noch ich, keine von uns beyden soll diesen gefähr- lichen Schritt wagen. Sie haben mir die Fra- ge auf eine solche Art vorgelegt, daß ich schon überzeugt bin, daß Sie mir nicht rathen kön- nen ihn zu wagen. Sie haben vermuthlich die Absicht gehabt, daß ich einen solchen Schluß aus ihrem Vorschlage machen solte: und ich dancke Jhnen, daß Sie mir Jhren Rath auf eine so gelinde und dennoch überzeugende Wei- se gegeben haben. Es ist mir hiebey einiger Trost, daß mir schon von selbst ein Zweiffel auf- gestiegen ist, ehe ich noch Jhren letzten Brief er- halten habe. Nunmehr bin ich völlig entschlos- sen, meines Vaters Haus nicht zu verlassen: zum wenigsten noch nicht morgen.
Wenn Sie glauben, daß ich die Beantwor- tung der vorgelegten Frage nicht für so wichtig ansehe, als sie doch würcklich ist, und daß ich ei- ne tadelhafte Neigung hege: was würde denn die Welt von mir glauben? Wenn Sie mir sagen, es fiele alle Pünctlichkeit weg, so bald ich den Fuß aus meines Vaters Hause gesetzt haben würde; und ich müßte es Herrn Lovelace an- heim stellen, wenn er mich sicher verlassen kön- ne, und wie lange sein Schutz und Gegenwart nöthig sey; d. i. ich müsse es in sein Belieben stellen, ob er mich verlassen, oder beständig bey mir bleiben wollte: so sind mir dieses unerträg- liche Vorstellungen. Wer kan sich entschliessen, auf so ungeziemende Bedingungen ein Verspre-
chen
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der Clariſſa.
noch ich, keine von uns beyden ſoll dieſen gefaͤhr- lichen Schritt wagen. Sie haben mir die Fra- ge auf eine ſolche Art vorgelegt, daß ich ſchon uͤberzeugt bin, daß Sie mir nicht rathen koͤn- nen ihn zu wagen. Sie haben vermuthlich die Abſicht gehabt, daß ich einen ſolchen Schluß aus ihrem Vorſchlage machen ſolte: und ich dancke Jhnen, daß Sie mir Jhren Rath auf eine ſo gelinde und dennoch uͤberzeugende Wei- ſe gegeben haben. Es iſt mir hiebey einiger Troſt, daß mir ſchon von ſelbſt ein Zweiffel auf- geſtiegen iſt, ehe ich noch Jhren letzten Brief er- halten habe. Nunmehr bin ich voͤllig entſchloſ- ſen, meines Vaters Haus nicht zu verlaſſen: zum wenigſten noch nicht morgen.
Wenn Sie glauben, daß ich die Beantwor- tung der vorgelegten Frage nicht fuͤr ſo wichtig anſehe, als ſie doch wuͤrcklich iſt, und daß ich ei- ne tadelhafte Neigung hege: was wuͤrde denn die Welt von mir glauben? Wenn Sie mir ſagen, es fiele alle Puͤnctlichkeit weg, ſo bald ich den Fuß aus meines Vaters Hauſe geſetzt haben wuͤrde; und ich muͤßte es Herrn Lovelace an- heim ſtellen, wenn er mich ſicher verlaſſen koͤn- ne, und wie lange ſein Schutz und Gegenwart noͤthig ſey; d. i. ich muͤſſe es in ſein Belieben ſtellen, ob er mich verlaſſen, oder beſtaͤndig bey mir bleiben wollte: ſo ſind mir dieſes unertraͤg- liche Vorſtellungen. Wer kan ſich entſchlieſſen, auf ſo ungeziemende Bedingungen ein Verſpre-
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der Clariſſa.
noch ich, keine von uns beyden ſoll dieſen gefaͤhr-
lichen Schritt wagen. Sie haben mir die Fra-
ge auf eine ſolche Art vorgelegt, daß ich ſchon
uͤberzeugt bin, daß Sie mir nicht rathen koͤn-
nen ihn zu wagen. Sie haben vermuthlich die
Abſicht gehabt, daß ich einen ſolchen Schluß
aus ihrem Vorſchlage machen ſolte: und ich
dancke Jhnen, daß Sie mir Jhren Rath auf
eine ſo gelinde und dennoch uͤberzeugende Wei-
ſe gegeben haben. Es iſt mir hiebey einiger
Troſt, daß mir ſchon von ſelbſt ein Zweiffel auf-
geſtiegen iſt, ehe ich noch Jhren letzten Brief er-
halten habe. Nunmehr bin ich voͤllig entſchloſ-
ſen, meines Vaters Haus nicht zu verlaſſen:
zum wenigſten noch nicht morgen.
Wenn Sie glauben, daß ich die Beantwor-
tung der vorgelegten Frage nicht fuͤr ſo wichtig
anſehe, als ſie doch wuͤrcklich iſt, und daß ich ei-
ne tadelhafte Neigung hege: was wuͤrde denn
die Welt von mir glauben? Wenn Sie mir
ſagen, es fiele alle Puͤnctlichkeit weg, ſo bald ich
den Fuß aus meines Vaters Hauſe geſetzt haben
wuͤrde; und ich muͤßte es Herrn Lovelace an-
heim ſtellen, wenn er mich ſicher verlaſſen koͤn-
ne, und wie lange ſein Schutz und Gegenwart
noͤthig ſey; d. i. ich muͤſſe es in ſein Belieben
ſtellen, ob er mich verlaſſen, oder beſtaͤndig bey
mir bleiben wollte: ſo ſind mir dieſes unertraͤg-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 489. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/495>, abgerufen am 18.06.2024.
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