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Riehl, Wilhelm Heinrich: Jörg Muckenbuber. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 67–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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mit dem freundnachbarlichen Ersuchen um genaue Forschung nach dem angeblich zwischen beiden Städten an einem wälschen Juden verübten Mord. Allein auch hier hatte man weder von einem wälschen Juden noch von einem Morde das Mindeste aufgespürt.

Weil nun aber im peinlichen Verfahren des sechzehnten Jahrhunderts das eigene Geständniß hoch über jedem anderen Beweise stand, so konnten sich die Richter nicht beruhigen, zumal der Bursche mit immer neuen Gründen den Mangel aller äußeren Anzeichen zu erklären wußte.

Man schritt also zum schärfsten Prüfstein der Wahrheit, zur Folter. Hatte man schon so oft bei Leuten, die keine Verbrecher sein wollten, das Geständniß der Schuld herausgefoltert, warum sollte man nicht auch einmal umgekehrt bei einem Manne, der schlechterdings ein Verbrecher sein wollte, das Geständniß der Unschuld herausfoltern können?

In der Folterkammer aber kam der Nördlinger Rath erst recht vom Regen in die Traufe. Denn bei den Daumschrauben blieb Jörg Muckenhuber bei seinem alten Lied, und als man ihm zur Steigerung weiter die spanischen Stiefel anlegte, begann er sogar noch eine Liste von Räubereien dazu zu bekennen, von denen jede einzelne für sich schon den Galgen verdient hätte. Der Untersuchungsrichter hatte zwar auch noch einen Ritt auf dem scharfkantigen Esel für den Inquisiten in Aussicht genommen, allein aus Furcht, der unbeug-

mit dem freundnachbarlichen Ersuchen um genaue Forschung nach dem angeblich zwischen beiden Städten an einem wälschen Juden verübten Mord. Allein auch hier hatte man weder von einem wälschen Juden noch von einem Morde das Mindeste aufgespürt.

Weil nun aber im peinlichen Verfahren des sechzehnten Jahrhunderts das eigene Geständniß hoch über jedem anderen Beweise stand, so konnten sich die Richter nicht beruhigen, zumal der Bursche mit immer neuen Gründen den Mangel aller äußeren Anzeichen zu erklären wußte.

Man schritt also zum schärfsten Prüfstein der Wahrheit, zur Folter. Hatte man schon so oft bei Leuten, die keine Verbrecher sein wollten, das Geständniß der Schuld herausgefoltert, warum sollte man nicht auch einmal umgekehrt bei einem Manne, der schlechterdings ein Verbrecher sein wollte, das Geständniß der Unschuld herausfoltern können?

In der Folterkammer aber kam der Nördlinger Rath erst recht vom Regen in die Traufe. Denn bei den Daumschrauben blieb Jörg Muckenhuber bei seinem alten Lied, und als man ihm zur Steigerung weiter die spanischen Stiefel anlegte, begann er sogar noch eine Liste von Räubereien dazu zu bekennen, von denen jede einzelne für sich schon den Galgen verdient hätte. Der Untersuchungsrichter hatte zwar auch noch einen Ritt auf dem scharfkantigen Esel für den Inquisiten in Aussicht genommen, allein aus Furcht, der unbeug-

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[0010] mit dem freundnachbarlichen Ersuchen um genaue Forschung nach dem angeblich zwischen beiden Städten an einem wälschen Juden verübten Mord. Allein auch hier hatte man weder von einem wälschen Juden noch von einem Morde das Mindeste aufgespürt. Weil nun aber im peinlichen Verfahren des sechzehnten Jahrhunderts das eigene Geständniß hoch über jedem anderen Beweise stand, so konnten sich die Richter nicht beruhigen, zumal der Bursche mit immer neuen Gründen den Mangel aller äußeren Anzeichen zu erklären wußte. Man schritt also zum schärfsten Prüfstein der Wahrheit, zur Folter. Hatte man schon so oft bei Leuten, die keine Verbrecher sein wollten, das Geständniß der Schuld herausgefoltert, warum sollte man nicht auch einmal umgekehrt bei einem Manne, der schlechterdings ein Verbrecher sein wollte, das Geständniß der Unschuld herausfoltern können? In der Folterkammer aber kam der Nördlinger Rath erst recht vom Regen in die Traufe. Denn bei den Daumschrauben blieb Jörg Muckenhuber bei seinem alten Lied, und als man ihm zur Steigerung weiter die spanischen Stiefel anlegte, begann er sogar noch eine Liste von Räubereien dazu zu bekennen, von denen jede einzelne für sich schon den Galgen verdient hätte. Der Untersuchungsrichter hatte zwar auch noch einen Ritt auf dem scharfkantigen Esel für den Inquisiten in Aussicht genommen, allein aus Furcht, der unbeug-

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Zitationshilfe: Riehl, Wilhelm Heinrich: Jörg Muckenbuber. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 67–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riehl_muckenhuber_1910/10>, abgerufen am 26.04.2024.