man das im hohen Ton nennt: aufs hohe Meer. Dort weht gewöhnlich ein frischer Wind, und der Mann sieht auch unterwegs nur lauter andere Ge- sichter, nicht wie wir hier immer dieselbigen. Dem glücklichen Kerl will ich frisch diesen Duft der Heimath von der Lagerstelle aus mit auf die Reise geben, und dann ist er gewissermaßen auch sogar dazu be- rechtigt. Er steckt persönlich viel tiefer mit drin, als er es sich jetzt noch vermuthet. Ja, ja, guck nur, mein Junge! mach' mir nur große Augen! Also, Du willst wirklich nicht mit uns zu Abend essen? Na, dann unterhalte Du jetzt meine Frau so lange, bis ich die nöthige Toilette gemacht habe."
Er erhob sich schwerstöhnend von der Bank auf dem Walle des Prinzen Xaverius, griff, die erloschene Pfeife in der Linken, mit der Rechten zärtlich seinem Weibe unters Kinn und sagte:
"Ja, bleib Du lieber hier Oben in der guten, lieben Luft unserer Schanze, Herz. Es ist ein zu angenehmer Abend und zu hübsch still, nur noch mit den späten Lerchen in der Luft! Diesem Weltwanderer wird der Seewind und vielleicht so 'n kleiner Schiff- bruch mit interessanter Rettung und dergleichen den fatalen Geruch von da unten wieder aus der Nase fegen. Und dann sehe ich ihn leider vielleicht in meinem ganzen Leben, nach seiner Abreise natürlich, nicht wieder und habe ihm also auch nicht Beruhigung, Seelenruhe zuzusprechen und Gespenstergesindel aus der Phantasie weg zu kehren. Aber mit Dir -- zwischen uns, mein armes Herz, ist das eben eine andere
man das im hohen Ton nennt: aufs hohe Meer. Dort weht gewöhnlich ein friſcher Wind, und der Mann ſieht auch unterwegs nur lauter andere Ge- ſichter, nicht wie wir hier immer dieſelbigen. Dem glücklichen Kerl will ich friſch dieſen Duft der Heimath von der Lagerſtelle aus mit auf die Reiſe geben, und dann iſt er gewiſſermaßen auch ſogar dazu be- rechtigt. Er ſteckt perſönlich viel tiefer mit drin, als er es ſich jetzt noch vermuthet. Ja, ja, guck nur, mein Junge! mach' mir nur große Augen! Alſo, Du willſt wirklich nicht mit uns zu Abend eſſen? Na, dann unterhalte Du jetzt meine Frau ſo lange, bis ich die nöthige Toilette gemacht habe.“
Er erhob ſich ſchwerſtöhnend von der Bank auf dem Walle des Prinzen Xaverius, griff, die erloſchene Pfeife in der Linken, mit der Rechten zärtlich ſeinem Weibe unters Kinn und ſagte:
„Ja, bleib Du lieber hier Oben in der guten, lieben Luft unſerer Schanze, Herz. Es iſt ein zu angenehmer Abend und zu hübſch ſtill, nur noch mit den ſpäten Lerchen in der Luft! Dieſem Weltwanderer wird der Seewind und vielleicht ſo 'n kleiner Schiff- bruch mit intereſſanter Rettung und dergleichen den fatalen Geruch von da unten wieder aus der Naſe fegen. Und dann ſehe ich ihn leider vielleicht in meinem ganzen Leben, nach ſeiner Abreiſe natürlich, nicht wieder und habe ihm alſo auch nicht Beruhigung, Seelenruhe zuzuſprechen und Geſpenſtergeſindel aus der Phantaſie weg zu kehren. Aber mit Dir — zwiſchen uns, mein armes Herz, iſt das eben eine andere
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man das im hohen Ton nennt: aufs hohe Meer.
Dort weht gewöhnlich ein friſcher Wind, und der
Mann ſieht auch unterwegs nur lauter andere Ge-
ſichter, nicht wie wir hier immer dieſelbigen. Dem
glücklichen Kerl will ich friſch dieſen Duft der Heimath
von der Lagerſtelle aus mit auf die Reiſe geben,
und dann iſt er gewiſſermaßen auch ſogar dazu be-
rechtigt. Er ſteckt perſönlich viel tiefer mit drin, als
er es ſich jetzt noch vermuthet. Ja, ja, guck nur,
mein Junge! mach' mir nur große Augen! Alſo,
Du willſt wirklich nicht mit uns zu Abend eſſen?
Na, dann unterhalte Du jetzt meine Frau ſo lange,
bis ich die nöthige Toilette gemacht habe.“
Er erhob ſich ſchwerſtöhnend von der Bank auf
dem Walle des Prinzen Xaverius, griff, die erloſchene
Pfeife in der Linken, mit der Rechten zärtlich ſeinem
Weibe unters Kinn und ſagte:
„Ja, bleib Du lieber hier Oben in der guten,
lieben Luft unſerer Schanze, Herz. Es iſt ein zu
angenehmer Abend und zu hübſch ſtill, nur noch mit
den ſpäten Lerchen in der Luft! Dieſem Weltwanderer
wird der Seewind und vielleicht ſo 'n kleiner Schiff-
bruch mit intereſſanter Rettung und dergleichen den
fatalen Geruch von da unten wieder aus der Naſe
fegen. Und dann ſehe ich ihn leider vielleicht in
meinem ganzen Leben, nach ſeiner Abreiſe natürlich,
nicht wieder und habe ihm alſo auch nicht Beruhigung,
Seelenruhe zuzuſprechen und Geſpenſtergeſindel aus
der Phantaſie weg zu kehren. Aber mit Dir — zwiſchen
uns, mein armes Herz, iſt das eben eine andere
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordge… [mehr]
Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte" entstand ca. 1888/90. Der Text erschien zuerst 1891 in der Deutschen Roman-Zeitung (28. Jg., Nr. 1–6) und wurde für das Deutsche Textarchiv, gemäß den DTA-Leitlinien, nach der ersten selbstständigen Veröffentlichung digitalisiert.
Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/215>, abgerufen am 10.06.2024.
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