stiftete Eidgenossenschaft bereits zu einer festen Landesver- fassung und dem Genusse einer beinahe vollständigen Un- abhängigkeit erweitert. Überall finden wir andre Verhält- nisse, andre Ansprüche und Streitigkeiten, andre Mittel des Kampfes; aber überall hält man sich mit einer jeden Augen- blick in Flammen zu setzenden Feindseligkeit gleichsam um- faßt, umspannt, zum Kampfe fertig. Noch immer konnte die Meinung auftauchen, als werde in diesen Gegensätzen das städtische Prinzip am Ende vielleicht doch noch die Oberhand erlangen, und dem Herrenstand eben so verderb- lich werden wie dieser dem Kaiserthum.
Bei diesem Gegeneinanderlaufen aller lebendigen Be- strebungen und Kräfte, bei der Entfernung und Macht- losigkeit des Oberhauptes, und da sich auch unter den Zusammengehörenden, Natürlich-verbündeten Entzweiun- gen nicht vermeiden ließen, mußte ein Zustand eintreten, dessen Anblick etwas Chaotisches hat; es waren die Zei- ten der allgemeinen Fehde. Die Fehde ist ein Mittelding zwischen Duell und Krieg. Jede Beleidigung und Ver- letzung führt nach einigen Formalitäten zu der Erklärung an den Gegner, daß man sein, seiner Helfer und Helfers- helfer Feind seyn wolle. Die Reichsgewalten fühlen sich so wenig vermögend dem zu steuern, daß sie nur Beschränkun- gen festzusetzen suchen, und in ihren bedingten Verboten doch zugleich wieder die Erlaubniß aussprechen. 1 Das Recht, das
1 Z. B. verordnet die Reformation Friedrichs III von 1442 "daß nymand dem andern Schaden tun oder zufügen soll, er habe ihn denn zuvor -- zu landläufigen Rechten erfordert." Es werden nun die Bestimmungen der goldnen Bulle de diffidationibus wiederholt.
Einleitung.
ſtiftete Eidgenoſſenſchaft bereits zu einer feſten Landesver- faſſung und dem Genuſſe einer beinahe vollſtändigen Un- abhängigkeit erweitert. Überall finden wir andre Verhält- niſſe, andre Anſprüche und Streitigkeiten, andre Mittel des Kampfes; aber überall hält man ſich mit einer jeden Augen- blick in Flammen zu ſetzenden Feindſeligkeit gleichſam um- faßt, umſpannt, zum Kampfe fertig. Noch immer konnte die Meinung auftauchen, als werde in dieſen Gegenſätzen das ſtädtiſche Prinzip am Ende vielleicht doch noch die Oberhand erlangen, und dem Herrenſtand eben ſo verderb- lich werden wie dieſer dem Kaiſerthum.
Bei dieſem Gegeneinanderlaufen aller lebendigen Be- ſtrebungen und Kräfte, bei der Entfernung und Macht- loſigkeit des Oberhauptes, und da ſich auch unter den Zuſammengehörenden, Natürlich-verbündeten Entzweiun- gen nicht vermeiden ließen, mußte ein Zuſtand eintreten, deſſen Anblick etwas Chaotiſches hat; es waren die Zei- ten der allgemeinen Fehde. Die Fehde iſt ein Mittelding zwiſchen Duell und Krieg. Jede Beleidigung und Ver- letzung führt nach einigen Formalitäten zu der Erklärung an den Gegner, daß man ſein, ſeiner Helfer und Helfers- helfer Feind ſeyn wolle. Die Reichsgewalten fühlen ſich ſo wenig vermögend dem zu ſteuern, daß ſie nur Beſchränkun- gen feſtzuſetzen ſuchen, und in ihren bedingten Verboten doch zugleich wieder die Erlaubniß ausſprechen. 1 Das Recht, das
1 Z. B. verordnet die Reformation Friedrichs III von 1442 „daß nymand dem andern Schaden tun oder zufuͤgen ſoll, er habe ihn denn zuvor — zu landlaͤufigen Rechten erfordert.“ Es werden nun die Beſtimmungen der goldnen Bulle de diffidationibus wiederholt.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0086"n="68"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Einleitung</hi>.</fw><lb/>ſtiftete Eidgenoſſenſchaft bereits zu einer feſten Landesver-<lb/>
faſſung und dem Genuſſe einer beinahe vollſtändigen Un-<lb/>
abhängigkeit erweitert. Überall finden wir andre Verhält-<lb/>
niſſe, andre Anſprüche und Streitigkeiten, andre Mittel des<lb/>
Kampfes; aber überall hält man ſich mit einer jeden Augen-<lb/>
blick in Flammen zu ſetzenden Feindſeligkeit gleichſam um-<lb/>
faßt, umſpannt, zum Kampfe fertig. Noch immer konnte<lb/>
die Meinung auftauchen, als werde in dieſen Gegenſätzen<lb/>
das ſtädtiſche Prinzip am Ende vielleicht doch noch die<lb/>
Oberhand erlangen, und dem Herrenſtand eben ſo verderb-<lb/>
lich werden wie dieſer dem Kaiſerthum.</p><lb/><p>Bei dieſem Gegeneinanderlaufen aller lebendigen Be-<lb/>ſtrebungen und Kräfte, bei der Entfernung und Macht-<lb/>
loſigkeit des Oberhauptes, und da ſich auch unter den<lb/>
Zuſammengehörenden, Natürlich-verbündeten Entzweiun-<lb/>
gen nicht vermeiden ließen, mußte ein Zuſtand eintreten,<lb/>
deſſen Anblick etwas Chaotiſches hat; es waren die Zei-<lb/>
ten der allgemeinen Fehde. Die Fehde iſt ein Mittelding<lb/>
zwiſchen Duell und Krieg. Jede Beleidigung und Ver-<lb/>
letzung führt nach einigen Formalitäten zu der Erklärung<lb/>
an den Gegner, daß man ſein, ſeiner Helfer und Helfers-<lb/>
helfer Feind ſeyn wolle. Die Reichsgewalten fühlen ſich ſo<lb/>
wenig vermögend dem zu ſteuern, daß ſie nur Beſchränkun-<lb/>
gen feſtzuſetzen ſuchen, und in ihren bedingten Verboten doch<lb/>
zugleich wieder die Erlaubniß ausſprechen. <noteplace="foot"n="1">Z. B. verordnet die Reformation Friedrichs <hirendition="#aq">III</hi> von 1442<lb/>„daß nymand dem andern Schaden tun oder zufuͤgen ſoll, er habe<lb/>
ihn denn zuvor — zu landlaͤufigen Rechten erfordert.“ Es werden nun<lb/>
die Beſtimmungen der goldnen Bulle <hirendition="#aq">de diffidationibus</hi> wiederholt.</note> Das Recht, das<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[68/0086]
Einleitung.
ſtiftete Eidgenoſſenſchaft bereits zu einer feſten Landesver-
faſſung und dem Genuſſe einer beinahe vollſtändigen Un-
abhängigkeit erweitert. Überall finden wir andre Verhält-
niſſe, andre Anſprüche und Streitigkeiten, andre Mittel des
Kampfes; aber überall hält man ſich mit einer jeden Augen-
blick in Flammen zu ſetzenden Feindſeligkeit gleichſam um-
faßt, umſpannt, zum Kampfe fertig. Noch immer konnte
die Meinung auftauchen, als werde in dieſen Gegenſätzen
das ſtädtiſche Prinzip am Ende vielleicht doch noch die
Oberhand erlangen, und dem Herrenſtand eben ſo verderb-
lich werden wie dieſer dem Kaiſerthum.
Bei dieſem Gegeneinanderlaufen aller lebendigen Be-
ſtrebungen und Kräfte, bei der Entfernung und Macht-
loſigkeit des Oberhauptes, und da ſich auch unter den
Zuſammengehörenden, Natürlich-verbündeten Entzweiun-
gen nicht vermeiden ließen, mußte ein Zuſtand eintreten,
deſſen Anblick etwas Chaotiſches hat; es waren die Zei-
ten der allgemeinen Fehde. Die Fehde iſt ein Mittelding
zwiſchen Duell und Krieg. Jede Beleidigung und Ver-
letzung führt nach einigen Formalitäten zu der Erklärung
an den Gegner, daß man ſein, ſeiner Helfer und Helfers-
helfer Feind ſeyn wolle. Die Reichsgewalten fühlen ſich ſo
wenig vermögend dem zu ſteuern, daß ſie nur Beſchränkun-
gen feſtzuſetzen ſuchen, und in ihren bedingten Verboten doch
zugleich wieder die Erlaubniß ausſprechen. 1 Das Recht, das
1 Z. B. verordnet die Reformation Friedrichs III von 1442
„daß nymand dem andern Schaden tun oder zufuͤgen ſoll, er habe
ihn denn zuvor — zu landlaͤufigen Rechten erfordert.“ Es werden nun
die Beſtimmungen der goldnen Bulle de diffidationibus wiederholt.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/86>, abgerufen am 16.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.