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Social-politische Blätter. 2. Lieferung. Berlin, 3. Februar 1873.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 46
[Beginn Spaltensatz]

Jetzt begegnete man nur noch drohenden Blicken, und das
Wort Kampf schwebte auf allen Lippen. Die Arbeiter, welche
das Resultat des 5 ten und die Entfaltung ihrer Kräfte am 6ten
ermuthigt, glauben schon Herren der Stadt zu sein. Die Sache
der Mutualisten war auf Mittwoch den 9. April ausgesetzt wor-
den; am 9ten wird es also zum Kampfe kommen: das bezweifelt
Niemand in Lyon. Der Gesammtausschuß hat sich in der Nacht
versammelt, um sich über die verhängnißvolle Frage zu berathen,
und Widerstand ist beschlossen worden; man wird nicht angreifen,
aber man wird sich bereit halten, den Angriff abzuschlagen. Die
Sektionen werden ununterbrochen versammelt bleiben. Die Pa-
role wird sein: Association, Widerstand und Muth.
Lagrange, welcher den Kampf für unzeitig gehalten hatte, wurde
dennoch zur Theilnahme an der Leitung desselben berufen, und
man übertrug ihm so wie Herrn Baune und einigen Andern die
Leitung einer weniger vorbereiteten als vorhergesehenen Jnsurrek-
tion. Daher fehlte auch jeder feste Plan, jede Schlachtordnung.
Man befand sich in der vollständigsten Ungewißheit über die
Art, wie man den Angriff aushalten wollte, über die Besetzung
der militairischen Punkte, über die Verbindungen zwischen den
verschiedenen Posten, sowie über den taktischen Theil der Jn-
surrektion. Jn einem so kritischen Augenblicke waren die Mit-
glieder des Ausschusses berechtigt, ihren Einfluß einer Probe
zu unterwerfen; sie appellirten an eine neue Wahl; sie wurden
einstimmig wiedererwählt und hatten nun definitiv die Verant-
wortlichkeit zu tragen. Nun entwarf Herr Martin eine Prokla-
mation, die am folgenden Tage vorgelesen werden sollte. Sie
athmete Zorn und war dennoch kein Aufruf zu den Waffen; doch
wuchs die Gährung von Stunde zu Stunde.

Nur die Behörde wäre im Stande gewesen, die Krisis zu
verhindern oder wenigstens hinauszuschieben; aber alle Umstände
bewiesen, daß sie es nicht wollte. Vergeblich forderte der Prä-
sident des Gerichts, Herr Pic, daß der Prozeß der Mutualisten
einem andern Gerichte übergeben werde, welches Recht dem Ge-
setze für gewisse ernste Fälle vorbehalten ist; aber die Forderung
Herrn Pic's wurde abgeschlagen. Nie war die Gelegenheit gün-
stiger gewesen, um einen großen Schlag zu führen, um die Re-
publikaner niederzuschmettern, und man hatte sich in den Stand
gesetzt, diese Gelegenheit zu benutzen. Funfzehn Bataillone, vier
Kompagnieen, sieben Schwadrone, zehn Artillerie=Batterien, zwei
Pionier=Kompagnieen waren die Streitkräfte, auf welche sich
die Behörde stützte, ohne die Unterstützungen in Anschlag zu brin-
gen, welche die benachbarten Garnisonen während des Kampfes
absenden sollten.

Jn der Nacht vom 8ten zum 9ten ging den Truppen, die
in der Stadt verbreitet waren, der letzte Befehl zu, und der
Tag ging über eine Stadt auf, die sich in ein Lager verwandelt
hatte.

Die Truppen waren so aufgestellt, daß sie die Empörung
von Anbeginn an abschnitten, und damit die Deserteure auf der
Stelle erschossen werden könnten, hatte man die Fahnen mit-
nehmen lassen. Der Generallientenant Aymar steht auf dem
Platze Bellecour, der General Fleury in der Croix=Rousse, der
General Buchet beim Erzbisthume, der Oberst Dietmann beim
Rathhause. Jeder Soldat hat drei Packete Patronen, und die
Gewehre sind geladen. Das siebente leichte Regiment, von
welchem eine Kompagnie am 5. April mit dem Volke fraternisirt
hatte, steht auf dem Platze St. Jean. Die Kathedrale, die an
diesen Platz grenzt, ist voll von Truppen, und Bajonnette schim-
mern zwischen den gothischen Gesimsen des heiligen Gebäudes.
Die Physiognomie der Stadt war schrecklich. Es herrschte Auf-
regung in derselben, aber stumme, unerklärliche Aufregung.
Das Rauschen der bewegten Menge und Einsamkeit folgen an
einem und demselben Orte schnell aufeinander.

Es ist ungefähr10 1 / 2 Uhr. Der Platz St. Jean, der einen
Augenblick mit Menschen bedeckt gewesen war, ist plötzlich verein-
samt. Das Volk strömt in die benachbarten Straßen zurück,
und einige Kinder suchen unter den Augen der schweigend zu-
schauenden Menge Barrikaden aufzuwerfen. Jm Gerichtshofe
sitzen die verhafteten Mutualisten den Richtern gegenüber, welche
eine angemessene Haltung zu bewahren suchen, gegen ihre Be-
klommenheit ankämpfen und zerstreut die Vertheidigungsrede
Jules Favre's anhörten. Damals war Herr Jules Favre
unbekannt und Arbeiterfreund, jetzt aber ist er der Mörder der
Pariser Communisten. -- Plötzlich ertönt eine Salve. Favre
hält inne. Advokaten, Richter, Angeklagte, Anwesende sind bleich
geworden. Bald bringt man einen mit Blut bedeckten Menschen
[Spaltenumbruch] in den Hof des Gerichts. Die ihn Begleitenden sagen: "Das
ist ein Jnsurgent, welchen ein Gensd'arm getödtet hat, während
er an einer Barrikade arbeitete. Man bemüht sich um den Un-
glücklichen; aber wie groß ist die Verwunderung, als man unter
den geöffneten Kleidern den Gürtel der geheimen Polizeiagenten
bemerkt. Der Unglückliche hieß Faivre und hauchte bald seinen
Geist aus. Also ging der erste Schuß von den Truppen aus,
und die Polizei lieferte das erste Opfer.

( Schluß folgt )



Die Revolution der Gesellschaft

muß sich allerdings von unten vollziehen -- darüber braucht
man wahrlich keine weiteren Worte zu verlieren; aber daß die
anderen Elemente der Gesellschaft sich feindselig verhalten müssen,
ist durchaus nicht richtig in ihrem eignen Jnteresse.

Das arbeitende Volk muß sicherlich seine Sache selbst
in die Hand nehmen und der Arbeit ihr Recht, der Arbeit
die ihr gebührende Anerkennung verschaffen. Das bezweckt der
Socialismus; deßhalb revolutionirt er das arbeitende Volk, er
zwingt es zum Nachdenken, zu dem Nachdenken, die eigene Lage
erkennen zu lernen.

Nun aber erklären immerfort die unklaren Köpfe, welche
im Princip den Socialismns anerkennen,
daß durch den
socialistischen Staat die Klassenherrschaft des Proletariats
festgestellt werde, und diese Klassenberrschaft ebenso verwerflich sei,
als die Klassenherrschaft der andern Stände.

Wir verstehen diese Ansicht; und uns kann es nur um eine
vernünftige Widerlegung zu thun sein. -- Diese ganze politisch-
ökonomische Streitfrage aber ist nicht nur höchst interessant, son-
dern auch vorzüglich für die fortgeschrittenen Anhänger des Socia-
lismus in dem Grade lehrreich, daß wir ausführlich den Gegen-
stand behandeln werden. -- Für diese Lieferung müssen wir uns
allerdings auf einen Abdruck eines Louis Blanc'schen Briefes be-
schränken, welchen er in Bezug auf derlei unmotivirte Anschauungs-
weisen dem Redacteur des " Journal des Debats " am 17. Juli
1848 zuschickte. Die Kritik dieses Briefes, wie unsere Aus-
führungen über den angeregten Gegenstand behalten wir uns vor
für die nächste Lieferung. -- Der Brief Louis Blanc's lautet
im Auszuge:

" So sagte ich in der Sitzung vom 3. März 1848 zu den
Mitgliedern des Ausschusses für die arbeitenden Klassen:

Die ausschließlichen Vorurtheile des Parteigeistes, die bit-
tern Erinnerungen an die vergangenen Kämpfe müssen von bei-
den Theilen vermieden werden.

Jch verlange von den Männern, die ich hierher berufe,
nur zwei Bedingungen: einen sehr festen Willen, das Gute zu
thun, und anerkannte Fähigkeit.

Es geziemt sich, dem Vaterlande das Schauspiel einer Ver-
einigung von Männern zu geben, welche, sämmtlich von dem
Geiste des Forschritts beseelt, wenn auch oft hinsichtlich einzelner
Fragen verschiedener Ansicht, sich beeilen, ihre frühere Meinungs-
verschiedenheit zu vergessen und gemeinschaftlich ihre Einsicht und
Ergebenheit dem Vortheile Aller zu widmen.

Am 17. März sagte ich zu den in der ehemaligen Pairs-
kammer versammelten Abgeordneten: Bedenken Sie stets, daß
ich nicht etwa als der ausschließliche Repräsentant einer Faction,
oder auch nur einer Klasse zu Jhnen spreche. Nein, der Fort-
schritt besteht für mich nur in der Bedingung, Allen zu nützen,
Allen ohne Ausnahme. Der Fortschritt ist für mich nur die
anerkannte Gegenseitigkeit. Wissen Sie, warum ich in meinem
Herzen dem Princip des Antagonismus, der Concurrenz, den
Krieg auf Leben und Tod erklärt habe? Nicht nur weil er oft
genug das Unglück des Arbeiters bewirkt, sondern auch eben so
oft das Unglück des Arbeitgebers begründet hat; weil er die
Tyrannei nur aus einer Hand in die andere legt, wenn er sie nicht
überhaupt zu einer fortdauernden macht. Nun ist mir aber die
Tyrannei verhaßt, von welcher Seite sie auch kommen mag.

Dieselbe Ansicht drückte sich in anderer Form in der Sitzung
vom 10. März 1848 aus. Man kann es nicht oft genug
wiederholen, daß man die Sache der Reichen vertritt, daß man
den allgemeinen Vortheil vertheidigt, wenn man die Sache der
Armen vertritt. Daher gehören wir auch durchaus keiner Partei
[Ende Spaltensatz]

Zur Unterhaltung und Belehrung. 46
[Beginn Spaltensatz]

Jetzt begegnete man nur noch drohenden Blicken, und das
Wort Kampf schwebte auf allen Lippen. Die Arbeiter, welche
das Resultat des 5 ten und die Entfaltung ihrer Kräfte am 6ten
ermuthigt, glauben schon Herren der Stadt zu sein. Die Sache
der Mutualisten war auf Mittwoch den 9. April ausgesetzt wor-
den; am 9ten wird es also zum Kampfe kommen: das bezweifelt
Niemand in Lyon. Der Gesammtausschuß hat sich in der Nacht
versammelt, um sich über die verhängnißvolle Frage zu berathen,
und Widerstand ist beschlossen worden; man wird nicht angreifen,
aber man wird sich bereit halten, den Angriff abzuschlagen. Die
Sektionen werden ununterbrochen versammelt bleiben. Die Pa-
role wird sein: Association, Widerstand und Muth.
Lagrange, welcher den Kampf für unzeitig gehalten hatte, wurde
dennoch zur Theilnahme an der Leitung desselben berufen, und
man übertrug ihm so wie Herrn Baune und einigen Andern die
Leitung einer weniger vorbereiteten als vorhergesehenen Jnsurrek-
tion. Daher fehlte auch jeder feste Plan, jede Schlachtordnung.
Man befand sich in der vollständigsten Ungewißheit über die
Art, wie man den Angriff aushalten wollte, über die Besetzung
der militairischen Punkte, über die Verbindungen zwischen den
verschiedenen Posten, sowie über den taktischen Theil der Jn-
surrektion. Jn einem so kritischen Augenblicke waren die Mit-
glieder des Ausschusses berechtigt, ihren Einfluß einer Probe
zu unterwerfen; sie appellirten an eine neue Wahl; sie wurden
einstimmig wiedererwählt und hatten nun definitiv die Verant-
wortlichkeit zu tragen. Nun entwarf Herr Martin eine Prokla-
mation, die am folgenden Tage vorgelesen werden sollte. Sie
athmete Zorn und war dennoch kein Aufruf zu den Waffen; doch
wuchs die Gährung von Stunde zu Stunde.

Nur die Behörde wäre im Stande gewesen, die Krisis zu
verhindern oder wenigstens hinauszuschieben; aber alle Umstände
bewiesen, daß sie es nicht wollte. Vergeblich forderte der Prä-
sident des Gerichts, Herr Pic, daß der Prozeß der Mutualisten
einem andern Gerichte übergeben werde, welches Recht dem Ge-
setze für gewisse ernste Fälle vorbehalten ist; aber die Forderung
Herrn Pic's wurde abgeschlagen. Nie war die Gelegenheit gün-
stiger gewesen, um einen großen Schlag zu führen, um die Re-
publikaner niederzuschmettern, und man hatte sich in den Stand
gesetzt, diese Gelegenheit zu benutzen. Funfzehn Bataillone, vier
Kompagnieen, sieben Schwadrone, zehn Artillerie=Batterien, zwei
Pionier=Kompagnieen waren die Streitkräfte, auf welche sich
die Behörde stützte, ohne die Unterstützungen in Anschlag zu brin-
gen, welche die benachbarten Garnisonen während des Kampfes
absenden sollten.

Jn der Nacht vom 8ten zum 9ten ging den Truppen, die
in der Stadt verbreitet waren, der letzte Befehl zu, und der
Tag ging über eine Stadt auf, die sich in ein Lager verwandelt
hatte.

Die Truppen waren so aufgestellt, daß sie die Empörung
von Anbeginn an abschnitten, und damit die Deserteure auf der
Stelle erschossen werden könnten, hatte man die Fahnen mit-
nehmen lassen. Der Generallientenant Aymar steht auf dem
Platze Bellecour, der General Fleury in der Croix=Rousse, der
General Buchet beim Erzbisthume, der Oberst Dietmann beim
Rathhause. Jeder Soldat hat drei Packete Patronen, und die
Gewehre sind geladen. Das siebente leichte Regiment, von
welchem eine Kompagnie am 5. April mit dem Volke fraternisirt
hatte, steht auf dem Platze St. Jean. Die Kathedrale, die an
diesen Platz grenzt, ist voll von Truppen, und Bajonnette schim-
mern zwischen den gothischen Gesimsen des heiligen Gebäudes.
Die Physiognomie der Stadt war schrecklich. Es herrschte Auf-
regung in derselben, aber stumme, unerklärliche Aufregung.
Das Rauschen der bewegten Menge und Einsamkeit folgen an
einem und demselben Orte schnell aufeinander.

Es ist ungefähr10 1 / 2 Uhr. Der Platz St. Jean, der einen
Augenblick mit Menschen bedeckt gewesen war, ist plötzlich verein-
samt. Das Volk strömt in die benachbarten Straßen zurück,
und einige Kinder suchen unter den Augen der schweigend zu-
schauenden Menge Barrikaden aufzuwerfen. Jm Gerichtshofe
sitzen die verhafteten Mutualisten den Richtern gegenüber, welche
eine angemessene Haltung zu bewahren suchen, gegen ihre Be-
klommenheit ankämpfen und zerstreut die Vertheidigungsrede
Jules Favre's anhörten. Damals war Herr Jules Favre
unbekannt und Arbeiterfreund, jetzt aber ist er der Mörder der
Pariser Communisten. — Plötzlich ertönt eine Salve. Favre
hält inne. Advokaten, Richter, Angeklagte, Anwesende sind bleich
geworden. Bald bringt man einen mit Blut bedeckten Menschen
[Spaltenumbruch] in den Hof des Gerichts. Die ihn Begleitenden sagen: „Das
ist ein Jnsurgent, welchen ein Gensd'arm getödtet hat, während
er an einer Barrikade arbeitete. Man bemüht sich um den Un-
glücklichen; aber wie groß ist die Verwunderung, als man unter
den geöffneten Kleidern den Gürtel der geheimen Polizeiagenten
bemerkt. Der Unglückliche hieß Faivre und hauchte bald seinen
Geist aus. Also ging der erste Schuß von den Truppen aus,
und die Polizei lieferte das erste Opfer.

( Schluß folgt )



Die Revolution der Gesellschaft

muß sich allerdings von unten vollziehen — darüber braucht
man wahrlich keine weiteren Worte zu verlieren; aber daß die
anderen Elemente der Gesellschaft sich feindselig verhalten müssen,
ist durchaus nicht richtig in ihrem eignen Jnteresse.

Das arbeitende Volk muß sicherlich seine Sache selbst
in die Hand nehmen und der Arbeit ihr Recht, der Arbeit
die ihr gebührende Anerkennung verschaffen. Das bezweckt der
Socialismus; deßhalb revolutionirt er das arbeitende Volk, er
zwingt es zum Nachdenken, zu dem Nachdenken, die eigene Lage
erkennen zu lernen.

Nun aber erklären immerfort die unklaren Köpfe, welche
im Princip den Socialismns anerkennen,
daß durch den
socialistischen Staat die Klassenherrschaft des Proletariats
festgestellt werde, und diese Klassenberrschaft ebenso verwerflich sei,
als die Klassenherrschaft der andern Stände.

Wir verstehen diese Ansicht; und uns kann es nur um eine
vernünftige Widerlegung zu thun sein. — Diese ganze politisch-
ökonomische Streitfrage aber ist nicht nur höchst interessant, son-
dern auch vorzüglich für die fortgeschrittenen Anhänger des Socia-
lismus in dem Grade lehrreich, daß wir ausführlich den Gegen-
stand behandeln werden. — Für diese Lieferung müssen wir uns
allerdings auf einen Abdruck eines Louis Blanc'schen Briefes be-
schränken, welchen er in Bezug auf derlei unmotivirte Anschauungs-
weisen dem Redacteur des „ Journal des Débats “ am 17. Juli
1848 zuschickte. Die Kritik dieses Briefes, wie unsere Aus-
führungen über den angeregten Gegenstand behalten wir uns vor
für die nächste Lieferung. — Der Brief Louis Blanc's lautet
im Auszuge:

„ So sagte ich in der Sitzung vom 3. März 1848 zu den
Mitgliedern des Ausschusses für die arbeitenden Klassen:

Die ausschließlichen Vorurtheile des Parteigeistes, die bit-
tern Erinnerungen an die vergangenen Kämpfe müssen von bei-
den Theilen vermieden werden.

Jch verlange von den Männern, die ich hierher berufe,
nur zwei Bedingungen: einen sehr festen Willen, das Gute zu
thun, und anerkannte Fähigkeit.

Es geziemt sich, dem Vaterlande das Schauspiel einer Ver-
einigung von Männern zu geben, welche, sämmtlich von dem
Geiste des Forschritts beseelt, wenn auch oft hinsichtlich einzelner
Fragen verschiedener Ansicht, sich beeilen, ihre frühere Meinungs-
verschiedenheit zu vergessen und gemeinschaftlich ihre Einsicht und
Ergebenheit dem Vortheile Aller zu widmen.

Am 17. März sagte ich zu den in der ehemaligen Pairs-
kammer versammelten Abgeordneten: Bedenken Sie stets, daß
ich nicht etwa als der ausschließliche Repräsentant einer Faction,
oder auch nur einer Klasse zu Jhnen spreche. Nein, der Fort-
schritt besteht für mich nur in der Bedingung, Allen zu nützen,
Allen ohne Ausnahme. Der Fortschritt ist für mich nur die
anerkannte Gegenseitigkeit. Wissen Sie, warum ich in meinem
Herzen dem Princip des Antagonismus, der Concurrenz, den
Krieg auf Leben und Tod erklärt habe? Nicht nur weil er oft
genug das Unglück des Arbeiters bewirkt, sondern auch eben so
oft das Unglück des Arbeitgebers begründet hat; weil er die
Tyrannei nur aus einer Hand in die andere legt, wenn er sie nicht
überhaupt zu einer fortdauernden macht. Nun ist mir aber die
Tyrannei verhaßt, von welcher Seite sie auch kommen mag.

Dieselbe Ansicht drückte sich in anderer Form in der Sitzung
vom 10. März 1848 aus. Man kann es nicht oft genug
wiederholen, daß man die Sache der Reichen vertritt, daß man
den allgemeinen Vortheil vertheidigt, wenn man die Sache der
Armen vertritt. Daher gehören wir auch durchaus keiner Partei
[Ende Spaltensatz]

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[46/0022] Zur Unterhaltung und Belehrung. 46 Jetzt begegnete man nur noch drohenden Blicken, und das Wort Kampf schwebte auf allen Lippen. Die Arbeiter, welche das Resultat des 5 ten und die Entfaltung ihrer Kräfte am 6ten ermuthigt, glauben schon Herren der Stadt zu sein. Die Sache der Mutualisten war auf Mittwoch den 9. April ausgesetzt wor- den; am 9ten wird es also zum Kampfe kommen: das bezweifelt Niemand in Lyon. Der Gesammtausschuß hat sich in der Nacht versammelt, um sich über die verhängnißvolle Frage zu berathen, und Widerstand ist beschlossen worden; man wird nicht angreifen, aber man wird sich bereit halten, den Angriff abzuschlagen. Die Sektionen werden ununterbrochen versammelt bleiben. Die Pa- role wird sein: Association, Widerstand und Muth. Lagrange, welcher den Kampf für unzeitig gehalten hatte, wurde dennoch zur Theilnahme an der Leitung desselben berufen, und man übertrug ihm so wie Herrn Baune und einigen Andern die Leitung einer weniger vorbereiteten als vorhergesehenen Jnsurrek- tion. Daher fehlte auch jeder feste Plan, jede Schlachtordnung. Man befand sich in der vollständigsten Ungewißheit über die Art, wie man den Angriff aushalten wollte, über die Besetzung der militairischen Punkte, über die Verbindungen zwischen den verschiedenen Posten, sowie über den taktischen Theil der Jn- surrektion. Jn einem so kritischen Augenblicke waren die Mit- glieder des Ausschusses berechtigt, ihren Einfluß einer Probe zu unterwerfen; sie appellirten an eine neue Wahl; sie wurden einstimmig wiedererwählt und hatten nun definitiv die Verant- wortlichkeit zu tragen. Nun entwarf Herr Martin eine Prokla- mation, die am folgenden Tage vorgelesen werden sollte. Sie athmete Zorn und war dennoch kein Aufruf zu den Waffen; doch wuchs die Gährung von Stunde zu Stunde. Nur die Behörde wäre im Stande gewesen, die Krisis zu verhindern oder wenigstens hinauszuschieben; aber alle Umstände bewiesen, daß sie es nicht wollte. Vergeblich forderte der Prä- sident des Gerichts, Herr Pic, daß der Prozeß der Mutualisten einem andern Gerichte übergeben werde, welches Recht dem Ge- setze für gewisse ernste Fälle vorbehalten ist; aber die Forderung Herrn Pic's wurde abgeschlagen. Nie war die Gelegenheit gün- stiger gewesen, um einen großen Schlag zu führen, um die Re- publikaner niederzuschmettern, und man hatte sich in den Stand gesetzt, diese Gelegenheit zu benutzen. Funfzehn Bataillone, vier Kompagnieen, sieben Schwadrone, zehn Artillerie=Batterien, zwei Pionier=Kompagnieen waren die Streitkräfte, auf welche sich die Behörde stützte, ohne die Unterstützungen in Anschlag zu brin- gen, welche die benachbarten Garnisonen während des Kampfes absenden sollten. Jn der Nacht vom 8ten zum 9ten ging den Truppen, die in der Stadt verbreitet waren, der letzte Befehl zu, und der Tag ging über eine Stadt auf, die sich in ein Lager verwandelt hatte. Die Truppen waren so aufgestellt, daß sie die Empörung von Anbeginn an abschnitten, und damit die Deserteure auf der Stelle erschossen werden könnten, hatte man die Fahnen mit- nehmen lassen. Der Generallientenant Aymar steht auf dem Platze Bellecour, der General Fleury in der Croix=Rousse, der General Buchet beim Erzbisthume, der Oberst Dietmann beim Rathhause. Jeder Soldat hat drei Packete Patronen, und die Gewehre sind geladen. Das siebente leichte Regiment, von welchem eine Kompagnie am 5. April mit dem Volke fraternisirt hatte, steht auf dem Platze St. Jean. Die Kathedrale, die an diesen Platz grenzt, ist voll von Truppen, und Bajonnette schim- mern zwischen den gothischen Gesimsen des heiligen Gebäudes. Die Physiognomie der Stadt war schrecklich. Es herrschte Auf- regung in derselben, aber stumme, unerklärliche Aufregung. Das Rauschen der bewegten Menge und Einsamkeit folgen an einem und demselben Orte schnell aufeinander. Es ist ungefähr10 1 / 2 Uhr. Der Platz St. Jean, der einen Augenblick mit Menschen bedeckt gewesen war, ist plötzlich verein- samt. Das Volk strömt in die benachbarten Straßen zurück, und einige Kinder suchen unter den Augen der schweigend zu- schauenden Menge Barrikaden aufzuwerfen. Jm Gerichtshofe sitzen die verhafteten Mutualisten den Richtern gegenüber, welche eine angemessene Haltung zu bewahren suchen, gegen ihre Be- klommenheit ankämpfen und zerstreut die Vertheidigungsrede Jules Favre's anhörten. Damals war Herr Jules Favre unbekannt und Arbeiterfreund, jetzt aber ist er der Mörder der Pariser Communisten. — Plötzlich ertönt eine Salve. Favre hält inne. Advokaten, Richter, Angeklagte, Anwesende sind bleich geworden. Bald bringt man einen mit Blut bedeckten Menschen in den Hof des Gerichts. Die ihn Begleitenden sagen: „Das ist ein Jnsurgent, welchen ein Gensd'arm getödtet hat, während er an einer Barrikade arbeitete. Man bemüht sich um den Un- glücklichen; aber wie groß ist die Verwunderung, als man unter den geöffneten Kleidern den Gürtel der geheimen Polizeiagenten bemerkt. Der Unglückliche hieß Faivre und hauchte bald seinen Geist aus. Also ging der erste Schuß von den Truppen aus, und die Polizei lieferte das erste Opfer. ( Schluß folgt ) Die Revolution der Gesellschaft muß sich allerdings von unten vollziehen — darüber braucht man wahrlich keine weiteren Worte zu verlieren; aber daß die anderen Elemente der Gesellschaft sich feindselig verhalten müssen, ist durchaus nicht richtig in ihrem eignen Jnteresse. Das arbeitende Volk muß sicherlich seine Sache selbst in die Hand nehmen und der Arbeit ihr Recht, der Arbeit die ihr gebührende Anerkennung verschaffen. Das bezweckt der Socialismus; deßhalb revolutionirt er das arbeitende Volk, er zwingt es zum Nachdenken, zu dem Nachdenken, die eigene Lage erkennen zu lernen. Nun aber erklären immerfort die unklaren Köpfe, welche im Princip den Socialismns anerkennen, daß durch den socialistischen Staat die Klassenherrschaft des Proletariats festgestellt werde, und diese Klassenberrschaft ebenso verwerflich sei, als die Klassenherrschaft der andern Stände. Wir verstehen diese Ansicht; und uns kann es nur um eine vernünftige Widerlegung zu thun sein. — Diese ganze politisch- ökonomische Streitfrage aber ist nicht nur höchst interessant, son- dern auch vorzüglich für die fortgeschrittenen Anhänger des Socia- lismus in dem Grade lehrreich, daß wir ausführlich den Gegen- stand behandeln werden. — Für diese Lieferung müssen wir uns allerdings auf einen Abdruck eines Louis Blanc'schen Briefes be- schränken, welchen er in Bezug auf derlei unmotivirte Anschauungs- weisen dem Redacteur des „ Journal des Débats “ am 17. Juli 1848 zuschickte. Die Kritik dieses Briefes, wie unsere Aus- führungen über den angeregten Gegenstand behalten wir uns vor für die nächste Lieferung. — Der Brief Louis Blanc's lautet im Auszuge: „ So sagte ich in der Sitzung vom 3. März 1848 zu den Mitgliedern des Ausschusses für die arbeitenden Klassen: Die ausschließlichen Vorurtheile des Parteigeistes, die bit- tern Erinnerungen an die vergangenen Kämpfe müssen von bei- den Theilen vermieden werden. Jch verlange von den Männern, die ich hierher berufe, nur zwei Bedingungen: einen sehr festen Willen, das Gute zu thun, und anerkannte Fähigkeit. Es geziemt sich, dem Vaterlande das Schauspiel einer Ver- einigung von Männern zu geben, welche, sämmtlich von dem Geiste des Forschritts beseelt, wenn auch oft hinsichtlich einzelner Fragen verschiedener Ansicht, sich beeilen, ihre frühere Meinungs- verschiedenheit zu vergessen und gemeinschaftlich ihre Einsicht und Ergebenheit dem Vortheile Aller zu widmen. Am 17. März sagte ich zu den in der ehemaligen Pairs- kammer versammelten Abgeordneten: Bedenken Sie stets, daß ich nicht etwa als der ausschließliche Repräsentant einer Faction, oder auch nur einer Klasse zu Jhnen spreche. Nein, der Fort- schritt besteht für mich nur in der Bedingung, Allen zu nützen, Allen ohne Ausnahme. Der Fortschritt ist für mich nur die anerkannte Gegenseitigkeit. Wissen Sie, warum ich in meinem Herzen dem Princip des Antagonismus, der Concurrenz, den Krieg auf Leben und Tod erklärt habe? Nicht nur weil er oft genug das Unglück des Arbeiters bewirkt, sondern auch eben so oft das Unglück des Arbeitgebers begründet hat; weil er die Tyrannei nur aus einer Hand in die andere legt, wenn er sie nicht überhaupt zu einer fortdauernden macht. Nun ist mir aber die Tyrannei verhaßt, von welcher Seite sie auch kommen mag. Dieselbe Ansicht drückte sich in anderer Form in der Sitzung vom 10. März 1848 aus. Man kann es nicht oft genug wiederholen, daß man die Sache der Reichen vertritt, daß man den allgemeinen Vortheil vertheidigt, wenn man die Sache der Armen vertritt. Daher gehören wir auch durchaus keiner Partei

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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 2. Lieferung. Berlin, 3. Februar 1873, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social02_1873/22>, abgerufen am 26.04.2024.