Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.
unter verschiedenen, ja entgegengesetzten, Grundsätzen stehen, wird nirgend gemacht, vielmehr wird der Grundsatz der Nichtrückwirkung als der für alle Gesetze gemeinsam gültige angesehen. Man möchte also erwarten, daß die Schrift- steller den Gesetzen, von denen wir hier reden, in der That den eben dargestellten völlig unpraktischen Sinn beilegen, also die Aufhebung der Leibeigenschaft als ein Verbot künftiger Errichtung der Leibeigenschaft behandeln würden. Davon sind sie jedoch weit entfernt. Sie rechnen vielmehr solche Gesetze unter die, schon im Römischen Recht vorbe- haltenen, Ausnahmen der Nichtrückwirkung (§ 397), und lassen von diesem Standpunkt aus eine Anwendung der- selben auf erworbene Rechte zu (a).
Obgleich nun durch diese Auffassung dem unmittelbaren Bedürfniß abgeholfen wird, ist dennoch eine solche Auskunft völlig zu verwerfen. Ausnahmen von dem Grundsatz der Nichtrückwirkung haben eine zufällige Natur, sind an sich entbehrlich, und würden besser gar nicht vorhanden seyn. Dieses Alles paßt auf die hier in Frage stehenden Gesetze nicht. Wenn wir diese unbefangen betrachten, so müssen wir uns sogleich überzeugen, daß in Beziehung auf sie jene Auskunft durchaus gezwungen ist, und den Gesetzen einen Sinn aufdrängt, der ihnen völlig fremd ist. Das Gesetz, welches die Leibeigenschaft aufhebt, würde dadurch auf gleiche Linie gestellt etwa mit Justinian's Gesetz über die
(a)Weber S. 51--52. 188--189. Bergmann S. 156. 177. 257.
Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.
unter verſchiedenen, ja entgegengeſetzten, Grundſätzen ſtehen, wird nirgend gemacht, vielmehr wird der Grundſatz der Nichtrückwirkung als der für alle Geſetze gemeinſam gültige angeſehen. Man möchte alſo erwarten, daß die Schrift- ſteller den Geſetzen, von denen wir hier reden, in der That den eben dargeſtellten völlig unpraktiſchen Sinn beilegen, alſo die Aufhebung der Leibeigenſchaft als ein Verbot künftiger Errichtung der Leibeigenſchaft behandeln würden. Davon ſind ſie jedoch weit entfernt. Sie rechnen vielmehr ſolche Geſetze unter die, ſchon im Römiſchen Recht vorbe- haltenen, Ausnahmen der Nichtrückwirkung (§ 397), und laſſen von dieſem Standpunkt aus eine Anwendung der- ſelben auf erworbene Rechte zu (a).
Obgleich nun durch dieſe Auffaſſung dem unmittelbaren Bedürfniß abgeholfen wird, iſt dennoch eine ſolche Auskunft völlig zu verwerfen. Ausnahmen von dem Grundſatz der Nichtrückwirkung haben eine zufällige Natur, ſind an ſich entbehrlich, und würden beſſer gar nicht vorhanden ſeyn. Dieſes Alles paßt auf die hier in Frage ſtehenden Geſetze nicht. Wenn wir dieſe unbefangen betrachten, ſo müſſen wir uns ſogleich überzeugen, daß in Beziehung auf ſie jene Auskunft durchaus gezwungen iſt, und den Geſetzen einen Sinn aufdrängt, der ihnen völlig fremd iſt. Das Geſetz, welches die Leibeigenſchaft aufhebt, würde dadurch auf gleiche Linie geſtellt etwa mit Juſtinian’s Geſetz über die
(a)Weber S. 51—52. 188—189. Bergmann S. 156. 177. 257.
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Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.
unter verſchiedenen, ja entgegengeſetzten, Grundſätzen ſtehen,
wird nirgend gemacht, vielmehr wird der Grundſatz der
Nichtrückwirkung als der für alle Geſetze gemeinſam gültige
angeſehen. Man möchte alſo erwarten, daß die Schrift-
ſteller den Geſetzen, von denen wir hier reden, in der That
den eben dargeſtellten völlig unpraktiſchen Sinn beilegen,
alſo die Aufhebung der Leibeigenſchaft als ein Verbot
künftiger Errichtung der Leibeigenſchaft behandeln würden.
Davon ſind ſie jedoch weit entfernt. Sie rechnen vielmehr
ſolche Geſetze unter die, ſchon im Römiſchen Recht vorbe-
haltenen, Ausnahmen der Nichtrückwirkung (§ 397), und
laſſen von dieſem Standpunkt aus eine Anwendung der-
ſelben auf erworbene Rechte zu (a).
Obgleich nun durch dieſe Auffaſſung dem unmittelbaren
Bedürfniß abgeholfen wird, iſt dennoch eine ſolche Auskunft
völlig zu verwerfen. Ausnahmen von dem Grundſatz der
Nichtrückwirkung haben eine zufällige Natur, ſind an ſich
entbehrlich, und würden beſſer gar nicht vorhanden ſeyn.
Dieſes Alles paßt auf die hier in Frage ſtehenden Geſetze
nicht. Wenn wir dieſe unbefangen betrachten, ſo müſſen
wir uns ſogleich überzeugen, daß in Beziehung auf ſie jene
Auskunft durchaus gezwungen iſt, und den Geſetzen einen
Sinn aufdrängt, der ihnen völlig fremd iſt. Das Geſetz,
welches die Leibeigenſchaft aufhebt, würde dadurch auf
gleiche Linie geſtellt etwa mit Juſtinian’s Geſetz über die
(a) Weber S. 51—52. 188—189. Bergmann S. 156. 177. 257.
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849, S. 518. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system08_1849/540>, abgerufen am 14.06.2024.
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