Quellen entblößet vor dem Tagslicht liegen sol¬ len -- und der heiligen Stelle, wo er die Ge¬ liebte, die ihm jetzt auf dem utschen Wege und in der Nähe der vorigen Schwierigkeiten noch größer und unerreichbarer erschien, als auf dem Epomeo in der Nachbarschaft alles Erhabnen am Himmel und auf der Erde, kühn ans Herz nehmen und schließen durfte auf ewig, ohne wieder zu fragen: wirst Du mich lieben? -- Da dacht' er an ein Bild zurück, das er auf dem Vesuv *) gefunden und sagte zu Dian: "hinter dem Menschen arbeitet und geht ein langsamer Strom, der glühend ihn verzehrt und zermalmt, wenn er ihn ergreift; aber der Mensch schreite nur tapfer vorwärts und schaue oft rückwärts, so entkommt er unbeschädigt. Mein geliebter Lehrer, so will ich's jetzt in mei¬
*) So schwer und langsam wälzt sich der breite Lavastrom herunter, daß ein Mensch vor diesem glühenden Todesfluß, der alles verschlingt, er¬ stickt und zerschmilzt was er berührt, vorausge¬ hen und die Zerstöhrung hinter sich sehen kann, ohne sich in die Gefahr einer eignen zu setzen.
Quellen entblößet vor dem Tagslicht liegen ſol¬ len — und der heiligen Stelle, wo er die Ge¬ liebte, die ihm jetzt auf dem utſchen Wege und in der Nähe der vorigen Schwierigkeiten noch größer und unerreichbarer erſchien, als auf dem Epomeo in der Nachbarſchaft alles Erhabnen am Himmel und auf der Erde, kühn ans Herz nehmen und ſchließen durfte auf ewig, ohne wieder zu fragen: wirſt Du mich lieben? — Da dacht' er an ein Bild zurück, das er auf dem Veſuv *) gefunden und ſagte zu Dian: „hinter dem Menſchen arbeitet und geht ein langſamer Strom, der glühend ihn verzehrt und zermalmt, wenn er ihn ergreift; aber der Menſch ſchreite nur tapfer vorwärts und ſchaue oft rückwärts, ſo entkommt er unbeſchädigt. Mein geliebter Lehrer, ſo will ich's jetzt in mei¬
*) So ſchwer und langſam wälzt ſich der breite Lavaſtrom herunter, daß ein Menſch vor dieſem glühenden Todesfluß, der alles verſchlingt, er¬ ſtickt und zerſchmilzt was er berührt, vorausge¬ hen und die Zerſtöhrung hinter ſich ſehen kann, ohne ſich in die Gefahr einer eignen zu ſetzen.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0267"n="255"/>
Quellen entblößet vor dem Tagslicht liegen ſol¬<lb/>
len — und der heiligen Stelle, wo er die Ge¬<lb/>
liebte, die ihm jetzt auf dem utſchen Wege<lb/>
und in der Nähe der vorigen Schwierigkeiten<lb/>
noch größer und unerreichbarer erſchien, als<lb/>
auf dem Epomeo in der Nachbarſchaft alles<lb/>
Erhabnen am Himmel und auf der Erde, kühn<lb/>
ans Herz nehmen und ſchließen durfte auf ewig,<lb/>
ohne wieder zu fragen: wirſt Du mich lieben?<lb/>— Da dacht' er an ein Bild zurück, das er auf<lb/>
dem Veſuv <noteplace="foot"n="*)"><lb/>
So ſchwer und langſam wälzt ſich der breite<lb/>
Lavaſtrom herunter, daß ein Menſch vor dieſem<lb/>
glühenden Todesfluß, der alles verſchlingt, er¬<lb/>ſtickt und zerſchmilzt was er berührt, vorausge¬<lb/>
hen und die Zerſtöhrung hinter ſich ſehen kann,<lb/>
ohne ſich in die Gefahr einer eignen zu ſetzen.</note> gefunden und ſagte zu Dian:<lb/>„hinter dem Menſchen arbeitet und geht ein<lb/>
langſamer Strom, der glühend ihn verzehrt<lb/>
und zermalmt, wenn er ihn ergreift; aber der<lb/>
Menſch ſchreite nur tapfer vorwärts und ſchaue<lb/>
oft rückwärts, ſo entkommt er unbeſchädigt.<lb/>
Mein geliebter Lehrer, ſo will ich's jetzt in mei¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[255/0267]
Quellen entblößet vor dem Tagslicht liegen ſol¬
len — und der heiligen Stelle, wo er die Ge¬
liebte, die ihm jetzt auf dem utſchen Wege
und in der Nähe der vorigen Schwierigkeiten
noch größer und unerreichbarer erſchien, als
auf dem Epomeo in der Nachbarſchaft alles
Erhabnen am Himmel und auf der Erde, kühn
ans Herz nehmen und ſchließen durfte auf ewig,
ohne wieder zu fragen: wirſt Du mich lieben?
— Da dacht' er an ein Bild zurück, das er auf
dem Veſuv *) gefunden und ſagte zu Dian:
„hinter dem Menſchen arbeitet und geht ein
langſamer Strom, der glühend ihn verzehrt
und zermalmt, wenn er ihn ergreift; aber der
Menſch ſchreite nur tapfer vorwärts und ſchaue
oft rückwärts, ſo entkommt er unbeſchädigt.
Mein geliebter Lehrer, ſo will ich's jetzt in mei¬
*)
So ſchwer und langſam wälzt ſich der breite
Lavaſtrom herunter, daß ein Menſch vor dieſem
glühenden Todesfluß, der alles verſchlingt, er¬
ſtickt und zerſchmilzt was er berührt, vorausge¬
hen und die Zerſtöhrung hinter ſich ſehen kann,
ohne ſich in die Gefahr einer eignen zu ſetzen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/267>, abgerufen am 15.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.