Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 3. Berlin, 1836.Buch VIII. Spätere Epochen. chen Einfluß die religiösen Bestrebungen Ludwigs XIV. aufden französischen, ja auf den europäischen Geist überhaupt her- vorgebracht haben. Er hatte die äußerste Gewalt angewandt, göttliche und menschliche Gesetze verletzt, um den Protestan- tismus auszurotten, und selbst alle abweichenden Meinun- gen innerhalb des Katholicismus zu vernichten; sein gan- zes Bestreben war gewesen, seinem Reiche eine vollkommen und orthodox katholische Haltung zu geben. Kaum hatte er aber die Augen geschlossen, als alles umschlug. Der reprimirte Geist warf sich in eine zügellose Bewegung. Gerade der Abscheu gegen das Verfahren Ludwigs XIV. Es liegt am Tage, wie wenig diese Tendenzen mit Buch VIII. Spaͤtere Epochen. chen Einfluß die religioͤſen Beſtrebungen Ludwigs XIV. aufden franzoͤſiſchen, ja auf den europaͤiſchen Geiſt uͤberhaupt her- vorgebracht haben. Er hatte die aͤußerſte Gewalt angewandt, goͤttliche und menſchliche Geſetze verletzt, um den Proteſtan- tismus auszurotten, und ſelbſt alle abweichenden Meinun- gen innerhalb des Katholicismus zu vernichten; ſein gan- zes Beſtreben war geweſen, ſeinem Reiche eine vollkommen und orthodox katholiſche Haltung zu geben. Kaum hatte er aber die Augen geſchloſſen, als alles umſchlug. Der reprimirte Geiſt warf ſich in eine zuͤgelloſe Bewegung. Gerade der Abſcheu gegen das Verfahren Ludwigs XIV. Es liegt am Tage, wie wenig dieſe Tendenzen mit <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0200" n="188"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Buch</hi><hi rendition="#aq">VIII.</hi><hi rendition="#g">Spaͤtere Epochen</hi>.</fw><lb/> chen Einfluß die religioͤſen Beſtrebungen Ludwigs <hi rendition="#aq">XIV.</hi> auf<lb/> den franzoͤſiſchen, ja auf den europaͤiſchen Geiſt uͤberhaupt her-<lb/> vorgebracht haben. Er hatte die aͤußerſte Gewalt angewandt,<lb/> goͤttliche und menſchliche Geſetze verletzt, um den Proteſtan-<lb/> tismus auszurotten, und ſelbſt alle abweichenden Meinun-<lb/> gen innerhalb des Katholicismus zu vernichten; ſein gan-<lb/> zes Beſtreben war geweſen, ſeinem Reiche eine vollkommen<lb/> und orthodox katholiſche Haltung zu geben. Kaum hatte<lb/> er aber die Augen geſchloſſen, als alles umſchlug. Der<lb/> reprimirte Geiſt warf ſich in eine zuͤgelloſe Bewegung.</p><lb/> <p>Gerade der Abſcheu gegen das Verfahren Ludwigs <hi rendition="#aq">XIV.</hi><lb/> bewirkte, daß ſich eine Meinung erhob, die dem Katholi-<lb/> cismus, ja aller poſitiven Religion uͤberhaupt den Krieg<lb/> erklaͤrte. Von Jahr zu Jahr nahm ſie an innerer Kraft<lb/> und Verbreitung nach außen zu. Die ſuͤdeuropaͤiſchen Reiche<lb/> waren auf die innigſte Verbindung der Kirche und des Staa-<lb/> tes gegruͤndet. Hier bildete ſich eine Geſinnung aus, welche<lb/> den Widerwillen gegen Kirche und Religion zu einem Syſtem<lb/> entwickelte, in welchem ſie alle Vorſtellungen von Gott<lb/> und Welt, alle Principien des Staates und der Geſellſchaft,<lb/> alle Wiſſenſchaften ſyſtematiſch begriff, eine Literatur der<lb/> Oppoſition, welche die Geiſter unwillkuͤhrlich an ſich riß<lb/> und mit unaufloͤslichen Banden feſſelte.</p><lb/> <p>Es liegt am Tage, wie wenig dieſe Tendenzen mit<lb/> einander uͤbereinſtimmten: die reformirende war ihrer Natur<lb/> nach monarchiſch: was man von der philoſophiſchen nicht<lb/> ſagen kann, die ſich gar bald auch dem Staate entgegen-<lb/> ſetzte: die janſeniſtiſche hielt an Ueberzeugungen feſt, welche<lb/> der einen wie der andern gleichguͤltig wo nicht verhaßt<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [188/0200]
Buch VIII. Spaͤtere Epochen.
chen Einfluß die religioͤſen Beſtrebungen Ludwigs XIV. auf
den franzoͤſiſchen, ja auf den europaͤiſchen Geiſt uͤberhaupt her-
vorgebracht haben. Er hatte die aͤußerſte Gewalt angewandt,
goͤttliche und menſchliche Geſetze verletzt, um den Proteſtan-
tismus auszurotten, und ſelbſt alle abweichenden Meinun-
gen innerhalb des Katholicismus zu vernichten; ſein gan-
zes Beſtreben war geweſen, ſeinem Reiche eine vollkommen
und orthodox katholiſche Haltung zu geben. Kaum hatte
er aber die Augen geſchloſſen, als alles umſchlug. Der
reprimirte Geiſt warf ſich in eine zuͤgelloſe Bewegung.
Gerade der Abſcheu gegen das Verfahren Ludwigs XIV.
bewirkte, daß ſich eine Meinung erhob, die dem Katholi-
cismus, ja aller poſitiven Religion uͤberhaupt den Krieg
erklaͤrte. Von Jahr zu Jahr nahm ſie an innerer Kraft
und Verbreitung nach außen zu. Die ſuͤdeuropaͤiſchen Reiche
waren auf die innigſte Verbindung der Kirche und des Staa-
tes gegruͤndet. Hier bildete ſich eine Geſinnung aus, welche
den Widerwillen gegen Kirche und Religion zu einem Syſtem
entwickelte, in welchem ſie alle Vorſtellungen von Gott
und Welt, alle Principien des Staates und der Geſellſchaft,
alle Wiſſenſchaften ſyſtematiſch begriff, eine Literatur der
Oppoſition, welche die Geiſter unwillkuͤhrlich an ſich riß
und mit unaufloͤslichen Banden feſſelte.
Es liegt am Tage, wie wenig dieſe Tendenzen mit
einander uͤbereinſtimmten: die reformirende war ihrer Natur
nach monarchiſch: was man von der philoſophiſchen nicht
ſagen kann, die ſich gar bald auch dem Staate entgegen-
ſetzte: die janſeniſtiſche hielt an Ueberzeugungen feſt, welche
der einen wie der andern gleichguͤltig wo nicht verhaßt
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