Heinrich Schaumanns ebenfalls schändlich unterdrückten Anlagen zur Gemüthlichkeit und Menschenwürde etwas bekannter zu machen."
"Gehe heraus aus dem Kasten, Heinrich."
"Ihr Anderen, als ihr noch auf Schulen ginget, glaubtet vielleicht, eure Ideale zu haben. Ich hatte das meinige fest."
"Das weiß ich zur Genüge; Du hast es mir heute schon öfter gesagt: die rothe Schanze"
"Nein, durchaus nicht."
"Nun dann soll es mich doch wundern, was denn!"
"Mich!" sprach Stopfkuchen mit unerschütterlicher Gelassenheit. Dann aber sah er sich über die Schulter nach seinem Hause um, ob auch Niemand von dort komme und horche. Er hielt die Hand an den Mund und flüsterte mir hinter ihr zu:
"Ich kann Dir sagen, Eduard, sie ist ein Pracht- mädchen und bedurfte zur richtigen Zeit nur eines verständigen Mannes, also eines Idealmenschen, um das zu werden, was ich aus ihr gemacht habe. Das siehst Du doch wohl ein, Eduard, obgleich es freilich die reine Zwickmühle ist: damit ich ihr Ideal werde, mußte ich doch unbedingt vorher erst meines sein?"
"Aus dem Kasten, nur immer weiter heraus aus dem Kasten!" murmelte ich. Was hätte ich sonst murmeln sollen?
"Ihr hattet mich mal wieder allein unter der Hecke sitzen lassen, ihr Anderen, und waret eurem Ver- gnügen an der Welt ohne mich nachgelaufen. Und
Heinrich Schaumanns ebenfalls ſchändlich unterdrückten Anlagen zur Gemüthlichkeit und Menſchenwürde etwas bekannter zu machen.“
„Gehe heraus aus dem Kaſten, Heinrich.“
„Ihr Anderen, als ihr noch auf Schulen ginget, glaubtet vielleicht, eure Ideale zu haben. Ich hatte das meinige feſt.“
„Das weiß ich zur Genüge; Du haſt es mir heute ſchon öfter geſagt: die rothe Schanze“
„Nein, durchaus nicht.“
„Nun dann ſoll es mich doch wundern, was denn!“
„Mich!“ ſprach Stopfkuchen mit unerſchütterlicher Gelaſſenheit. Dann aber ſah er ſich über die Schulter nach ſeinem Hauſe um, ob auch Niemand von dort komme und horche. Er hielt die Hand an den Mund und flüſterte mir hinter ihr zu:
„Ich kann Dir ſagen, Eduard, ſie iſt ein Pracht- mädchen und bedurfte zur richtigen Zeit nur eines verſtändigen Mannes, alſo eines Idealmenſchen, um das zu werden, was ich aus ihr gemacht habe. Das ſiehſt Du doch wohl ein, Eduard, obgleich es freilich die reine Zwickmühle iſt: damit ich ihr Ideal werde, mußte ich doch unbedingt vorher erſt meines ſein?“
„Aus dem Kaſten, nur immer weiter heraus aus dem Kaſten!“ murmelte ich. Was hätte ich ſonſt murmeln ſollen?
„Ihr hattet mich mal wieder allein unter der Hecke ſitzen laſſen, ihr Anderen, und waret eurem Ver- gnügen an der Welt ohne mich nachgelaufen. Und
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0116"n="106"/>
Heinrich Schaumanns ebenfalls ſchändlich unterdrückten<lb/>
Anlagen zur Gemüthlichkeit und Menſchenwürde etwas<lb/>
bekannter zu machen.“</p><lb/><p>„Gehe heraus aus dem Kaſten, Heinrich.“</p><lb/><p>„Ihr Anderen, als ihr noch auf Schulen ginget,<lb/>
glaubtet vielleicht, eure Ideale zu haben. Ich hatte<lb/>
das meinige feſt.“</p><lb/><p>„Das weiß ich zur Genüge; Du haſt es mir<lb/>
heute ſchon öfter geſagt: die rothe Schanze“</p><lb/><p>„Nein, durchaus nicht.“</p><lb/><p>„Nun dann ſoll es mich doch wundern, was<lb/>
denn!“</p><lb/><p>„Mich!“ſprach Stopfkuchen mit unerſchütterlicher<lb/>
Gelaſſenheit. Dann aber ſah er ſich über die Schulter<lb/>
nach ſeinem Hauſe um, ob auch Niemand von dort<lb/>
komme und horche. Er hielt die Hand an den Mund<lb/>
und flüſterte mir hinter ihr zu:</p><lb/><p>„Ich kann Dir ſagen, Eduard, ſie iſt ein Pracht-<lb/>
mädchen und bedurfte zur richtigen Zeit nur eines<lb/>
verſtändigen Mannes, alſo eines Idealmenſchen, um<lb/>
das zu werden, was ich aus ihr gemacht habe. Das<lb/>ſiehſt Du doch wohl ein, Eduard, obgleich es freilich<lb/>
die reine Zwickmühle iſt: damit ich ihr Ideal werde,<lb/>
mußte ich doch unbedingt vorher erſt meines ſein?“</p><lb/><p>„Aus dem Kaſten, nur immer weiter heraus<lb/>
aus dem Kaſten!“ murmelte ich. Was hätte ich ſonſt<lb/>
murmeln ſollen?</p><lb/><p>„Ihr hattet mich mal wieder allein unter der Hecke<lb/>ſitzen laſſen, ihr Anderen, und waret eurem Ver-<lb/>
gnügen an der Welt ohne mich nachgelaufen. Und<lb/></p></div></body></text></TEI>
[106/0116]
Heinrich Schaumanns ebenfalls ſchändlich unterdrückten
Anlagen zur Gemüthlichkeit und Menſchenwürde etwas
bekannter zu machen.“
„Gehe heraus aus dem Kaſten, Heinrich.“
„Ihr Anderen, als ihr noch auf Schulen ginget,
glaubtet vielleicht, eure Ideale zu haben. Ich hatte
das meinige feſt.“
„Das weiß ich zur Genüge; Du haſt es mir
heute ſchon öfter geſagt: die rothe Schanze“
„Nein, durchaus nicht.“
„Nun dann ſoll es mich doch wundern, was
denn!“
„Mich!“ ſprach Stopfkuchen mit unerſchütterlicher
Gelaſſenheit. Dann aber ſah er ſich über die Schulter
nach ſeinem Hauſe um, ob auch Niemand von dort
komme und horche. Er hielt die Hand an den Mund
und flüſterte mir hinter ihr zu:
„Ich kann Dir ſagen, Eduard, ſie iſt ein Pracht-
mädchen und bedurfte zur richtigen Zeit nur eines
verſtändigen Mannes, alſo eines Idealmenſchen, um
das zu werden, was ich aus ihr gemacht habe. Das
ſiehſt Du doch wohl ein, Eduard, obgleich es freilich
die reine Zwickmühle iſt: damit ich ihr Ideal werde,
mußte ich doch unbedingt vorher erſt meines ſein?“
„Aus dem Kaſten, nur immer weiter heraus
aus dem Kaſten!“ murmelte ich. Was hätte ich ſonſt
murmeln ſollen?
„Ihr hattet mich mal wieder allein unter der Hecke
ſitzen laſſen, ihr Anderen, und waret eurem Ver-
gnügen an der Welt ohne mich nachgelaufen. Und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordge… [mehr]
Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte" entstand ca. 1888/90. Der Text erschien zuerst 1891 in der Deutschen Roman-Zeitung (28. Jg., Nr. 1–6) und wurde für das Deutsche Textarchiv, gemäß den DTA-Leitlinien, nach der ersten selbstständigen Veröffentlichung digitalisiert.
Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/116>, abgerufen am 18.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.