Friedlev Frohton. Dieses hoffnungsvolle Kind hat sein Leben nicht höher gebracht, als auf ein Jahr und drey Tage. Sein Vater, der Apo- theker in Bergen, kann sich über den frühzeitigen Verlust dieses tugendhaften Söhnleins noch itzt nicht trösten. Er fand einen recht männlichen Ver- stand an demselben, welches ihn vielmals auf die zweifelhaften Gedanken gebracht hat, ob es auch wirklich sein eigner Sohn wäre. Alle Handlun- gen dieses Kindes verriethen, seiner Meynung nach, eine große Seele. Wenn es auf seinem Stühlchen saß, so machte es eine so ernsthafte Miene, als ein Arzt, welcher bey dem Krankenbette sitzt, und zwei- felhaft ist, ob er den Patienten an Pulvern oder an Tropfen sterben lassen will. Eben diese ernst- hafte Miene hielt der aufmerksame Vater für einen untrüglichen Beruf, daß sein Sohn in Doctorem medicinae promoviren müßte; nur war er noch zweifelhaft, ob es zu Upsal, oder zu Coppenhagen geschehen sollte, welche Ungewißheit ihm viel schlaf- lose Nächte machte. Schon im Geiste stellte er sich vor, wie ansehnlich der junge Herr Doctor Frothon in einer sammtnen Weste einher treten, und den Glanz seines väterlichen Hauses empor bringen würde. Aber auf einmal verschwand diese süße Einbildung durch den Tod des hoffnungsvol- len Knabens, und der unglückliche Vater hatte weiter keinen Trost, als diesen, daß er unter seinen Händen starb; denn er war eben im Begriffe, ihm das letzte Clystier zu setzen, als er verschied. Sein Vaterland bedauerte er so sehr, als sich selbst.
War
Eine Todtenliſte
Friedlev Frohton. Dieſes hoffnungsvolle Kind hat ſein Leben nicht hoͤher gebracht, als auf ein Jahr und drey Tage. Sein Vater, der Apo- theker in Bergen, kann ſich uͤber den fruͤhzeitigen Verluſt dieſes tugendhaften Soͤhnleins noch itzt nicht troͤſten. Er fand einen recht maͤnnlichen Ver- ſtand an demſelben, welches ihn vielmals auf die zweifelhaften Gedanken gebracht hat, ob es auch wirklich ſein eigner Sohn waͤre. Alle Handlun- gen dieſes Kindes verriethen, ſeiner Meynung nach, eine große Seele. Wenn es auf ſeinem Stuͤhlchen ſaß, ſo machte es eine ſo ernſthafte Miene, als ein Arzt, welcher bey dem Krankenbette ſitzt, und zwei- felhaft iſt, ob er den Patienten an Pulvern oder an Tropfen ſterben laſſen will. Eben dieſe ernſt- hafte Miene hielt der aufmerkſame Vater fuͤr einen untruͤglichen Beruf, daß ſein Sohn in Doctorem medicinae promoviren muͤßte; nur war er noch zweifelhaft, ob es zu Upſal, oder zu Coppenhagen geſchehen ſollte, welche Ungewißheit ihm viel ſchlaf- loſe Naͤchte machte. Schon im Geiſte ſtellte er ſich vor, wie anſehnlich der junge Herr Doctor Frothon in einer ſammtnen Weſte einher treten, und den Glanz ſeines vaͤterlichen Hauſes empor bringen wuͤrde. Aber auf einmal verſchwand dieſe ſuͤße Einbildung durch den Tod des hoffnungsvol- len Knabens, und der ungluͤckliche Vater hatte weiter keinen Troſt, als dieſen, daß er unter ſeinen Haͤnden ſtarb; denn er war eben im Begriffe, ihm das letzte Clyſtier zu ſetzen, als er verſchied. Sein Vaterland bedauerte er ſo ſehr, als ſich ſelbſt.
War
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Eine Todtenliſte
Friedlev Frohton. Dieſes hoffnungsvolle
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ein Jahr und drey Tage. Sein Vater, der Apo-
theker in Bergen, kann ſich uͤber den fruͤhzeitigen
Verluſt dieſes tugendhaften Soͤhnleins noch itzt
nicht troͤſten. Er fand einen recht maͤnnlichen Ver-
ſtand an demſelben, welches ihn vielmals auf die
zweifelhaften Gedanken gebracht hat, ob es auch
wirklich ſein eigner Sohn waͤre. Alle Handlun-
gen dieſes Kindes verriethen, ſeiner Meynung nach,
eine große Seele. Wenn es auf ſeinem Stuͤhlchen
ſaß, ſo machte es eine ſo ernſthafte Miene, als ein
Arzt, welcher bey dem Krankenbette ſitzt, und zwei-
felhaft iſt, ob er den Patienten an Pulvern oder
an Tropfen ſterben laſſen will. Eben dieſe ernſt-
hafte Miene hielt der aufmerkſame Vater fuͤr einen
untruͤglichen Beruf, daß ſein Sohn in Doctorem
medicinae promoviren muͤßte; nur war er noch
zweifelhaft, ob es zu Upſal, oder zu Coppenhagen
geſchehen ſollte, welche Ungewißheit ihm viel ſchlaf-
loſe Naͤchte machte. Schon im Geiſte ſtellte er
ſich vor, wie anſehnlich der junge Herr Doctor
Frothon in einer ſammtnen Weſte einher treten,
und den Glanz ſeines vaͤterlichen Hauſes empor
bringen wuͤrde. Aber auf einmal verſchwand dieſe
ſuͤße Einbildung durch den Tod des hoffnungsvol-
len Knabens, und der ungluͤckliche Vater hatte
weiter keinen Troſt, als dieſen, daß er unter ſeinen
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/264>, abgerufen am 16.06.2024.
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