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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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Ich habe dem Nachbar Hartleben Raum zu seinen
Eräußerungen gegeben. Es lag mir daran, diesen
guten Mann aus der Erinnerung mir hinzumalen,
wie er war und sich gab zum Besten seiner Nachbar¬
schaft. Have pia anima! sanft ruhe seine Asche: er
hat's auch um den Ritter mehrerer Orden, Dr. jur.
Oberregierungsrath Krumhardt verdient, daß der
ihn seinen Nachkommen nach den Akten, wenn auch
nicht aktenmäßig aufbewahre als ein Zeichen, wie es
vordem zuging im Vogelsang. Sein schmeichelhaftes
Wort über mich auf dem vorigen Manuskriptblatt
kommt hierbei wahrlich nicht in Betracht, sondern
vielmehr ein vollkommenes Gegentheil davon. Es
half sehr, wenn der Nachbar Hartleben seine Meinung
über den Sohn meines Vaters dahin abgab:

"Bengel, wenn ich Du wäre, so hätte ich gestern
doch nicht mit den Händen in den Hosentaschen
dabeigestanden und die Anderen allein es ausfechten
lassen."

Ich war dann wirklich das nächste Mal nach
besten Kräften mehr mit dabei. Gewöhnlich litten
dann aber leider nicht nur die Jacken, Hosen, Nasen
und Augen, sondern auch die Gefühle der Eltern
sehr unter dieser Besserung in Nachbar Hartlebens
Sinne. Die "Frau Doktern" hatte dann nicht nur
mit einem Waschnapf für die blutende Nase, einer

Ich habe dem Nachbar Hartleben Raum zu ſeinen
Eräußerungen gegeben. Es lag mir daran, dieſen
guten Mann aus der Erinnerung mir hinzumalen,
wie er war und ſich gab zum Beſten ſeiner Nachbar¬
ſchaft. Have pia anima! ſanft ruhe ſeine Aſche: er
hat's auch um den Ritter mehrerer Orden, Dr. jur.
Oberregierungsrath Krumhardt verdient, daß der
ihn ſeinen Nachkommen nach den Akten, wenn auch
nicht aktenmäßig aufbewahre als ein Zeichen, wie es
vordem zuging im Vogelſang. Sein ſchmeichelhaftes
Wort über mich auf dem vorigen Manuſkriptblatt
kommt hierbei wahrlich nicht in Betracht, ſondern
vielmehr ein vollkommenes Gegentheil davon. Es
half ſehr, wenn der Nachbar Hartleben ſeine Meinung
über den Sohn meines Vaters dahin abgab:

„Bengel, wenn ich Du wäre, ſo hätte ich geſtern
doch nicht mit den Händen in den Hoſentaſchen
dabeigeſtanden und die Anderen allein es ausfechten
laſſen.“

Ich war dann wirklich das nächſte Mal nach
beſten Kräften mehr mit dabei. Gewöhnlich litten
dann aber leider nicht nur die Jacken, Hoſen, Naſen
und Augen, ſondern auch die Gefühle der Eltern
ſehr unter dieſer Beſſerung in Nachbar Hartlebens
Sinne. Die „Frau Doktern“ hatte dann nicht nur
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[43/0053] Ich habe dem Nachbar Hartleben Raum zu ſeinen Eräußerungen gegeben. Es lag mir daran, dieſen guten Mann aus der Erinnerung mir hinzumalen, wie er war und ſich gab zum Beſten ſeiner Nachbar¬ ſchaft. Have pia anima! ſanft ruhe ſeine Aſche: er hat's auch um den Ritter mehrerer Orden, Dr. jur. Oberregierungsrath Krumhardt verdient, daß der ihn ſeinen Nachkommen nach den Akten, wenn auch nicht aktenmäßig aufbewahre als ein Zeichen, wie es vordem zuging im Vogelſang. Sein ſchmeichelhaftes Wort über mich auf dem vorigen Manuſkriptblatt kommt hierbei wahrlich nicht in Betracht, ſondern vielmehr ein vollkommenes Gegentheil davon. Es half ſehr, wenn der Nachbar Hartleben ſeine Meinung über den Sohn meines Vaters dahin abgab: „Bengel, wenn ich Du wäre, ſo hätte ich geſtern doch nicht mit den Händen in den Hoſentaſchen dabeigeſtanden und die Anderen allein es ausfechten laſſen.“ Ich war dann wirklich das nächſte Mal nach beſten Kräften mehr mit dabei. Gewöhnlich litten dann aber leider nicht nur die Jacken, Hoſen, Naſen und Augen, ſondern auch die Gefühle der Eltern ſehr unter dieſer Beſſerung in Nachbar Hartlebens Sinne. Die „Frau Doktern“ hatte dann nicht nur mit einem Waſchnapf für die blutende Naſe, einer

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/53>, abgerufen am 30.04.2024.