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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

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und Lage ließen ihn nicht wegrücken von einer
so abentheuerlichen Perspektive.

"Aber warum (fragte Schoppe den Kah¬
"len, da er wieder kam) schneidet Ihr so vie¬
"le Gesichter, die eben nicht zu Eurem Besten
"ausfallen?" -- "Sie kommen (sagt' er) von
Gift her, das man mir vor zehn Jahren gege¬
ben -- Habt Ihr gesehen, wie aqua toffana
in Menge genommen verzieht? -- In Nea¬
pel zwang ichs einem sechzehnjährigen schönen
Mädchen hinein, das schon einige Jahre damit
gehandelt hatte, und ließ es vor mir sterben.
Es giebt wohl nichts Gottloseres als Giftmi¬
scherei." -- "Abscheulich!" -- rief Albano ergrif¬
fen von einem innersten Widerwillen gegen den
Mann; Schoppen hatte der Grimm ordentlich
abgespannt.

Jetzt trat eine arme, magere Tischlersfrau,
Liqueur zu holen, herein, welche die Augen vor
Schaam und Schwäche nieder- und halb zugezogen
trug; sie getrauete sich nicht aufzusehen, weil die
ganze Stadt wußte, daß sie Nachts gewaltsam
aus dem Bette in die Gasse getrieben werde, um ei¬
nem Leichenzuge, der dann durch dieselbe nach eini¬

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und Lage ließen ihn nicht wegrücken von einer
ſo abentheuerlichen Perſpektive.

„Aber warum (fragte Schoppe den Kah¬
„len, da er wieder kam) ſchneidet Ihr ſo vie¬
„le Geſichter, die eben nicht zu Eurem Beſten
„ausfallen?“ — „Sie kommen (ſagt' er) von
Gift her, das man mir vor zehn Jahren gege¬
ben — Habt Ihr geſehen, wie aqua toffana
in Menge genommen verzieht? — In Nea¬
pel zwang ichs einem ſechzehnjährigen ſchönen
Mädchen hinein, das ſchon einige Jahre damit
gehandelt hatte, und ließ es vor mir ſterben.
Es giebt wohl nichts Gottloſeres als Giftmi¬
ſcherei.” — „Abſcheulich!“ — rief Albano ergrif¬
fen von einem innerſten Widerwillen gegen den
Mann; Schoppen hatte der Grimm ordentlich
abgeſpannt.

Jetzt trat eine arme, magere Tiſchlersfrau,
Liqueur zu holen, herein, welche die Augen vor
Schaam und Schwäche nieder- und halb zugezogen
trug; ſie getrauete ſich nicht aufzuſehen, weil die
ganze Stadt wußte, daß ſie Nachts gewaltſam
aus dem Bette in die Gaſſe getrieben werde, um ei¬
nem Leichenzuge, der dann durch dieſelbe nach eini¬

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[355/0367] und Lage ließen ihn nicht wegrücken von einer ſo abentheuerlichen Perſpektive. „Aber warum (fragte Schoppe den Kah¬ „len, da er wieder kam) ſchneidet Ihr ſo vie¬ „le Geſichter, die eben nicht zu Eurem Beſten „ausfallen?“ — „Sie kommen (ſagt' er) von Gift her, das man mir vor zehn Jahren gege¬ ben — Habt Ihr geſehen, wie aqua toffana in Menge genommen verzieht? — In Nea¬ pel zwang ichs einem ſechzehnjährigen ſchönen Mädchen hinein, das ſchon einige Jahre damit gehandelt hatte, und ließ es vor mir ſterben. Es giebt wohl nichts Gottloſeres als Giftmi¬ ſcherei.” — „Abſcheulich!“ — rief Albano ergrif¬ fen von einem innerſten Widerwillen gegen den Mann; Schoppen hatte der Grimm ordentlich abgeſpannt. Jetzt trat eine arme, magere Tiſchlersfrau, Liqueur zu holen, herein, welche die Augen vor Schaam und Schwäche nieder- und halb zugezogen trug; ſie getrauete ſich nicht aufzuſehen, weil die ganze Stadt wußte, daß ſie Nachts gewaltſam aus dem Bette in die Gaſſe getrieben werde, um ei¬ nem Leichenzuge, der dann durch dieſelbe nach eini¬ Z 2

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/367>, abgerufen am 10.11.2024.