ist; ferner setzten in ihm wie in allen Schwachen die Bewegungen seiner Seele! auch wenn die Ur¬ sache dazu gehoben war, wie die Wellen des Meers, wenn auf den langen Wind ein entgegen¬ blasender folgt, noch die alte Richtung fort. -- -- Er sah also weiter durchs Fenster und wollte vergeben, must' aber die mechanisch aufspringen¬ den Wellen allmählig zusammenfallen lassen. Hät¬ te Gustav sich weniger um seine Vergebung bewor¬ ben: so hätt' er sie früher bekommen; beide schwiegen und blieben; "Amandus!" rief er end¬ lich im zärtlichsten Ton. Keine Antwort und kein Umkehren; auf einmal zog der einsame Gequälte das Portrait des verlohrnen und ähnlichen Guido, das in seinen schönen Kindheitstagen über seine Brust gehangen worden und das er ihm heute zu zeigen willens gewesen, vom Schmerze übermannt hervor und sagte mit zerschmelzendem Herzen: "o du gemahlter Freund, du geliebtes Farben-Nichts, du trägst unter deiner gemahlten Brust kein Herz, du kennst mich nicht, du vergiltst mir nichts, -- und doch lieb' ich dich so sehr. -- Und meinem Amandus wär' ich nicht treu?" -- -- Er sah plötz¬ lich im Glase dieses Portraits sein eignes mit sei¬
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iſt; ferner ſetzten in ihm wie in allen Schwachen die Bewegungen ſeiner Seele! auch wenn die Ur¬ ſache dazu gehoben war, wie die Wellen des Meers, wenn auf den langen Wind ein entgegen¬ blaſender folgt, noch die alte Richtung fort. — — Er ſah alſo weiter durchs Fenſter und wollte vergeben, muſt' aber die mechaniſch aufſpringen¬ den Wellen allmaͤhlig zuſammenfallen laſſen. Haͤt¬ te Guſtav ſich weniger um ſeine Vergebung bewor¬ ben: ſo haͤtt' er ſie fruͤher bekommen; beide ſchwiegen und blieben; „Amandus!“ rief er end¬ lich im zaͤrtlichſten Ton. Keine Antwort und kein Umkehren; auf einmal zog der einſame Gequaͤlte das Portrait des verlohrnen und aͤhnlichen Guido, das in ſeinen ſchoͤnen Kindheitstagen uͤber ſeine Bruſt gehangen worden und das er ihm heute zu zeigen willens geweſen, vom Schmerze uͤbermannt hervor und ſagte mit zerſchmelzendem Herzen: „o du gemahlter Freund, du geliebtes Farben-Nichts, du traͤgſt unter deiner gemahlten Bruſt kein Herz, du kennſt mich nicht, du vergiltſt mir nichts, — und doch lieb' ich dich ſo ſehr. — Und meinem Amandus waͤr' ich nicht treu?“ — — Er ſah ploͤtz¬ lich im Glaſe dieſes Portraits ſein eignes mit ſei¬
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iſt; ferner ſetzten in ihm wie in allen Schwachen
die Bewegungen ſeiner Seele! auch wenn die Ur¬
ſache dazu gehoben war, wie die Wellen des
Meers, wenn auf den langen Wind ein entgegen¬
blaſender folgt, noch die alte Richtung fort. — —
Er ſah alſo weiter durchs Fenſter und wollte
vergeben, muſt' aber die mechaniſch aufſpringen¬
den Wellen allmaͤhlig zuſammenfallen laſſen. Haͤt¬
te Guſtav ſich weniger um ſeine Vergebung bewor¬
ben: ſo haͤtt' er ſie fruͤher bekommen; beide
ſchwiegen und blieben; „Amandus!“ rief er end¬
lich im zaͤrtlichſten Ton. Keine Antwort und kein
Umkehren; auf einmal zog der einſame Gequaͤlte
das Portrait des verlohrnen und aͤhnlichen Guido,
das in ſeinen ſchoͤnen Kindheitstagen uͤber ſeine
Bruſt gehangen worden und das er ihm heute zu
zeigen willens geweſen, vom Schmerze uͤbermannt
hervor und ſagte mit zerſchmelzendem Herzen: „o
du gemahlter Freund, du geliebtes Farben-Nichts,
du traͤgſt unter deiner gemahlten Bruſt kein Herz,
du kennſt mich nicht, du vergiltſt mir nichts, —
und doch lieb' ich dich ſo ſehr. — Und meinem
Amandus waͤr' ich nicht treu?“ — — Er ſah ploͤtz¬
lich im Glaſe dieſes Portraits ſein eignes mit ſei¬
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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/356>, abgerufen am 14.06.2024.
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