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Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849.

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er studiren könnt' -- nun ist er ein großer Herr ge-
worden und wenn's ihm einmal einfällt, wird er vor
den vornehmen Leuten seine alte Mutter verleugnen --
und da mögen sie noch Alle so schön thun mit ihm --
wie die Mutter hat ihn doch Niemand lieb!"

Eva fing leise an zu weinen und wischte sich mit
der weiten weißen Schürze die hellen Thränen von den
runzlichen Backen. Die grauen Haare, die unter dem
weißen Mützchen auf der Stirn hervorkamen, schob sie
wieder darunter und machte sich vor ihrem Gesicht zu thun,
damit die heitern Gäste nicht gewahr würden, wie sie weinte.

Unser Schulmeister hatte es doch gemerkt und
flüsterte Suschen zu: "Warum weint denn die Mutter Eva"?

"Sie hat's heute schon den ganzen Tag so getrieben,"
versetzte Suschen, "sobald sie den kleinen Buben zu
sehen bekommt, denkt sie an ihr Johanneslein, an den
Tag, da er getauft worden und wie sie ihn nun nicht
mehr haben kann wie damals, weil etwas Großes aus
ihm geworden ist. Möcht' ihn schon auch einmal wieder-
sehen -- muß ein schöner Mensch geworden sein!"

Die letzte Bemerkung verdroß unsern Schullehrer ein
Wenig, warum hatte denn Suschen das Verlangen, den
Johannes wieder zu sehen? und warum mußte sie denn
voraussetzen, daß er ein schöner Mensch geworden sei?
sie hatte gar nicht nöthig, ihn schön zu finden. Er

er ſtudiren koͤnnt’ — nun iſt er ein großer Herr ge-
worden und wenn’s ihm einmal einfaͤllt, wird er vor
den vornehmen Leuten ſeine alte Mutter verleugnen —
und da moͤgen ſie noch Alle ſo ſchoͤn thun mit ihm —
wie die Mutter hat ihn doch Niemand lieb!“

Eva fing leiſe an zu weinen und wiſchte ſich mit
der weiten weißen Schuͤrze die hellen Thraͤnen von den
runzlichen Backen. Die grauen Haare, die unter dem
weißen Muͤtzchen auf der Stirn hervorkamen, ſchob ſie
wieder darunter und machte ſich vor ihrem Geſicht zu thun,
damit die heitern Gaͤſte nicht gewahr wuͤrden, wie ſie weinte.

Unſer Schulmeiſter hatte es doch gemerkt und
fluͤſterte Suschen zu: „Warum weint denn die Mutter Eva“?

„Sie hat’s heute ſchon den ganzen Tag ſo getrieben,“
verſetzte Suschen, „ſobald ſie den kleinen Buben zu
ſehen bekommt, denkt ſie an ihr Johanneslein, an den
Tag, da er getauft worden und wie ſie ihn nun nicht
mehr haben kann wie damals, weil etwas Großes aus
ihm geworden iſt. Moͤcht’ ihn ſchon auch einmal wieder-
ſehen — muß ein ſchoͤner Menſch geworden ſein!“

Die letzte Bemerkung verdroß unſern Schullehrer ein
Wenig, warum hatte denn Suschen das Verlangen, den
Johannes wieder zu ſehen? und warum mußte ſie denn
vorausſetzen, daß er ein ſchoͤner Menſch geworden ſei?
ſie hatte gar nicht noͤthig, ihn ſchoͤn zu finden. Er

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[39/0047] er ſtudiren koͤnnt’ — nun iſt er ein großer Herr ge- worden und wenn’s ihm einmal einfaͤllt, wird er vor den vornehmen Leuten ſeine alte Mutter verleugnen — und da moͤgen ſie noch Alle ſo ſchoͤn thun mit ihm — wie die Mutter hat ihn doch Niemand lieb!“ Eva fing leiſe an zu weinen und wiſchte ſich mit der weiten weißen Schuͤrze die hellen Thraͤnen von den runzlichen Backen. Die grauen Haare, die unter dem weißen Muͤtzchen auf der Stirn hervorkamen, ſchob ſie wieder darunter und machte ſich vor ihrem Geſicht zu thun, damit die heitern Gaͤſte nicht gewahr wuͤrden, wie ſie weinte. Unſer Schulmeiſter hatte es doch gemerkt und fluͤſterte Suschen zu: „Warum weint denn die Mutter Eva“? „Sie hat’s heute ſchon den ganzen Tag ſo getrieben,“ verſetzte Suschen, „ſobald ſie den kleinen Buben zu ſehen bekommt, denkt ſie an ihr Johanneslein, an den Tag, da er getauft worden und wie ſie ihn nun nicht mehr haben kann wie damals, weil etwas Großes aus ihm geworden iſt. Moͤcht’ ihn ſchon auch einmal wieder- ſehen — muß ein ſchoͤner Menſch geworden ſein!“ Die letzte Bemerkung verdroß unſern Schullehrer ein Wenig, warum hatte denn Suschen das Verlangen, den Johannes wieder zu ſehen? und warum mußte ſie denn vorausſetzen, daß er ein ſchoͤner Menſch geworden ſei? ſie hatte gar nicht noͤthig, ihn ſchoͤn zu finden. Er

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Zitationshilfe: Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/47>, abgerufen am 30.04.2024.