mit er nichts zu schaffen hätte, und die vorhin nie in ein weibliches Herz gekommen sei.
Jch fragte ihn, was er davon dächte, daß sie von mir zu einer Zeit entflohen wäre, da mich seine rechte Art von Liebe schon halb bezwungen hatte? - - Dann zeigte ich ihm den Brief, welchen sie schrieb, und für mich zurück ließ, gewiß in der Absicht, mir das Herz durch- aus zu brechen, oder mich zu reizen, daß ich mich hängen, ersaufen, oder erschiessen sollte. Nicht zu gedenken der Menge ihrer Erklärun- gen, worin sie seiner Macht trotzete; und al- les, was in ihrem Betragen gegen mich der Liebe ähnlich sähe, der Verfolgung und Ver- werfung ihrer Vewandten zuschriebe; wobei sie mich nur als die letzte Triebfeder betrachtete.
Der Gott der Liebe gab sie also auf. Der Brief, sagte er, verdiente weder Verzei- hung noch Entschuldigung. Er hätte nicht geglaubt, daß er sich eines so offenbaren Re- bellen angenommen. Jm übrigen würde er an den Rechten seiner Herrschaft zum Verräther werden, wenn das, was ich angeführet, wahr wäre, und er doch noch für sie sprechen wollte.
Jch schwur, es sei alles die lautere War- heit. Und diesmal schwur ich die Warheit, welches ich sonst vielleicht nicht allezeit thue.
Was denkest du nun, wird aus der Fräu- lein werden, da der Gott der Liebe sie selbst aufgiebt, und das Gewissen nicht für sie spre- chen kann?
Th. V.
N 5
mit er nichts zu ſchaffen haͤtte, und die vorhin nie in ein weibliches Herz gekommen ſei.
Jch fragte ihn, was er davon daͤchte, daß ſie von mir zu einer Zeit entflohen waͤre, da mich ſeine rechte Art von Liebe ſchon halb bezwungen hatte? ‒ ‒ Dann zeigte ich ihm den Brief, welchen ſie ſchrieb, und fuͤr mich zuruͤck ließ, gewiß in der Abſicht, mir das Herz durch- aus zu brechen, oder mich zu reizen, daß ich mich haͤngen, erſaufen, oder erſchieſſen ſollte. Nicht zu gedenken der Menge ihrer Erklaͤrun- gen, worin ſie ſeiner Macht trotzete; und al- les, was in ihrem Betragen gegen mich der Liebe aͤhnlich ſaͤhe, der Verfolgung und Ver- werfung ihrer Vewandten zuſchriebe; wobei ſie mich nur als die letzte Triebfeder betrachtete.
Der Gott der Liebe gab ſie alſo auf. Der Brief, ſagte er, verdiente weder Verzei- hung noch Entſchuldigung. Er haͤtte nicht geglaubt, daß er ſich eines ſo offenbaren Re- bellen angenommen. Jm uͤbrigen wuͤrde er an den Rechten ſeiner Herrſchaft zum Verraͤther werden, wenn das, was ich angefuͤhret, wahr waͤre, und er doch noch fuͤr ſie ſprechen wollte.
Jch ſchwur, es ſei alles die lautere War- heit. Und diesmal ſchwur ich die Warheit, welches ich ſonſt vielleicht nicht allezeit thue.
Was denkeſt du nun, wird aus der Fraͤu- lein werden, da der Gott der Liebe ſie ſelbſt aufgiebt, und das Gewiſſen nicht fuͤr ſie ſpre- chen kann?
Th. V.
N 5
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0209"n="201"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
mit er nichts zu ſchaffen haͤtte, und die vorhin<lb/>
nie in ein weibliches Herz gekommen ſei.</p><lb/><p>Jch fragte ihn, was er davon daͤchte, daß<lb/>ſie von mir zu einer Zeit entflohen waͤre, da<lb/>
mich ſeine <hirendition="#fr">rechte Art von Liebe</hi>ſchon halb<lb/>
bezwungen hatte? ‒‒ Dann zeigte ich ihm den<lb/>
Brief, welchen ſie ſchrieb, und fuͤr mich zuruͤck<lb/>
ließ, gewiß in der Abſicht, mir das Herz durch-<lb/>
aus zu brechen, oder mich zu reizen, daß ich<lb/>
mich haͤngen, erſaufen, oder erſchieſſen ſollte.<lb/>
Nicht zu gedenken der Menge ihrer Erklaͤrun-<lb/>
gen, worin ſie ſeiner Macht trotzete; und al-<lb/>
les, was in ihrem Betragen gegen mich der<lb/>
Liebe aͤhnlich ſaͤhe, der Verfolgung und Ver-<lb/>
werfung ihrer Vewandten zuſchriebe; wobei<lb/>ſie mich nur als die letzte Triebfeder betrachtete.</p><lb/><p>Der <hirendition="#fr">Gott der Liebe</hi> gab ſie alſo auf.<lb/>
Der Brief, ſagte er, verdiente weder Verzei-<lb/>
hung noch Entſchuldigung. Er haͤtte nicht<lb/>
geglaubt, daß er ſich eines ſo offenbaren Re-<lb/>
bellen angenommen. Jm uͤbrigen wuͤrde er an<lb/>
den Rechten ſeiner Herrſchaft zum Verraͤther<lb/>
werden, wenn das, was ich angefuͤhret, wahr<lb/>
waͤre, und er doch noch fuͤr ſie ſprechen wollte.</p><lb/><p>Jch ſchwur, es ſei alles die lautere War-<lb/>
heit. Und diesmal ſchwur ich die Warheit,<lb/>
welches ich ſonſt vielleicht nicht allezeit thue.</p><lb/><p>Was denkeſt du nun, wird aus der Fraͤu-<lb/>
lein werden, da der <hirendition="#fr">Gott der Liebe</hi>ſie ſelbſt<lb/>
aufgiebt, und das Gewiſſen nicht fuͤr ſie ſpre-<lb/>
chen kann?</p></div><lb/><fwplace="bottom"type="sig">N 5</fw><fwplace="bottom"type="catch">Th. <hirendition="#aq">V.</hi></fw><lb/></div></body></text></TEI>
[201/0209]
mit er nichts zu ſchaffen haͤtte, und die vorhin
nie in ein weibliches Herz gekommen ſei.
Jch fragte ihn, was er davon daͤchte, daß
ſie von mir zu einer Zeit entflohen waͤre, da
mich ſeine rechte Art von Liebe ſchon halb
bezwungen hatte? ‒ ‒ Dann zeigte ich ihm den
Brief, welchen ſie ſchrieb, und fuͤr mich zuruͤck
ließ, gewiß in der Abſicht, mir das Herz durch-
aus zu brechen, oder mich zu reizen, daß ich
mich haͤngen, erſaufen, oder erſchieſſen ſollte.
Nicht zu gedenken der Menge ihrer Erklaͤrun-
gen, worin ſie ſeiner Macht trotzete; und al-
les, was in ihrem Betragen gegen mich der
Liebe aͤhnlich ſaͤhe, der Verfolgung und Ver-
werfung ihrer Vewandten zuſchriebe; wobei
ſie mich nur als die letzte Triebfeder betrachtete.
Der Gott der Liebe gab ſie alſo auf.
Der Brief, ſagte er, verdiente weder Verzei-
hung noch Entſchuldigung. Er haͤtte nicht
geglaubt, daß er ſich eines ſo offenbaren Re-
bellen angenommen. Jm uͤbrigen wuͤrde er an
den Rechten ſeiner Herrſchaft zum Verraͤther
werden, wenn das, was ich angefuͤhret, wahr
waͤre, und er doch noch fuͤr ſie ſprechen wollte.
Jch ſchwur, es ſei alles die lautere War-
heit. Und diesmal ſchwur ich die Warheit,
welches ich ſonſt vielleicht nicht allezeit thue.
Was denkeſt du nun, wird aus der Fraͤu-
lein werden, da der Gott der Liebe ſie ſelbſt
aufgiebt, und das Gewiſſen nicht fuͤr ſie ſpre-
chen kann?
Th. V.
N 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753/209>, abgerufen am 29.04.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.