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Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783.

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auch nach und nach wieder zu sich selber ge-
kommen, und wieder worden, wie im An-
fang: Sie kommt mir seit gestern nie aus
dem Kopf, und wo ich gehe und stehe, mey-
ne ich immer, sie sollte wieder da seyn, und
das Gute izt auch mit mir haben, wie sie
das Böse mit mir getragen.

Gertrud. Es ist ihr izt besser, als uns
allen, Rudi! Und ich weiß nicht, obs ihr
leicht auf der Welt wieder wohl worden
wäre. Wer so lang alles so schwer aufge-
nohmen, wie sie, der kommt nicht mehr so
leicht zu sich selber. --

Rudi. Das ist auch wahr.

Gertrud. Was du izt am besten zum
Andenken deiner Frau sel. thun kannst, und
was ihr izt im Himmel Trost und Freud
seyn wird, ist dieses, daß du deine Kinder
sorgfältig auferziehest, daß sie nicht so un-
glüklich werden, wie sie -- Und glaub mir,
es kommt, weiß Gott, in der Jugend auf
Kleinigkeiten an, ob ein Kind eine halbe
Stunde früher oder später aufstehe -- ob
es seine Sonntagskleider die Woche über
in einen Winkel werffe, oder sorgfältig und
sauber zusammen an einen Ort lege -- ob
es gelernt, das Brod, Mähl und Anken
in der Woche richtig abzutheilen, und mit
dem gleichen auszukommen -- oder ob es

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auch nach und nach wieder zu ſich ſelber ge-
kommen, und wieder worden, wie im An-
fang: Sie kommt mir ſeit geſtern nie aus
dem Kopf, und wo ich gehe und ſtehe, mey-
ne ich immer, ſie ſollte wieder da ſeyn, und
das Gute izt auch mit mir haben, wie ſie
das Boͤſe mit mir getragen.

Gertrud. Es iſt ihr izt beſſer, als uns
allen, Rudi! Und ich weiß nicht, obs ihr
leicht auf der Welt wieder wohl worden
waͤre. Wer ſo lang alles ſo ſchwer aufge-
nohmen, wie ſie, der kommt nicht mehr ſo
leicht zu ſich ſelber. —

Rudi. Das iſt auch wahr.

Gertrud. Was du izt am beſten zum
Andenken deiner Frau ſel. thun kannſt, und
was ihr izt im Himmel Troſt und Freud
ſeyn wird, iſt dieſes, daß du deine Kinder
ſorgfaͤltig auferzieheſt, daß ſie nicht ſo un-
gluͤklich werden, wie ſie — Und glaub mir,
es kommt, weiß Gott, in der Jugend auf
Kleinigkeiten an, ob ein Kind eine halbe
Stunde fruͤher oder ſpaͤter aufſtehe — ob
es ſeine Sonntagskleider die Woche uͤber
in einen Winkel werffe, oder ſorgfaͤltig und
ſauber zuſammen an einen Ort lege — ob
es gelernt, das Brod, Maͤhl und Anken
in der Woche richtig abzutheilen, und mit
dem gleichen auszukommen — oder ob es

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[25/0043] auch nach und nach wieder zu ſich ſelber ge- kommen, und wieder worden, wie im An- fang: Sie kommt mir ſeit geſtern nie aus dem Kopf, und wo ich gehe und ſtehe, mey- ne ich immer, ſie ſollte wieder da ſeyn, und das Gute izt auch mit mir haben, wie ſie das Boͤſe mit mir getragen. Gertrud. Es iſt ihr izt beſſer, als uns allen, Rudi! Und ich weiß nicht, obs ihr leicht auf der Welt wieder wohl worden waͤre. Wer ſo lang alles ſo ſchwer aufge- nohmen, wie ſie, der kommt nicht mehr ſo leicht zu ſich ſelber. — Rudi. Das iſt auch wahr. Gertrud. Was du izt am beſten zum Andenken deiner Frau ſel. thun kannſt, und was ihr izt im Himmel Troſt und Freud ſeyn wird, iſt dieſes, daß du deine Kinder ſorgfaͤltig auferzieheſt, daß ſie nicht ſo un- gluͤklich werden, wie ſie — Und glaub mir, es kommt, weiß Gott, in der Jugend auf Kleinigkeiten an, ob ein Kind eine halbe Stunde fruͤher oder ſpaͤter aufſtehe — ob es ſeine Sonntagskleider die Woche uͤber in einen Winkel werffe, oder ſorgfaͤltig und ſauber zuſammen an einen Ort lege — ob es gelernt, das Brod, Maͤhl und Anken in der Woche richtig abzutheilen, und mit dem gleichen auszukommen — oder ob es hier- B 5

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Zitationshilfe: Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/43>, abgerufen am 30.04.2024.