Mügge, Theodor: Am Malanger Fjord. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–176. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.haben, daß dies Mädchen, Stolz und Abkunft verleugnend, einem Lappen nachliefe?! Aber wenn es so wäre? Weiberherzen sind Geheimnisse, die Niemand ergründet. -- Erzählt nicht schon Ariost, murmelte er leise lachend, daß eine schöne Königin heimlich das Bett ihres jungen, ritterlichen Gemahls verließ, um einen ekelhaften Zwerg allnächtlich zu liebkosen, der sie schlug und biß, während sie weinend ihm zu Füßen lag? Er ging langsam am Hause hin und war mit wenigen Schritten im Schatten der Birkenbüsche an der Felsenwand. Hier stand er still und betrachtete die Fenster und die Ruhe des schlafenden Hauses. Kein Ton, der von Leben zeugte, kein Lichtstrahl, keine Bewegung. Leichte Nebel wälzten sich vom Fjord auf und wickelten den kleinen Grasplatz in feuchte Schleier. Auf keinen Fall kann mir ein abkühlender Spaziergang schaden, sagte er. Schlaf wohl, du süßes, verleumdetes Kind, morgen will ich Buße thun und deine frischen Lippen küssen. So ging er zwischen den Gebüschen fort und erreichte nicht ohne Gefahr endlich die hohe Klippe und die Stufen, welche hinauf führten. Einer jener Nebel, die hier urplötzlich kommen und eben so schnell wieder verschwinden, deckte Wasser und Land zu und wirbelte über die Klippe zusammen. Unten rauschte das Meer und klopfte an die steile Wand, welche senkrecht niederfiel. Stureson trat dicht an den Rand des Abgrundes, kreuzte die Arme und hörte in die haben, daß dies Mädchen, Stolz und Abkunft verleugnend, einem Lappen nachliefe?! Aber wenn es so wäre? Weiberherzen sind Geheimnisse, die Niemand ergründet. — Erzählt nicht schon Ariost, murmelte er leise lachend, daß eine schöne Königin heimlich das Bett ihres jungen, ritterlichen Gemahls verließ, um einen ekelhaften Zwerg allnächtlich zu liebkosen, der sie schlug und biß, während sie weinend ihm zu Füßen lag? Er ging langsam am Hause hin und war mit wenigen Schritten im Schatten der Birkenbüsche an der Felsenwand. Hier stand er still und betrachtete die Fenster und die Ruhe des schlafenden Hauses. Kein Ton, der von Leben zeugte, kein Lichtstrahl, keine Bewegung. Leichte Nebel wälzten sich vom Fjord auf und wickelten den kleinen Grasplatz in feuchte Schleier. Auf keinen Fall kann mir ein abkühlender Spaziergang schaden, sagte er. Schlaf wohl, du süßes, verleumdetes Kind, morgen will ich Buße thun und deine frischen Lippen küssen. So ging er zwischen den Gebüschen fort und erreichte nicht ohne Gefahr endlich die hohe Klippe und die Stufen, welche hinauf führten. Einer jener Nebel, die hier urplötzlich kommen und eben so schnell wieder verschwinden, deckte Wasser und Land zu und wirbelte über die Klippe zusammen. Unten rauschte das Meer und klopfte an die steile Wand, welche senkrecht niederfiel. Stureson trat dicht an den Rand des Abgrundes, kreuzte die Arme und hörte in die <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <p><pb facs="#f0084"/> haben, daß dies Mädchen, Stolz und Abkunft verleugnend, einem Lappen nachliefe?! Aber wenn es so wäre? Weiberherzen sind Geheimnisse, die Niemand ergründet. — Erzählt nicht schon Ariost, murmelte er leise lachend, daß eine schöne Königin heimlich das Bett ihres jungen, ritterlichen Gemahls verließ, um einen ekelhaften Zwerg allnächtlich zu liebkosen, der sie schlug und biß, während sie weinend ihm zu Füßen lag? </p><lb/> <p> Er ging langsam am Hause hin und war mit wenigen Schritten im Schatten der Birkenbüsche an der Felsenwand. Hier stand er still und betrachtete die Fenster und die Ruhe des schlafenden Hauses. Kein Ton, der von Leben zeugte, kein Lichtstrahl, keine Bewegung. Leichte Nebel wälzten sich vom Fjord auf und wickelten den kleinen Grasplatz in feuchte Schleier. Auf keinen Fall kann mir ein abkühlender Spaziergang schaden, sagte er. Schlaf wohl, du süßes, verleumdetes Kind, morgen will ich Buße thun und deine frischen Lippen küssen. </p><lb/> <p> So ging er zwischen den Gebüschen fort und erreichte nicht ohne Gefahr endlich die hohe Klippe und die Stufen, welche hinauf führten. Einer jener Nebel, die hier urplötzlich kommen und eben so schnell wieder verschwinden, deckte Wasser und Land zu und wirbelte über die Klippe zusammen. Unten rauschte das Meer und klopfte an die steile Wand, welche senkrecht niederfiel. Stureson trat dicht an den Rand des Abgrundes, kreuzte die Arme und hörte in die<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0084]
haben, daß dies Mädchen, Stolz und Abkunft verleugnend, einem Lappen nachliefe?! Aber wenn es so wäre? Weiberherzen sind Geheimnisse, die Niemand ergründet. — Erzählt nicht schon Ariost, murmelte er leise lachend, daß eine schöne Königin heimlich das Bett ihres jungen, ritterlichen Gemahls verließ, um einen ekelhaften Zwerg allnächtlich zu liebkosen, der sie schlug und biß, während sie weinend ihm zu Füßen lag?
Er ging langsam am Hause hin und war mit wenigen Schritten im Schatten der Birkenbüsche an der Felsenwand. Hier stand er still und betrachtete die Fenster und die Ruhe des schlafenden Hauses. Kein Ton, der von Leben zeugte, kein Lichtstrahl, keine Bewegung. Leichte Nebel wälzten sich vom Fjord auf und wickelten den kleinen Grasplatz in feuchte Schleier. Auf keinen Fall kann mir ein abkühlender Spaziergang schaden, sagte er. Schlaf wohl, du süßes, verleumdetes Kind, morgen will ich Buße thun und deine frischen Lippen küssen.
So ging er zwischen den Gebüschen fort und erreichte nicht ohne Gefahr endlich die hohe Klippe und die Stufen, welche hinauf führten. Einer jener Nebel, die hier urplötzlich kommen und eben so schnell wieder verschwinden, deckte Wasser und Land zu und wirbelte über die Klippe zusammen. Unten rauschte das Meer und klopfte an die steile Wand, welche senkrecht niederfiel. Stureson trat dicht an den Rand des Abgrundes, kreuzte die Arme und hörte in die
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/muegge_fjord_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/muegge_fjord_1910/84 |
Zitationshilfe: | Mügge, Theodor: Am Malanger Fjord. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–176. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muegge_fjord_1910/84>, abgerufen am 18.06.2024. |