richtet wie der Riese Cänäus *) in die Erde einzu¬ sinken -- er fühlte sich geschirmet gegen alle Unfälle des Lebens und gereinigt von der stets in jedem Her¬ zen fortnagenden Furcht -- alles dieses und die Freude an erfüllten Pflichten und an bezwungnen Trieben und die Lichter des blauen gleichsam im Blumenstaube stehenden Tages klärten seinen umge¬ rüttelten Lebensstrom so auf, daß er zuletzt länger (wenns ihm nicht sein Beschluß verböte) im hellen Strome hätte spielen wollen. . . . So groß wird durch die Verachtung des Todes die Schönheit des Lebens -- so gewiß ist jeder, der mit kaltem Blut sich das Leben abspricht, vermögend, es zu ertragen -- so wahr räth Rousseau, vor dem Tode eine gute That zu unternehmen, weil man jenen dann entbehren kann. . . . -- Als Viktor so dachte: trat das Schicksal vor ihn und fragte ihn zürnend: willst du sterben? -- Er antwortete "ja!" -- da er vor Sonnenuntergang in Obermaienthal Klotildens Wagen, den er da bei der Abreise gesehen, jetzt wie¬ der erblickte. Jetzt fiel die Todeswolke über die Ge¬ gend nieder. Er eilte vorüber -- am Fenster sah er seine Mutter und die Lady, die Mutter Flamins --
*) Die Zentauern konnten ihn nicht mit Bäumen umschlagen, sondern mußten ihn stehend in die Erde drücken. Orph. Argonaut. 168.
Hesperus. III. Th. Aa
richtet wie der Rieſe Caͤnaͤus *) in die Erde einzu¬ ſinken — er fuͤhlte ſich geſchirmet gegen alle Unfaͤlle des Lebens und gereinigt von der ſtets in jedem Her¬ zen fortnagenden Furcht — alles dieſes und die Freude an erfuͤllten Pflichten und an bezwungnen Trieben und die Lichter des blauen gleichſam im Blumenſtaube ſtehenden Tages klaͤrten ſeinen umge¬ ruͤttelten Lebensſtrom ſo auf, daß er zuletzt laͤnger (wenns ihm nicht ſein Beſchluß verboͤte) im hellen Strome haͤtte ſpielen wollen. . . . So groß wird durch die Verachtung des Todes die Schoͤnheit des Lebens — ſo gewiß iſt jeder, der mit kaltem Blut ſich das Leben abſpricht, vermoͤgend, es zu ertragen — ſo wahr raͤth Rouſſeau, vor dem Tode eine gute That zu unternehmen, weil man jenen dann entbehren kann. . . . — Als Viktor ſo dachte: trat das Schickſal vor ihn und fragte ihn zuͤrnend: willſt du ſterben? — Er antwortete »ja!» — da er vor Sonnenuntergang in Obermaienthal Klotildens Wagen, den er da bei der Abreiſe geſehen, jetzt wie¬ der erblickte. Jetzt fiel die Todeswolke uͤber die Ge¬ gend nieder. Er eilte voruͤber — am Fenſter ſah er ſeine Mutter und die Lady, die Mutter Flamins —
*) Die Zentauern konnten ihn nicht mit Bäumen umſchlagen, ſondern mußten ihn ſtehend in die Erde drücken. Orph. Argonaut. 168.
Heſperus. III. Th. Aa
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des Lebens und gereinigt von der ſtets in jedem Her¬
zen fortnagenden Furcht — alles dieſes und die
Freude an erfuͤllten Pflichten und an bezwungnen
Trieben und die Lichter des blauen gleichſam im
Blumenſtaube ſtehenden Tages klaͤrten ſeinen umge¬
ruͤttelten Lebensſtrom ſo auf, daß er zuletzt laͤnger
(wenns ihm nicht ſein Beſchluß verboͤte) im hellen
Strome haͤtte ſpielen wollen. . . . So groß wird
durch die Verachtung des Todes die Schoͤnheit des
Lebens — ſo gewiß iſt jeder, der mit kaltem
Blut ſich das Leben abſpricht, vermoͤgend, es zu
ertragen — ſo wahr raͤth Rouſſeau, vor dem Tode
eine gute That zu unternehmen, weil man jenen
dann entbehren kann. . . . — Als Viktor ſo dachte:
trat das Schickſal vor ihn und fragte ihn zuͤrnend:
willſt du ſterben? — Er antwortete »ja!» — da
er vor Sonnenuntergang in Obermaienthal Klotildens
Wagen, den er da bei der Abreiſe geſehen, jetzt wie¬
der erblickte. Jetzt fiel die Todeswolke uͤber die Ge¬
gend nieder. Er eilte voruͤber — am Fenſter ſah er
ſeine Mutter und die Lady, die Mutter Flamins —
*) Die Zentauern konnten ihn nicht mit Bäumen umſchlagen,
ſondern mußten ihn ſtehend in die Erde drücken. Orph.
Argonaut. 168.
Heſperus. III. Th. Aa
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/379>, abgerufen am 14.06.2024.
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