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Pflüger, Eduard Friedrich Wilhelm: Die sensorischen Functionen des Rückenmarks der Wirbelthiere. Berlin, 1853.

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steht es auf; es geht, wenn man es stösst. Ist es ein Frosch,
so springt er, wenn man ihn berührt; ist es ein Vogel, so fliegt
er, wenn man ihn in die Luft wirft; er wehrt ab, wenn man
ihn belästigt; wenn man ihm Wasser in den Schnabel giesst,
so verschluckt er es.

"Ohne Zweifel wird man Mühe haben zu glauben, dass alle
diese Actionen vollzogen werden, ohne durch irgend eine Em¬
pfindung hervorgerufen zu sein. Es ist sehr wahr, dass sie
nicht der Ausfluss des Urtheils sind. Das Thier entwischt ohne
Zweck; es hat kein Gedächtniss mehr und stösst sich mehre
Male gegen dasselbe Hinderniss: Das beweist aber höchstens
und das sind die eigenen Worte des Herrn Flourens, dass
ein solches Thier sich in einem Schlafzustande befindet; oder
es handelt, wie ein schlafender Mensch. Aber wir sind weit
entfernt zu glauben, dass ein Mensch, welcher schläft, welcher
sich im Schlafe bewegt, welcher bequemere Lagen in diesem
Zustande anzunehmen weiss, absolut der Empfindungen beraubt
sei; und weil die Perceptionen nicht distinkt waren, und weil
er sich deren nicht mehr erinnert, so ist es noch nicht bewie¬
sen, dass er sie nicht gehabt hat. (Sehr gut!) Deshalb, anstatt
zu sagen, wie der Verfasser, dass die Hemisphären das einzige
Organ der Empfindungen seien, verwahren wir uns für die be¬
merkten Fakten und beschränken uns zu sagen, dass diese Lobi
das alleinige receptaculum sind, wo die Empfindungen des Ge¬
sichts und Gehörs verbraucht werden können und perceptibel
für das Thier. Noch können wir hinzufügen und sagen, dass
die Hemisphären auch der Ort sind, wo alle Sensationen eine
bestimmte Form annehmen und Spuren und dauerndes Gedächt¬
niss zurücklassen; dass dieselben in einem Worte dem Gedächt¬
nisse zum Sitze dienen, durch welche Eigenschaft sie dem Thiere
das Material seiner Urtheilsacte liefern. (Sehr gut!) Dieser
Schluss, auf diese Weise in richtiger Weise ausgedrückt, wird
um so probabler, als die vergleichende Anatomie eine andere
Bestätigung in der constanten Proportion des Hemisphärenvolums
mit dem Grade der Intelligenz zeigt." (Flourens a. a. O. p. 77-79.)

steht es auf; es geht, wenn man es stösst. Ist es ein Frosch,
so springt er, wenn man ihn berührt; ist es ein Vogel, so fliegt
er, wenn man ihn in die Luft wirft; er wehrt ab, wenn man
ihn belästigt; wenn man ihm Wasser in den Schnabel giesst,
so verschluckt er es.

„Ohne Zweifel wird man Mühe haben zu glauben, dass alle
diese Actionen vollzogen werden, ohne durch irgend eine Em¬
pfindung hervorgerufen zu sein. Es ist sehr wahr, dass sie
nicht der Ausfluss des Urtheils sind. Das Thier entwischt ohne
Zweck; es hat kein Gedächtniss mehr und stösst sich mehre
Male gegen dasselbe Hinderniss: Das beweist aber höchstens
und das sind die eigenen Worte des Herrn Flourens, dass
ein solches Thier sich in einem Schlafzustande befindet; oder
es handelt, wie ein schlafender Mensch. Aber wir sind weit
entfernt zu glauben, dass ein Mensch, welcher schläft, welcher
sich im Schlafe bewegt, welcher bequemere Lagen in diesem
Zustande anzunehmen weiss, absolut der Empfindungen beraubt
sei; und weil die Perceptionen nicht distinkt waren, und weil
er sich deren nicht mehr erinnert, so ist es noch nicht bewie¬
sen, dass er sie nicht gehabt hat. (Sehr gut!) Deshalb, anstatt
zu sagen, wie der Verfasser, dass die Hemisphären das einzige
Organ der Empfindungen seien, verwahren wir uns für die be¬
merkten Fakten und beschränken uns zu sagen, dass diese Lobi
das alleinige receptaculum sind, wo die Empfindungen des Ge¬
sichts und Gehörs verbraucht werden können und perceptibel
für das Thier. Noch können wir hinzufügen und sagen, dass
die Hemisphären auch der Ort sind, wo alle Sensationen eine
bestimmte Form annehmen und Spuren und dauerndes Gedächt¬
niss zurücklassen; dass dieselben in einem Worte dem Gedächt¬
nisse zum Sitze dienen, durch welche Eigenschaft sie dem Thiere
das Material seiner Urtheilsacte liefern. (Sehr gut!) Dieser
Schluss, auf diese Weise in richtiger Weise ausgedrückt, wird
um so probabler, als die vergleichende Anatomie eine andere
Bestätigung in der constanten Proportion des Hemisphärenvolums
mit dem Grade der Intelligenz zeigt.“ (Flourens a. a. O. p. 77–79.)

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[12/0034] steht es auf; es geht, wenn man es stösst. Ist es ein Frosch, so springt er, wenn man ihn berührt; ist es ein Vogel, so fliegt er, wenn man ihn in die Luft wirft; er wehrt ab, wenn man ihn belästigt; wenn man ihm Wasser in den Schnabel giesst, so verschluckt er es. „Ohne Zweifel wird man Mühe haben zu glauben, dass alle diese Actionen vollzogen werden, ohne durch irgend eine Em¬ pfindung hervorgerufen zu sein. Es ist sehr wahr, dass sie nicht der Ausfluss des Urtheils sind. Das Thier entwischt ohne Zweck; es hat kein Gedächtniss mehr und stösst sich mehre Male gegen dasselbe Hinderniss: Das beweist aber höchstens und das sind die eigenen Worte des Herrn Flourens, dass ein solches Thier sich in einem Schlafzustande befindet; oder es handelt, wie ein schlafender Mensch. Aber wir sind weit entfernt zu glauben, dass ein Mensch, welcher schläft, welcher sich im Schlafe bewegt, welcher bequemere Lagen in diesem Zustande anzunehmen weiss, absolut der Empfindungen beraubt sei; und weil die Perceptionen nicht distinkt waren, und weil er sich deren nicht mehr erinnert, so ist es noch nicht bewie¬ sen, dass er sie nicht gehabt hat. (Sehr gut!) Deshalb, anstatt zu sagen, wie der Verfasser, dass die Hemisphären das einzige Organ der Empfindungen seien, verwahren wir uns für die be¬ merkten Fakten und beschränken uns zu sagen, dass diese Lobi das alleinige receptaculum sind, wo die Empfindungen des Ge¬ sichts und Gehörs verbraucht werden können und perceptibel für das Thier. Noch können wir hinzufügen und sagen, dass die Hemisphären auch der Ort sind, wo alle Sensationen eine bestimmte Form annehmen und Spuren und dauerndes Gedächt¬ niss zurücklassen; dass dieselben in einem Worte dem Gedächt¬ nisse zum Sitze dienen, durch welche Eigenschaft sie dem Thiere das Material seiner Urtheilsacte liefern. (Sehr gut!) Dieser Schluss, auf diese Weise in richtiger Weise ausgedrückt, wird um so probabler, als die vergleichende Anatomie eine andere Bestätigung in der constanten Proportion des Hemisphärenvolums mit dem Grade der Intelligenz zeigt.“ (Flourens a. a. O. p. 77–79.)

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Zitationshilfe: Pflüger, Eduard Friedrich Wilhelm: Die sensorischen Functionen des Rückenmarks der Wirbelthiere. Berlin, 1853, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pflueger_rueckenmark_1853/34>, abgerufen am 30.04.2024.