der Methode auch noch von einer andern Seite zu fin- den, den ich ihnen hier mit vorrücken muß, ob er gleich nicht eigentlich den Unterricht sondern die Er- ziehung unmittelbar betrifft.
Die Sucht, die Kinder recht bei Zeiten vernünftig zu machen, zeigt sich nämlich auch in der Mode der sittlichen Bildung. Alles soll das Kind aus vernünfti- gen begriffenen Gründen thun: das nennt ihr das Vor- recht des vernünftigen Wesens! Und nun martert ihr euch und das Kind, ihm alle eure Gebote und Ver- bote vernünftig zu machen: ihr zeigt ihm alle eure Gründe, die ihr für das Kind geeignet haltet, und wollt es überzeugen, daß ihr ihm nur das Gute und das Rechte geheißen, damit es nun aus Ueberzeugung von dem Rechten eurem Befehl als seinem eigenen folge. Das klingt gar sehr vernünftig, und fast erhaben! So werdet ihr die wahren Autonomen bilden, die, wie es der Vernunft gebührt, keinem andern Gebot, als ihrem eigenen, sich unterwerfen! -- Aber, ich bitte euch, sehet doch genauer zu, was ihr thut. Ihr wollet das Kind vernünftig machen, und behandelt es, als ob es schon vernünftig wäre! Ihr werdet sagen: "dadurch eben, und dadurch allein, wird die Ver- nunft gebildet, daß man sie als Vernunft behandelt." Allein eben mit der halben Wahrheit dieser Ansicht täu- schet ihr euch. Als Vernunft sollt ihr freilich das Kind behandeln, denn nur so werdet ihr es zur Vernunft bilden. Aber heißt denn das Vernunft, dem Kinde unaufhörlich von Vernunft vorreden? Was bildet
Von d. Grundſ. d. Erziehungsunterr. im Allgem.
der Methode auch noch von einer andern Seite zu fin- den, den ich ihnen hier mit vorruͤcken muß, ob er gleich nicht eigentlich den Unterricht ſondern die Er- ziehung unmittelbar betrifft.
Die Sucht, die Kinder recht bei Zeiten vernuͤnftig zu machen, zeigt ſich naͤmlich auch in der Mode der ſittlichen Bildung. Alles ſoll das Kind aus vernuͤnfti- gen begriffenen Gruͤnden thun: das nennt ihr das Vor- recht des vernuͤnftigen Weſens! Und nun martert ihr euch und das Kind, ihm alle eure Gebote und Ver- bote vernuͤnftig zu machen: ihr zeigt ihm alle eure Gruͤnde, die ihr fuͤr das Kind geeignet haltet, und wollt es uͤberzeugen, daß ihr ihm nur das Gute und das Rechte geheißen, damit es nun aus Ueberzeugung von dem Rechten eurem Befehl als ſeinem eigenen folge. Das klingt gar ſehr vernuͤnftig, und faſt erhaben! So werdet ihr die wahren Autonomen bilden, die, wie es der Vernunft gebuͤhrt, keinem andern Gebot, als ihrem eigenen, ſich unterwerfen! — Aber, ich bitte euch, ſehet doch genauer zu, was ihr thut. Ihr wollet das Kind vernuͤnftig machen, und behandelt es, als ob es ſchon vernuͤnftig waͤre! Ihr werdet ſagen: „dadurch eben, und dadurch allein, wird die Ver- nunft gebildet, daß man ſie als Vernunft behandelt.“ Allein eben mit der halben Wahrheit dieſer Anſicht taͤu- ſchet ihr euch. Als Vernunft ſollt ihr freilich das Kind behandeln, denn nur ſo werdet ihr es zur Vernunft bilden. Aber heißt denn das Vernunft, dem Kinde unaufhoͤrlich von Vernunft vorreden? Was bildet
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><p><pbfacs="#f0291"n="279"/><fwplace="top"type="header">Von d. Grundſ. d. Erziehungsunterr. im Allgem.</fw><lb/>
der Methode auch noch von einer andern Seite zu fin-<lb/>
den, den ich ihnen hier mit vorruͤcken muß, ob er<lb/>
gleich nicht eigentlich den <hirendition="#g">Unterricht</hi>ſondern die <hirendition="#g">Er-<lb/>
ziehung</hi> unmittelbar betrifft.</p><lb/><p>Die Sucht, die Kinder recht bei Zeiten vernuͤnftig<lb/>
zu machen, zeigt ſich naͤmlich auch in der Mode der<lb/>ſittlichen Bildung. Alles ſoll das Kind aus vernuͤnfti-<lb/>
gen begriffenen Gruͤnden thun: das nennt ihr das Vor-<lb/>
recht des vernuͤnftigen Weſens! Und nun martert ihr<lb/>
euch und das Kind, ihm alle eure Gebote und Ver-<lb/>
bote vernuͤnftig zu machen: ihr zeigt ihm alle eure<lb/>
Gruͤnde, die ihr fuͤr das Kind geeignet haltet, und<lb/>
wollt es uͤberzeugen, daß ihr ihm nur das Gute und<lb/>
das Rechte geheißen, damit es nun aus Ueberzeugung<lb/>
von dem Rechten eurem Befehl als ſeinem eigenen folge.<lb/>
Das klingt gar ſehr vernuͤnftig, und faſt erhaben!<lb/>
So werdet ihr die wahren Autonomen bilden, die,<lb/>
wie es der Vernunft gebuͤhrt, keinem andern Gebot,<lb/>
als ihrem eigenen, ſich unterwerfen! — Aber, ich<lb/>
bitte euch, ſehet doch genauer zu, was ihr thut. Ihr<lb/>
wollet das Kind vernuͤnftig machen, und behandelt es,<lb/>
als ob es ſchon vernuͤnftig waͤre! Ihr werdet ſagen:<lb/>„dadurch eben, und dadurch allein, wird die Ver-<lb/>
nunft gebildet, daß man ſie als Vernunft behandelt.“<lb/>
Allein eben mit der halben Wahrheit dieſer Anſicht taͤu-<lb/>ſchet ihr euch. Als Vernunft ſollt ihr freilich das Kind<lb/>
behandeln, denn nur ſo werdet ihr es zur Vernunft<lb/>
bilden. Aber heißt denn das Vernunft, dem Kinde<lb/>
unaufhoͤrlich von Vernunft vorreden? Was bildet<lb/></p></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[279/0291]
Von d. Grundſ. d. Erziehungsunterr. im Allgem.
der Methode auch noch von einer andern Seite zu fin-
den, den ich ihnen hier mit vorruͤcken muß, ob er
gleich nicht eigentlich den Unterricht ſondern die Er-
ziehung unmittelbar betrifft.
Die Sucht, die Kinder recht bei Zeiten vernuͤnftig
zu machen, zeigt ſich naͤmlich auch in der Mode der
ſittlichen Bildung. Alles ſoll das Kind aus vernuͤnfti-
gen begriffenen Gruͤnden thun: das nennt ihr das Vor-
recht des vernuͤnftigen Weſens! Und nun martert ihr
euch und das Kind, ihm alle eure Gebote und Ver-
bote vernuͤnftig zu machen: ihr zeigt ihm alle eure
Gruͤnde, die ihr fuͤr das Kind geeignet haltet, und
wollt es uͤberzeugen, daß ihr ihm nur das Gute und
das Rechte geheißen, damit es nun aus Ueberzeugung
von dem Rechten eurem Befehl als ſeinem eigenen folge.
Das klingt gar ſehr vernuͤnftig, und faſt erhaben!
So werdet ihr die wahren Autonomen bilden, die,
wie es der Vernunft gebuͤhrt, keinem andern Gebot,
als ihrem eigenen, ſich unterwerfen! — Aber, ich
bitte euch, ſehet doch genauer zu, was ihr thut. Ihr
wollet das Kind vernuͤnftig machen, und behandelt es,
als ob es ſchon vernuͤnftig waͤre! Ihr werdet ſagen:
„dadurch eben, und dadurch allein, wird die Ver-
nunft gebildet, daß man ſie als Vernunft behandelt.“
Allein eben mit der halben Wahrheit dieſer Anſicht taͤu-
ſchet ihr euch. Als Vernunft ſollt ihr freilich das Kind
behandeln, denn nur ſo werdet ihr es zur Vernunft
bilden. Aber heißt denn das Vernunft, dem Kinde
unaufhoͤrlich von Vernunft vorreden? Was bildet
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Niethammer, Friedrich Immanuel: Der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit. Jena, 1808, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niethammer_philantropinismus_1808/291>, abgerufen am 14.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.