sie wurde ihm so lieb, daß er sie manchmal um die angenehmsten Aussichten in das Leben nicht haͤtte vertauschen moͤgen. Er hatte nun auch wieder einen Brief von Philipp Reiser aus Hannover erhalten, der eben so wie ehemals die Gespraͤche desselben, statt einer besondern Theilnehmung an seines Freundes Schicksale, eine etwas weitlaͤuftige Schilderung seiner damaligen Liebe enthielt, und wie weit er nun schon in dieser Liebe gekommen sey, und was ihm noch fuͤr Hindernisse im Wege staͤnden. Demohngeachtet trug Reiser diesen Brief bestaͤndig bei sich, und laß ihn zum oͤftern durch, weil Philipp Reiser doch sein einziger Freund war. Ohnweit der Kirschlache war ein angenehmer Spatziergang, wo zwischen gruͤnem Gebuͤsch im Thale sich ein klarer Bach ergoß. — Die Aussicht war rund umher gehemmt, und man befand sich in einer reitzenden Einsamkeit. — Hier brachte Reiser manche Stunde auf den gruͤnen Rasen am Ufer des Baches zu, und dachte uͤber sein Schicksal nach, und wenn er zu denken muͤde war, so laß er den Brief seines Freundes durch, den er, so wenig ihn auch der Jnhalt interessirte, am Ende fast auswendig lernte — denn er hatte doch einmal nichts zu lesen, was ihm naͤher gewesen waͤre, als dieser Brief. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0097" n="95"/><lb/> <p>Mit dieser Jdee wurde er nach und nach so vertraut, und sie wurde ihm so lieb, daß er sie manchmal um die angenehmsten Aussichten in das Leben nicht haͤtte vertauschen moͤgen. </p> <p>Er hatte nun auch wieder einen Brief von Philipp Reiser aus Hannover erhalten, der eben so wie ehemals die Gespraͤche desselben, statt einer besondern Theilnehmung an seines Freundes Schicksale, eine etwas weitlaͤuftige Schilderung seiner damaligen Liebe enthielt, und wie weit er nun schon in dieser Liebe gekommen sey, und was ihm noch fuͤr Hindernisse im Wege staͤnden. </p> <p>Demohngeachtet trug Reiser diesen Brief bestaͤndig bei sich, und laß ihn zum oͤftern durch, weil Philipp Reiser doch sein einziger Freund war. </p> <p>Ohnweit der Kirschlache war ein angenehmer Spatziergang, wo zwischen gruͤnem Gebuͤsch im Thale sich ein klarer Bach ergoß. — Die Aussicht war rund umher gehemmt, und man befand sich in einer reitzenden Einsamkeit. — </p> <p>Hier brachte Reiser manche Stunde auf den gruͤnen Rasen am Ufer des Baches zu, und dachte uͤber sein Schicksal nach, und wenn er zu denken muͤde war, so laß er den Brief seines Freundes durch, den er, so wenig ihn auch der Jnhalt interessirte, am Ende fast auswendig lernte — denn er hatte doch einmal nichts zu lesen, was ihm naͤher gewesen waͤre, als dieser Brief. </p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [95/0097]
Mit dieser Jdee wurde er nach und nach so vertraut, und sie wurde ihm so lieb, daß er sie manchmal um die angenehmsten Aussichten in das Leben nicht haͤtte vertauschen moͤgen.
Er hatte nun auch wieder einen Brief von Philipp Reiser aus Hannover erhalten, der eben so wie ehemals die Gespraͤche desselben, statt einer besondern Theilnehmung an seines Freundes Schicksale, eine etwas weitlaͤuftige Schilderung seiner damaligen Liebe enthielt, und wie weit er nun schon in dieser Liebe gekommen sey, und was ihm noch fuͤr Hindernisse im Wege staͤnden.
Demohngeachtet trug Reiser diesen Brief bestaͤndig bei sich, und laß ihn zum oͤftern durch, weil Philipp Reiser doch sein einziger Freund war.
Ohnweit der Kirschlache war ein angenehmer Spatziergang, wo zwischen gruͤnem Gebuͤsch im Thale sich ein klarer Bach ergoß. — Die Aussicht war rund umher gehemmt, und man befand sich in einer reitzenden Einsamkeit. —
Hier brachte Reiser manche Stunde auf den gruͤnen Rasen am Ufer des Baches zu, und dachte uͤber sein Schicksal nach, und wenn er zu denken muͤde war, so laß er den Brief seines Freundes durch, den er, so wenig ihn auch der Jnhalt interessirte, am Ende fast auswendig lernte — denn er hatte doch einmal nichts zu lesen, was ihm naͤher gewesen waͤre, als dieser Brief.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 1. Berlin, 1791, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0801_1791/97>, abgerufen am 18.06.2024. |