nicht, (sagte sie stolz,) er kann für mich ster¬ ben, aber ich kann nicht für ihn leben." -- Hier fliegt Carlos herein zu seiner Lilia -- er¬ starrt im Fluge -- fasset sich und nähert sich Lilia. Diese sagt: "Graf Salera -- Athe¬ nais" -- er wurde blaß, diese roth. Eine pein¬ liche enge Verwirrung verstrickte sie drei; jeder Honigtropfen wurde aus einer Dornhecke ge¬ holt. Lilia wird schaudernd immer stärker Athe¬ nais plötzlichen Sieg über ihr Glück und Lie¬ ben gewahr. Athenais gieng ab. Beide Lie¬ bende sehen sich lange zitternd an: "hab' ich Recht?" fragt Lilia. "Hab' ich Schuld?" sagt Carlos. "Nein, (sagt sie,) denn Du bist ein Mensch und, was noch schlimmer, ein Mann." -- "Was soll ich denn thun?" versetzt Carlos. "Du sollst (sagte sie feierlich) nach einem Jahr in einen Garten auf einer Höhe gehen und Dich umsehen und mich suchen im Garten -- im Garten -- unter den Beeten -- tief unter Einem -- ich weiß nicht wie tief" -- Sie eilte wie wahnsinnig davon und sang: "vor¬ über, vorüber, das Lieben und Leben!"
Carlos stand einige Minuten mit dem wil¬
Titan I V C c
nicht, (ſagte ſie ſtolz,) er kann für mich ſter¬ ben, aber ich kann nicht für ihn leben.“ — Hier fliegt Carlos herein zu ſeiner Lilia — er¬ ſtarrt im Fluge — faſſet ſich und nähert ſich Lilia. Dieſe ſagt: „Graf Salera — Athe¬ nais“ — er wurde blaß, dieſe roth. Eine pein¬ liche enge Verwirrung verſtrickte ſie drei; jeder Honigtropfen wurde aus einer Dornhecke ge¬ holt. Lilia wird ſchaudernd immer ſtärker Athe¬ nais plötzlichen Sieg über ihr Glück und Lie¬ ben gewahr. Athenais gieng ab. Beide Lie¬ bende ſehen ſich lange zitternd an: „hab' ich Recht?“ fragt Lilia. „Hab' ich Schuld?“ ſagt Carlos. „Nein, (ſagt ſie,) denn Du biſt ein Menſch und, was noch ſchlimmer, ein Mann.“ — „Was ſoll ich denn thun?“ verſetzt Carlos. „Du ſollſt (ſagte ſie feierlich) nach einem Jahr in einen Garten auf einer Höhe gehen und Dich umſehen und mich ſuchen im Garten — im Garten — unter den Beeten — tief unter Einem — ich weiß nicht wie tief“ — Sie eilte wie wahnſinnig davon und ſang: „vor¬ über, vorüber, das Lieben und Leben!“
Carlos ſtand einige Minuten mit dem wil¬
Titan I V C c
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0413"n="401"/>
nicht, (ſagte ſie ſtolz,) er kann für mich ſter¬<lb/>
ben, aber ich kann nicht für ihn leben.“—<lb/>
Hier fliegt Carlos herein zu ſeiner Lilia — er¬<lb/>ſtarrt im Fluge — faſſet ſich und nähert ſich<lb/>
Lilia. Dieſe ſagt: „Graf Salera — Athe¬<lb/>
nais“— er wurde blaß, dieſe roth. Eine pein¬<lb/>
liche enge Verwirrung verſtrickte ſie drei; jeder<lb/>
Honigtropfen wurde aus einer Dornhecke ge¬<lb/>
holt. Lilia wird ſchaudernd immer ſtärker Athe¬<lb/>
nais plötzlichen Sieg über ihr Glück und Lie¬<lb/>
ben gewahr. Athenais gieng ab. Beide Lie¬<lb/>
bende ſehen ſich lange zitternd an: „hab' ich<lb/>
Recht?“ fragt Lilia. „Hab' ich Schuld?“ſagt<lb/>
Carlos. „Nein, (ſagt ſie,) denn Du biſt ein<lb/>
Menſch und, was noch ſchlimmer, ein Mann.“<lb/>—„Was ſoll ich denn thun?“ verſetzt Carlos.<lb/>„Du ſollſt (ſagte ſie feierlich) nach einem Jahr<lb/>
in einen Garten auf einer Höhe gehen und<lb/>
Dich umſehen und mich ſuchen im Garten —<lb/>
im Garten — unter den Beeten — tief unter<lb/>
Einem — ich weiß nicht wie tief“— Sie<lb/>
eilte wie wahnſinnig davon und ſang: „vor¬<lb/>
über, vorüber, das Lieben und Leben!“</p><lb/><p>Carlos ſtand einige Minuten mit dem wil¬<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Titan <hirendition="#aq">I V</hi> C c<lb/></fw></p></div></div></body></text></TEI>
[401/0413]
nicht, (ſagte ſie ſtolz,) er kann für mich ſter¬
ben, aber ich kann nicht für ihn leben.“ —
Hier fliegt Carlos herein zu ſeiner Lilia — er¬
ſtarrt im Fluge — faſſet ſich und nähert ſich
Lilia. Dieſe ſagt: „Graf Salera — Athe¬
nais“ — er wurde blaß, dieſe roth. Eine pein¬
liche enge Verwirrung verſtrickte ſie drei; jeder
Honigtropfen wurde aus einer Dornhecke ge¬
holt. Lilia wird ſchaudernd immer ſtärker Athe¬
nais plötzlichen Sieg über ihr Glück und Lie¬
ben gewahr. Athenais gieng ab. Beide Lie¬
bende ſehen ſich lange zitternd an: „hab' ich
Recht?“ fragt Lilia. „Hab' ich Schuld?“ ſagt
Carlos. „Nein, (ſagt ſie,) denn Du biſt ein
Menſch und, was noch ſchlimmer, ein Mann.“
— „Was ſoll ich denn thun?“ verſetzt Carlos.
„Du ſollſt (ſagte ſie feierlich) nach einem Jahr
in einen Garten auf einer Höhe gehen und
Dich umſehen und mich ſuchen im Garten —
im Garten — unter den Beeten — tief unter
Einem — ich weiß nicht wie tief“ — Sie
eilte wie wahnſinnig davon und ſang: „vor¬
über, vorüber, das Lieben und Leben!“
Carlos ſtand einige Minuten mit dem wil¬
Titan I V C c
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Titan. Bd. 4. Berlin, 1803, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan04_1803/413>, abgerufen am 16.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.