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Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.

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Alles. Da ist in jedem Augenblicke von neuem die Frage von Seyn oder Nichtseyn. Ein Blitz der Willkühr kann hier für die Ewigkeit entscheiden und wie es kommt, ganze Massen unsers Lebens vernichten, als ob sie nie gewesen wären und nie wiederkehren sollten, oder eine neue Welt ans Licht rufen. Wie die Liebe entspringt die Tugend nur durch eine Schöpfung aus Nichts. Aber eben darum muß man auch den Augenblick ergreifen; was er giebt, für die Ewigkeit bilden, und Tugend und Liebe, wo sie erscheinen, in Kunst und Wissenschaft verwandeln. Das kann nicht geschehen, ohne das Leben mit der Poesie und der Philosophie in Verbindung zu setzen. Nur dadurch ist es möglich, dem Einzigen, was Werth hat, Sicherheit und Dauer zu geben, so weit es in unsrer Macht ist. Nur dadurch kann auch die Bildung der Poesie und Philosophie auf einem vollkommen festen Grunde ruhen und die verschiedenen Vorzüge beyder vermählen.

Wo keine unerschütterliche Selbstständigkeit ist, da kann das Streben nach beständigem Fortschreiten den Geist leicht in die Welt zerstreuen, und das Gemüth verwirren, und nur gränzenlose Liebe im Mittelpunkte der Kraft wird die Kreise der menschlichen Thätigkeit bey jedem neuen Ausfluge weiter und mächtiger dehnen. Wo es an Tugend und an Liebe gebricht, da weiß der Hang zur Verbesserung von keiner Rückkehr in sich selbst und in die Vergangenheit, und entartet in wilde Zerstörungssucht; oder der bildende Trieb zieht sich, wenn er ein äußerstes erreicht hat, in die

Alles. Da ist in jedem Augenblicke von neuem die Frage von Seyn oder Nichtseyn. Ein Blitz der Willkuͤhr kann hier fuͤr die Ewigkeit entscheiden und wie es kommt, ganze Massen unsers Lebens vernichten, als ob sie nie gewesen waͤren und nie wiederkehren sollten, oder eine neue Welt ans Licht rufen. Wie die Liebe entspringt die Tugend nur durch eine Schoͤpfung aus Nichts. Aber eben darum muß man auch den Augenblick ergreifen; was er giebt, fuͤr die Ewigkeit bilden, und Tugend und Liebe, wo sie erscheinen, in Kunst und Wissenschaft verwandeln. Das kann nicht geschehen, ohne das Leben mit der Poesie und der Philosophie in Verbindung zu setzen. Nur dadurch ist es moͤglich, dem Einzigen, was Werth hat, Sicherheit und Dauer zu geben, so weit es in unsrer Macht ist. Nur dadurch kann auch die Bildung der Poesie und Philosophie auf einem vollkommen festen Grunde ruhen und die verschiedenen Vorzuͤge beyder vermaͤhlen.

Wo keine unerschuͤtterliche Selbststaͤndigkeit ist, da kann das Streben nach bestaͤndigem Fortschreiten den Geist leicht in die Welt zerstreuen, und das Gemuͤth verwirren, und nur graͤnzenlose Liebe im Mittelpunkte der Kraft wird die Kreise der menschlichen Thaͤtigkeit bey jedem neuen Ausfluge weiter und maͤchtiger dehnen. Wo es an Tugend und an Liebe gebricht, da weiß der Hang zur Verbesserung von keiner Ruͤckkehr in sich selbst und in die Vergangenheit, und entartet in wilde Zerstoͤrungssucht; oder der bildende Trieb zieht sich, wenn er ein aͤußerstes erreicht hat, in die

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[28/0036] Alles. Da ist in jedem Augenblicke von neuem die Frage von Seyn oder Nichtseyn. Ein Blitz der Willkuͤhr kann hier fuͤr die Ewigkeit entscheiden und wie es kommt, ganze Massen unsers Lebens vernichten, als ob sie nie gewesen waͤren und nie wiederkehren sollten, oder eine neue Welt ans Licht rufen. Wie die Liebe entspringt die Tugend nur durch eine Schoͤpfung aus Nichts. Aber eben darum muß man auch den Augenblick ergreifen; was er giebt, fuͤr die Ewigkeit bilden, und Tugend und Liebe, wo sie erscheinen, in Kunst und Wissenschaft verwandeln. Das kann nicht geschehen, ohne das Leben mit der Poesie und der Philosophie in Verbindung zu setzen. Nur dadurch ist es moͤglich, dem Einzigen, was Werth hat, Sicherheit und Dauer zu geben, so weit es in unsrer Macht ist. Nur dadurch kann auch die Bildung der Poesie und Philosophie auf einem vollkommen festen Grunde ruhen und die verschiedenen Vorzuͤge beyder vermaͤhlen. Wo keine unerschuͤtterliche Selbststaͤndigkeit ist, da kann das Streben nach bestaͤndigem Fortschreiten den Geist leicht in die Welt zerstreuen, und das Gemuͤth verwirren, und nur graͤnzenlose Liebe im Mittelpunkte der Kraft wird die Kreise der menschlichen Thaͤtigkeit bey jedem neuen Ausfluge weiter und maͤchtiger dehnen. Wo es an Tugend und an Liebe gebricht, da weiß der Hang zur Verbesserung von keiner Ruͤckkehr in sich selbst und in die Vergangenheit, und entartet in wilde Zerstoͤrungssucht; oder der bildende Trieb zieht sich, wenn er ein aͤußerstes erreicht hat, in die

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Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/36>, abgerufen am 30.04.2024.