lang annehmen, stehen sich ebenfalls gar schlecht vor, und gewinnen darbey sehr wenig. Sind den andern, die sie auf die Art beehrt, ihre wahren Um- stände recht bekandt, so spotten sie ihnen in ihren Hertzen, daß sie so thöricht sind, und dasjenige, was ihnen nicht zukommt, annehmen. Es dencket mancher von solchen losen Vögeln, der einen an- dern auf eine ungewöhnliche Weise titulirt, wie jener Mahler zu Torgau: Dieser war lange in Jtalien gewesen, wo man mit Illustrissime und Jhro Gnaden auch gegen gemeine Leute gar freygebig ist; Er nennte jedermann Jhro Gnaden, wer zu Leipzig in Rothhaupts-Hofe in sein Gewölbe kam. Als ihm nun deswegen Erinnerung geschehen, so sagte er, ich will den wohl Jhro Durchlauchtigkeit nen- nen, der es verantworten will. Die grossen Titu- laturen müssen bißweilen gar theuer bezahlt wer- den, und wenn entweder derjenige, der einen vorhe- ro so beehret, nach eingezogner gewissern Nach- richt, den grossen Titul mit einem kleinern wieder verwechselt, oder ein andrer Bekandte dazu kommt, so lieget denn die eingebildete Ehre wieder in dem Brunnen.
§. 22. Ob nun wohl die Regel in Richtigkeit bleibt, daß man sich, wie mit seinem Glück, als auch mit seinem Stande, mit seinem Titul und mit allen seinen Umständen begnügen soll, so ereignen sich doch bißweilen in der That einige Fälle, da ein ver- nünfftiger Mensch eine Zeitlang von einigen Leuten mit gutem Grunde die Benennung eines gewissen
Gradus
Von dem Titul-Weſen und Prædicaten.
lang annehmen, ſtehen ſich ebenfalls gar ſchlecht vor, und gewinnen darbey ſehr wenig. Sind den andern, die ſie auf die Art beehrt, ihre wahren Um- ſtaͤnde recht bekandt, ſo ſpotten ſie ihnen in ihren Hertzen, daß ſie ſo thoͤricht ſind, und dasjenige, was ihnen nicht zukommt, annehmen. Es dencket mancher von ſolchen loſen Voͤgeln, der einen an- dern auf eine ungewoͤhnliche Weiſe titulirt, wie jener Mahler zu Torgau: Dieſer war lange in Jtalien geweſen, wo man mit Illuſtriſſime und Jhro Gnaden auch gegen gemeine Leute gar freygebig iſt; Er nennte jedermann Jhro Gnaden, wer zu Leipzig in Rothhaupts-Hofe in ſein Gewoͤlbe kam. Als ihm nun deswegen Erinnerung geſchehen, ſo ſagte er, ich will den wohl Jhro Durchlauchtigkeit nen- nen, der es verantworten will. Die groſſen Titu- laturen muͤſſen bißweilen gar theuer bezahlt wer- den, und wenn entweder derjenige, der einen vorhe- ro ſo beehret, nach eingezogner gewiſſern Nach- richt, den groſſen Titul mit einem kleinern wieder verwechſelt, oder ein andrer Bekandte dazu kommt, ſo lieget denn die eingebildete Ehre wieder in dem Brunnen.
§. 22. Ob nun wohl die Regel in Richtigkeit bleibt, daß man ſich, wie mit ſeinem Gluͤck, als auch mit ſeinem Stande, mit ſeinem Titul und mit allen ſeinen Umſtaͤnden begnuͤgen ſoll, ſo ereignen ſich doch bißweilen in der That einige Faͤlle, da ein ver- nuͤnfftiger Menſch eine Zeitlang von einigen Leuten mit gutem Grunde die Benennung eines gewiſſen
Gradus
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[75/0095]
Von dem Titul-Weſen und Prædicaten.
lang annehmen, ſtehen ſich ebenfalls gar ſchlecht
vor, und gewinnen darbey ſehr wenig. Sind den
andern, die ſie auf die Art beehrt, ihre wahren Um-
ſtaͤnde recht bekandt, ſo ſpotten ſie ihnen in ihren
Hertzen, daß ſie ſo thoͤricht ſind, und dasjenige, was
ihnen nicht zukommt, annehmen. Es dencket
mancher von ſolchen loſen Voͤgeln, der einen an-
dern auf eine ungewoͤhnliche Weiſe titulirt, wie
jener Mahler zu Torgau: Dieſer war lange in
Jtalien geweſen, wo man mit Illuſtriſſime und Jhro
Gnaden auch gegen gemeine Leute gar freygebig iſt;
Er nennte jedermann Jhro Gnaden, wer zu Leipzig
in Rothhaupts-Hofe in ſein Gewoͤlbe kam. Als
ihm nun deswegen Erinnerung geſchehen, ſo ſagte
er, ich will den wohl Jhro Durchlauchtigkeit nen-
nen, der es verantworten will. Die groſſen Titu-
laturen muͤſſen bißweilen gar theuer bezahlt wer-
den, und wenn entweder derjenige, der einen vorhe-
ro ſo beehret, nach eingezogner gewiſſern Nach-
richt, den groſſen Titul mit einem kleinern wieder
verwechſelt, oder ein andrer Bekandte dazu kommt,
ſo lieget denn die eingebildete Ehre wieder in dem
Brunnen.
§. 22. Ob nun wohl die Regel in Richtigkeit
bleibt, daß man ſich, wie mit ſeinem Gluͤck, als auch
mit ſeinem Stande, mit ſeinem Titul und mit allen
ſeinen Umſtaͤnden begnuͤgen ſoll, ſo ereignen ſich
doch bißweilen in der That einige Faͤlle, da ein ver-
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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/95>, abgerufen am 17.06.2024.
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