Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 3. Berlin, 1792.
Damals war es, als ein dortiger Weltweise Vorlesungen über ein Werk hielt, das, ein Paar Jahre nachher, durch den Druck allgemein bekannt wurde, und den Namen seines Verfassers der Sterblichkeit entzog. Alles strömte nach den Vorlesungen des großen Mannes hin, und E. war keiner der letzten. Sein unsterblicher Lehrer flößte ihm Hochachtung ein, und er wollte ihm in allem gleich werden. Er war sein Jdeal, Er das letzte Ziel menschlicher Vollkommenheit, menschlicher Größe und Würde. Seinem großen Lehrer war abstraktes Denken Zeitvertreib, die tiefste methaphisische Untersuchung angenehme Unterhaltung geworden. Auf seinen einsamen Spatziergängen selbst, soll er sich damit beschäftigen. E. suchte ihm auch hierinn nachzuahmen. Mit Vernachläßigung seines Hauptfaches, der Heilkunde, legte er sich mit allem nur möglichen Eifer auf die Weltweisheit; las, dachte und sprach nichts als von Weltweis-
Damals war es, als ein dortiger Weltweise Vorlesungen uͤber ein Werk hielt, das, ein Paar Jahre nachher, durch den Druck allgemein bekannt wurde, und den Namen seines Verfassers der Sterblichkeit entzog. Alles stroͤmte nach den Vorlesungen des großen Mannes hin, und E. war keiner der letzten. Sein unsterblicher Lehrer floͤßte ihm Hochachtung ein, und er wollte ihm in allem gleich werden. Er war sein Jdeal, Er das letzte Ziel menschlicher Vollkommenheit, menschlicher Groͤße und Wuͤrde. Seinem großen Lehrer war abstraktes Denken Zeitvertreib, die tiefste methaphisische Untersuchung angenehme Unterhaltung geworden. Auf seinen einsamen Spatziergaͤngen selbst, soll er sich damit beschaͤftigen. E. suchte ihm auch hierinn nachzuahmen. Mit Vernachlaͤßigung seines Hauptfaches, der Heilkunde, legte er sich mit allem nur moͤglichen Eifer auf die Weltweisheit; las, dachte und sprach nichts als von Weltweis- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0070" n="70"/><lb/> welchem er sich bald auszeichnen, und wodurch er sich bald in den Stand setzen wuͤrde, seinen vorhabenden Plan auszufuͤhren. Er verließ daher seine Stelle als Buchhalter, ließ sich auf der dasigen Universitaͤt als Student einschreiben, und legte sich mit <choice><corr>ungemeinem</corr><sic>ungemeinen</sic></choice> Fleiße auf die Wissenschaften. Seinen Unterhalt hatte er der Freigebigkeit seines Herrn und der uͤbrigen dortigen Judenschaft zu verdanken. </p> <p>Damals war es, als ein dortiger Weltweise Vorlesungen uͤber ein Werk hielt, das, ein Paar Jahre nachher, durch den Druck allgemein bekannt wurde, und den Namen seines Verfassers der Sterblichkeit entzog. Alles stroͤmte nach den Vorlesungen des großen Mannes hin, und E. war keiner der letzten. Sein unsterblicher Lehrer floͤßte ihm Hochachtung ein, und er wollte ihm in allem gleich werden. Er war sein Jdeal, Er das letzte Ziel menschlicher Vollkommenheit, menschlicher Groͤße und Wuͤrde. Seinem großen Lehrer war abstraktes Denken Zeitvertreib, die tiefste methaphisische Untersuchung angenehme Unterhaltung geworden. Auf seinen einsamen Spatziergaͤngen selbst, soll er sich damit beschaͤftigen. E. suchte ihm auch hierinn nachzuahmen. Mit Vernachlaͤßigung seines Hauptfaches, der Heilkunde, legte er sich mit allem nur moͤglichen Eifer auf die Weltweisheit; las, dachte und sprach nichts als von Weltweis-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [70/0070]
welchem er sich bald auszeichnen, und wodurch er sich bald in den Stand setzen wuͤrde, seinen vorhabenden Plan auszufuͤhren. Er verließ daher seine Stelle als Buchhalter, ließ sich auf der dasigen Universitaͤt als Student einschreiben, und legte sich mit ungemeinem Fleiße auf die Wissenschaften. Seinen Unterhalt hatte er der Freigebigkeit seines Herrn und der uͤbrigen dortigen Judenschaft zu verdanken.
Damals war es, als ein dortiger Weltweise Vorlesungen uͤber ein Werk hielt, das, ein Paar Jahre nachher, durch den Druck allgemein bekannt wurde, und den Namen seines Verfassers der Sterblichkeit entzog. Alles stroͤmte nach den Vorlesungen des großen Mannes hin, und E. war keiner der letzten. Sein unsterblicher Lehrer floͤßte ihm Hochachtung ein, und er wollte ihm in allem gleich werden. Er war sein Jdeal, Er das letzte Ziel menschlicher Vollkommenheit, menschlicher Groͤße und Wuͤrde. Seinem großen Lehrer war abstraktes Denken Zeitvertreib, die tiefste methaphisische Untersuchung angenehme Unterhaltung geworden. Auf seinen einsamen Spatziergaͤngen selbst, soll er sich damit beschaͤftigen. E. suchte ihm auch hierinn nachzuahmen. Mit Vernachlaͤßigung seines Hauptfaches, der Heilkunde, legte er sich mit allem nur moͤglichen Eifer auf die Weltweisheit; las, dachte und sprach nichts als von Weltweis-
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 3. Berlin, 1792, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0903_1792/70>, abgerufen am 14.06.2024. |