Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



wo ich nicht denke, daß du ihr lieber mit deinen
eignen Händen Gift geben wolltest, als daß sie
wieder genesen, und dich der Ehre berauben soll-
te, ein Wahrsager zu seyn.

Aber nicht mehr von deiner Todesklocke.
Dein Spiel mit dem Tode wird sich umkehren.
Sie wird leben, mich zu begraben: das sehe ich.
Denn, bey meiner Seele, ich kann weder essen,
noch trinken, noch schlafen, noch, welches weit
ärger ist, irgend ein Frauenzimmer in der Welt
lieben, als sie. Jch mag itzo nicht einmal eine
Weibsperson ansehen. Vielmehr kehre ich mei-
nen Kopf von einer jeden weg, die mir begegnet:
ausgenommen, wenn mich von ungefähr ein Au-
ge, eine Miene, ein Zug an einem oder dem an-
dern vorbeystreifenden Gesichte durch eine Aehn-
lichkeit mit ihr rühret. Alsdenn kann ich mich
nicht entbrechen, sie noch einmal anzusehen: ob
ich mich gleich bey dem zweyten Blick wieder be-
sinne. Denn ihr kann niemand in der Welt
ähnlich seyn.

Allein gewiß, Belford, der Teufel steckt in
dieser Fräulein! Je mehr ich an ihren Unsinn
und ihre Hartnäckigkeit gedenke: desto weniger
Gedult habe ich mit ihr. Jst es wohl möglich,
daß sie ihrer Familie, ihren Freunden auf irgend
eine andere Art so viel Gerechtigkeit thun kann,
als wenn sie mich heyrathet? Wüßte sie gewiß,
daß sie nur einen einzigen Tag leben würde: so
sollte sie doch billig als eine Frau sterben. Wo
ihre christliche Rache ihr nicht zulassen will,

es



wo ich nicht denke, daß du ihr lieber mit deinen
eignen Haͤnden Gift geben wollteſt, als daß ſie
wieder geneſen, und dich der Ehre berauben ſoll-
te, ein Wahrſager zu ſeyn.

Aber nicht mehr von deiner Todesklocke.
Dein Spiel mit dem Tode wird ſich umkehren.
Sie wird leben, mich zu begraben: das ſehe ich.
Denn, bey meiner Seele, ich kann weder eſſen,
noch trinken, noch ſchlafen, noch, welches weit
aͤrger iſt, irgend ein Frauenzimmer in der Welt
lieben, als ſie. Jch mag itzo nicht einmal eine
Weibsperſon anſehen. Vielmehr kehre ich mei-
nen Kopf von einer jeden weg, die mir begegnet:
ausgenommen, wenn mich von ungefaͤhr ein Au-
ge, eine Miene, ein Zug an einem oder dem an-
dern vorbeyſtreifenden Geſichte durch eine Aehn-
lichkeit mit ihr ruͤhret. Alsdenn kann ich mich
nicht entbrechen, ſie noch einmal anzuſehen: ob
ich mich gleich bey dem zweyten Blick wieder be-
ſinne. Denn ihr kann niemand in der Welt
aͤhnlich ſeyn.

Allein gewiß, Belford, der Teufel ſteckt in
dieſer Fraͤulein! Je mehr ich an ihren Unſinn
und ihre Hartnaͤckigkeit gedenke: deſto weniger
Gedult habe ich mit ihr. Jſt es wohl moͤglich,
daß ſie ihrer Familie, ihren Freunden auf irgend
eine andere Art ſo viel Gerechtigkeit thun kann,
als wenn ſie mich heyrathet? Wuͤßte ſie gewiß,
daß ſie nur einen einzigen Tag leben wuͤrde: ſo
ſollte ſie doch billig als eine Frau ſterben. Wo
ihre chriſtliche Rache ihr nicht zulaſſen will,

es
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0709" n="703"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
wo ich nicht denke, daß du ihr lieber mit deinen<lb/>
eignen Ha&#x0364;nden Gift geben wollte&#x017F;t, als daß &#x017F;ie<lb/>
wieder gene&#x017F;en, und dich der Ehre berauben &#x017F;oll-<lb/>
te, ein Wahr&#x017F;ager zu &#x017F;eyn.</p><lb/>
          <p>Aber nicht mehr von deiner Todesklocke.<lb/>
Dein Spiel mit dem Tode wird &#x017F;ich umkehren.<lb/>
Sie wird leben, mich zu begraben: das &#x017F;ehe ich.<lb/>
Denn, bey meiner Seele, ich kann weder e&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
noch trinken, noch &#x017F;chlafen, noch, welches weit<lb/>
a&#x0364;rger i&#x017F;t, irgend ein Frauenzimmer in der Welt<lb/>
lieben, als &#x017F;ie. Jch mag itzo nicht einmal eine<lb/>
Weibsper&#x017F;on an&#x017F;ehen. Vielmehr kehre ich mei-<lb/>
nen Kopf von einer jeden weg, die mir begegnet:<lb/>
ausgenommen, wenn mich von ungefa&#x0364;hr ein Au-<lb/>
ge, eine Miene, ein Zug an einem oder dem an-<lb/>
dern vorbey&#x017F;treifenden Ge&#x017F;ichte durch eine Aehn-<lb/>
lichkeit mit ihr ru&#x0364;hret. Alsdenn kann ich mich<lb/>
nicht entbrechen, &#x017F;ie noch einmal anzu&#x017F;ehen: ob<lb/>
ich mich gleich bey dem zweyten Blick wieder be-<lb/>
&#x017F;inne. Denn ihr kann niemand in der Welt<lb/>
a&#x0364;hnlich &#x017F;eyn.</p><lb/>
          <p>Allein gewiß, Belford, der Teufel &#x017F;teckt in<lb/>
die&#x017F;er Fra&#x0364;ulein! Je mehr ich an ihren Un&#x017F;inn<lb/>
und ihre Hartna&#x0364;ckigkeit gedenke: de&#x017F;to weniger<lb/>
Gedult habe ich mit ihr. J&#x017F;t es wohl mo&#x0364;glich,<lb/>
daß &#x017F;ie ihrer Familie, ihren Freunden auf irgend<lb/>
eine <hi rendition="#fr">andere</hi> Art &#x017F;o viel Gerechtigkeit thun kann,<lb/>
als wenn &#x017F;ie mich heyrathet? Wu&#x0364;ßte &#x017F;ie gewiß,<lb/>
daß &#x017F;ie nur einen einzigen Tag leben wu&#x0364;rde: &#x017F;o<lb/>
&#x017F;ollte &#x017F;ie doch billig als eine Frau &#x017F;terben. Wo<lb/>
ihre <hi rendition="#fr">chri&#x017F;tliche Rache</hi> ihr nicht zula&#x017F;&#x017F;en will,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">es</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[703/0709] wo ich nicht denke, daß du ihr lieber mit deinen eignen Haͤnden Gift geben wollteſt, als daß ſie wieder geneſen, und dich der Ehre berauben ſoll- te, ein Wahrſager zu ſeyn. Aber nicht mehr von deiner Todesklocke. Dein Spiel mit dem Tode wird ſich umkehren. Sie wird leben, mich zu begraben: das ſehe ich. Denn, bey meiner Seele, ich kann weder eſſen, noch trinken, noch ſchlafen, noch, welches weit aͤrger iſt, irgend ein Frauenzimmer in der Welt lieben, als ſie. Jch mag itzo nicht einmal eine Weibsperſon anſehen. Vielmehr kehre ich mei- nen Kopf von einer jeden weg, die mir begegnet: ausgenommen, wenn mich von ungefaͤhr ein Au- ge, eine Miene, ein Zug an einem oder dem an- dern vorbeyſtreifenden Geſichte durch eine Aehn- lichkeit mit ihr ruͤhret. Alsdenn kann ich mich nicht entbrechen, ſie noch einmal anzuſehen: ob ich mich gleich bey dem zweyten Blick wieder be- ſinne. Denn ihr kann niemand in der Welt aͤhnlich ſeyn. Allein gewiß, Belford, der Teufel ſteckt in dieſer Fraͤulein! Je mehr ich an ihren Unſinn und ihre Hartnaͤckigkeit gedenke: deſto weniger Gedult habe ich mit ihr. Jſt es wohl moͤglich, daß ſie ihrer Familie, ihren Freunden auf irgend eine andere Art ſo viel Gerechtigkeit thun kann, als wenn ſie mich heyrathet? Wuͤßte ſie gewiß, daß ſie nur einen einzigen Tag leben wuͤrde: ſo ſollte ſie doch billig als eine Frau ſterben. Wo ihre chriſtliche Rache ihr nicht zulaſſen will, es

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/709
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 703. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/709>, abgerufen am 30.04.2024.