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Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

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Xenophon und Plato, die hier beyde die Kardinalquellen seyn müssen, eine Verwechselung der Liebe mit der Freundschaft. Diese letzte war nach ihnen ein zärtliches auf Gewohnheit und Uebereinstimmung der Neigungen gegründetes Band, das aber keines der üppigen, lüsternen, und leidenschaftlichen Symptome mit sich führte, die sie der Liebe beylegen.

Zweytens erklärt sich nun auch aus dieser Darstellung der Denkungsart der wohlerzogenen Athenienser über die Liebe zu den Lieblingen, wie sie diese theils haben billigen, theils verdammen können. Der Regel nach war die Richtung, welche die körperliche Geschlechtssympathie auf Personen des nehmlichen Geschlechts nahm, den strengeren Forderungen der Moral zuwider, und ihre schamlose Befriedigung immer unanständig. Eben so wie es heut zu Tage der Ehebruch bey den Spaniern und Italienern, ja selbst, in den verdorbensten Hauptstädten eines jeden andern Landes ist. Darum trugen die Väter Sorge, ihre Söhne davor zu bewahren; darum legte man Werth auf die Enthaltsamkeit in diesem Stücke; darum durfte der Charakter des Weisen mit dieser Schwäche nicht befleckt seyn! Aber wenn es mit Beobachtung des äußern Anstandes geschah: wenn es durch große Vorzüge und Vortheile, welche dauernde Verbindungen ausgezeichneter Männer mit hoffnungsvollen Jünglingen mit sich führten, ausgetilgt wurde: wenn es mehr Folge einer menschlichen Schwäche, als eine zügellose Brutalität war; so ward es verziehen, so erweckten solche Verbindungen sogar ein Interesse, wie ungefähr die Cicisbeaturen in Spanien und in Italien, und die Galanterien, die in Frankreich und dem übrigen Europa

Xenophon und Plato, die hier beyde die Kardinalquellen seyn müssen, eine Verwechselung der Liebe mit der Freundschaft. Diese letzte war nach ihnen ein zärtliches auf Gewohnheit und Uebereinstimmung der Neigungen gegründetes Band, das aber keines der üppigen, lüsternen, und leidenschaftlichen Symptome mit sich führte, die sie der Liebe beylegen.

Zweytens erklärt sich nun auch aus dieser Darstellung der Denkungsart der wohlerzogenen Athenienser über die Liebe zu den Lieblingen, wie sie diese theils haben billigen, theils verdammen können. Der Regel nach war die Richtung, welche die körperliche Geschlechtssympathie auf Personen des nehmlichen Geschlechts nahm, den strengeren Forderungen der Moral zuwider, und ihre schamlose Befriedigung immer unanständig. Eben so wie es heut zu Tage der Ehebruch bey den Spaniern und Italienern, ja selbst, in den verdorbensten Hauptstädten eines jeden andern Landes ist. Darum trugen die Väter Sorge, ihre Söhne davor zu bewahren; darum legte man Werth auf die Enthaltsamkeit in diesem Stücke; darum durfte der Charakter des Weisen mit dieser Schwäche nicht befleckt seyn! Aber wenn es mit Beobachtung des äußern Anstandes geschah: wenn es durch große Vorzüge und Vortheile, welche dauernde Verbindungen ausgezeichneter Männer mit hoffnungsvollen Jünglingen mit sich führten, ausgetilgt wurde: wenn es mehr Folge einer menschlichen Schwäche, als eine zügellose Brutalität war; so ward es verziehen, so erweckten solche Verbindungen sogar ein Interesse, wie ungefähr die Cicisbeaturen in Spanien und in Italien, und die Galanterien, die in Frankreich und dem übrigen Europa

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[152/0152] Xenophon und Plato, die hier beyde die Kardinalquellen seyn müssen, eine Verwechselung der Liebe mit der Freundschaft. Diese letzte war nach ihnen ein zärtliches auf Gewohnheit und Uebereinstimmung der Neigungen gegründetes Band, das aber keines der üppigen, lüsternen, und leidenschaftlichen Symptome mit sich führte, die sie der Liebe beylegen. Zweytens erklärt sich nun auch aus dieser Darstellung der Denkungsart der wohlerzogenen Athenienser über die Liebe zu den Lieblingen, wie sie diese theils haben billigen, theils verdammen können. Der Regel nach war die Richtung, welche die körperliche Geschlechtssympathie auf Personen des nehmlichen Geschlechts nahm, den strengeren Forderungen der Moral zuwider, und ihre schamlose Befriedigung immer unanständig. Eben so wie es heut zu Tage der Ehebruch bey den Spaniern und Italienern, ja selbst, in den verdorbensten Hauptstädten eines jeden andern Landes ist. Darum trugen die Väter Sorge, ihre Söhne davor zu bewahren; darum legte man Werth auf die Enthaltsamkeit in diesem Stücke; darum durfte der Charakter des Weisen mit dieser Schwäche nicht befleckt seyn! Aber wenn es mit Beobachtung des äußern Anstandes geschah: wenn es durch große Vorzüge und Vortheile, welche dauernde Verbindungen ausgezeichneter Männer mit hoffnungsvollen Jünglingen mit sich führten, ausgetilgt wurde: wenn es mehr Folge einer menschlichen Schwäche, als eine zügellose Brutalität war; so ward es verziehen, so erweckten solche Verbindungen sogar ein Interesse, wie ungefähr die Cicisbeaturen in Spanien und in Italien, und die Galanterien, die in Frankreich und dem übrigen Europa

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Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/152>, abgerufen am 26.04.2024.