außer Stande setzte, mit ihren eignen Schwach- heiten zu streiten.
Jch bitte sie, meine lieben Freunde, fuhr sie fort, trauren sie nicht um eine Person, die um sich selbst nicht trauret, und nicht Ursache hat, zu trau- ren. Freuen sie sich vielmehr mit mir, daß alle meine Beschwerden in der Welt ihrem Ende so nahe sind. Glauben sie mir, meine Herren, daß, wenn ich die Wahl hätte, ich nicht leben möchte; wenn auch der vergnügteste Theil meines Lebens noch einmal wieder durchzugehen wäre: und gleich- wohl sind achtzehn Jahre von demselben, unter neunzehn, sehr vergnügt gewesen. Da man so vieler Versuchung ausgesetzet ist, und bey der Prü- fung so leicht fehlen kann: wer wollte sich denn wohl nicht freuen, daß alle ihre Gefahr vorüber ist! - - Alles, was ich wünschte, war Verzei- hung und Segen von meinen lieben Eltern. So leicht mein Abschied sich anzulassen scheinet: so würde er doch noch leichter gewesen seyn, wenn ich das Vergnügen gehabt hätte. Aber Gott der Allmächtige hat nicht gewollt, daß ich mich auf irgend jemand, als auf ihn, verlassen sollte, Trost zu erlangen.
Sie wiederhohlte hiernächst, auf die ernstlich- ste Weise, ihre Bitte bey ihrem Vetter, daß er nicht ihren Fehler vergrößern möchte, indem er ihren Tod zu rächen suchte: bey mir, daß ich mich bemühen möchte, alle Uneinigkeiten zu ver-
gleichen,
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außer Stande ſetzte, mit ihren eignen Schwach- heiten zu ſtreiten.
Jch bitte ſie, meine lieben Freunde, fuhr ſie fort, trauren ſie nicht um eine Perſon, die um ſich ſelbſt nicht trauret, und nicht Urſache hat, zu trau- ren. Freuen ſie ſich vielmehr mit mir, daß alle meine Beſchwerden in der Welt ihrem Ende ſo nahe ſind. Glauben ſie mir, meine Herren, daß, wenn ich die Wahl haͤtte, ich nicht leben moͤchte; wenn auch der vergnuͤgteſte Theil meines Lebens noch einmal wieder durchzugehen waͤre: und gleich- wohl ſind achtzehn Jahre von demſelben, unter neunzehn, ſehr vergnuͤgt geweſen. Da man ſo vieler Verſuchung ausgeſetzet iſt, und bey der Pruͤ- fung ſo leicht fehlen kann: wer wollte ſich denn wohl nicht freuen, daß alle ihre Gefahr voruͤber iſt! ‒ ‒ Alles, was ich wuͤnſchte, war Verzei- hung und Segen von meinen lieben Eltern. So leicht mein Abſchied ſich anzulaſſen ſcheinet: ſo wuͤrde er doch noch leichter geweſen ſeyn, wenn ich das Vergnuͤgen gehabt haͤtte. Aber Gott der Allmaͤchtige hat nicht gewollt, daß ich mich auf irgend jemand, als auf ihn, verlaſſen ſollte, Troſt zu erlangen.
Sie wiederhohlte hiernaͤchſt, auf die ernſtlich- ſte Weiſe, ihre Bitte bey ihrem Vetter, daß er nicht ihren Fehler vergroͤßern moͤchte, indem er ihren Tod zu raͤchen ſuchte: bey mir, daß ich mich bemuͤhen moͤchte, alle Uneinigkeiten zu ver-
gleichen,
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außer Stande ſetzte, mit ihren eignen Schwach-
heiten zu ſtreiten.
Jch bitte ſie, meine lieben Freunde, fuhr ſie
fort, trauren ſie nicht um eine Perſon, die um ſich
ſelbſt nicht trauret, und nicht Urſache hat, zu trau-
ren. Freuen ſie ſich vielmehr mit mir, daß alle
meine Beſchwerden in der Welt ihrem Ende ſo
nahe ſind. Glauben ſie mir, meine Herren, daß,
wenn ich die Wahl haͤtte, ich nicht leben moͤchte;
wenn auch der vergnuͤgteſte Theil meines Lebens
noch einmal wieder durchzugehen waͤre: und gleich-
wohl ſind achtzehn Jahre von demſelben, unter
neunzehn, ſehr vergnuͤgt geweſen. Da man ſo
vieler Verſuchung ausgeſetzet iſt, und bey der Pruͤ-
fung ſo leicht fehlen kann: wer wollte ſich denn
wohl nicht freuen, daß alle ihre Gefahr voruͤber
iſt! ‒ ‒ Alles, was ich wuͤnſchte, war Verzei-
hung und Segen von meinen lieben Eltern. So
leicht mein Abſchied ſich anzulaſſen ſcheinet: ſo
wuͤrde er doch noch leichter geweſen ſeyn, wenn ich
das Vergnuͤgen gehabt haͤtte. Aber Gott
der Allmaͤchtige hat nicht gewollt,
daß ich mich auf irgend jemand,
als auf ihn, verlaſſen ſollte, Troſt
zu erlangen.
Sie wiederhohlte hiernaͤchſt, auf die ernſtlich-
ſte Weiſe, ihre Bitte bey ihrem Vetter, daß er
nicht ihren Fehler vergroͤßern moͤchte, indem er
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 441. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/447>, abgerufen am 10.11.2024.
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