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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Erstes Buch. Land, Leute und Technik.
Fläche verwendet, wie die einfache Dreifelderwirtschaft. Die künstliche Düngung, die
Bodenmeliorationen aller Art, die Verbesserung der Ackerwerkzeuge, die Einführung von
landwirtschaftlichen Maschinen, die große Verbesserung der Viehzucht durch rationelle
Züchtung haben die Produktionskosten an vielen Punkten vermindert, die Ernten ver-
doppelt, teilweise vervierfacht. Die Zusammenlegung der Grundstücke und der Wegebau
haben in gleicher Richtung gewirkt. Der Pflug ist so verbessert, daß er bei halber
Zugkraft mehr leistet als früher. An einzelnen Stellen hat man den Dampfpflug,
neuestens gar elektrische Kraft angewendet. Die überall möglichen Verbesserungen haben
bei der zähen konservativen Art des Landmannes noch lange nicht überall Eingang und
volle Wirkung erreicht, viele andere sind nicht allerwärts anwendbar. Fast überall aber
ist der Betrieb mehr oder weniger rationalisiert und verbessert worden. Daß er aber
fast nirgends gänzlich geändert wurde, daß die Fortschritte hier nicht wie im Verkehr
und so vielen Gewerben eine Revolution bedeuteten, darauf kommen wir gleich.

85. Würdigung des Maschinenzeitalters. Wenn wir die neuere west-
europäische Volkswirtschaft nach ihrer technischen Seite als Maschinenzeitalter bezeichnen,
so ist das ein Name, der von der wichtigsten, sichtbarsten Erscheinung genommen ist,
das Wesen der Sache aber nicht erschöpft. Dasselbe liegt in der auf Naturerkenntnis
gestützten Rationalisierung aller Wirtschaftsprozesse, in der Anwendung immer vollendeterer,
komplizierterer und doch in ihrem Erfolg billigerer Methoden und Arbeitsprozesse über-
haupt, welche bei gleicher oder geringerer Kraftaufwendung doch Größeres und Besseres
leisten. Die Physiologie hat in die Rassenverbesserung, die Chemie da und dort ebenso
intensiv eingegriffen, wie die Mechanik mit ihren verbesserten Werkzeugen und den
Maschinen Zeit und Kraft erspart, bisher nicht ausführbare Leistungen ermöglicht hat.

Aber daß man möglichst überall menschliche Arbeit zu sparen, sie durch mechanische
Kraft und die Kraftmaschine zu ersetzen, daß man an Stelle des Werkzeugs die Arbeits-
maschine zu setzen suchte, das bildet allerdings den springenden Punkt der Entwickelung,
die wichtigste Neuerung. Der Sprachgenius hat mit Recht Werkzeug und Maschinen in
Gegensatz gestellt. Wir verstehen unter ersterem ein technisches Arbeitsmittel, das den
Arbeitsprozeß fördert und erleichtert, aber der Hand und dem Kopf des Arbeitenden
doch Sekunde für Sekunde die Ausführung überläßt, unter der Maschine ein technisches
Arbeitsmittel, das Naturkräfte und ein System zusammengesetzter fester Körper, kombi-
nierter Werkzeuge nötigt, in mechanischer Abfolge Bewegungen auszuführen, so daß dem
Menschen nur die Überwachung und allgemeine Leitung des Arbeitsprozesses, eine Summe
kleiner, mechanischer Handgriffe bleibt. Die Kraftmaschine erzeugt und reguliert die
mechanische Kraft, die Arbeitsmaschine läßt die ihr mitgeteilte Kraft auf den wirtschaft-
lichen Arbeitsprozeß wirken; beide gehören zusammen. Einzelne Maschinen, wie der
Dampfhammer, sind Kraft- und Arbeitsmaschine zugleich. Einfachere Maschinen gab es
seit Jahrtausenden, wie das Schöpf- und Wasserrad; auch den Wagen, die Töpferscheibe,
den Pflug, die Kriegsmaschinen der Alten, das Spinnrad hat man als Maschinen
bezeichnet. Heute gehören die Nähmaschine und viele andere hauswirtschaftliche Maschinen
in das Gebiet. Werkzeug und Maschinen gehen da ineinander über, wo die Arbeit aus
einer direkt die Stoffe formenden eine mehr bloß leitende wird. Das Maschinenzeitalter
besteht darin, daß die Kraft- und Arbeitsmaschinen eine früher nie gekannte Verbreitung
gefunden und einem steigenden Teil der Arbeitsprozesse ihren Stempel aufgedrückt haben.

Wir sahen, wie zur Menschenkraft zuerst die lenkbare Tierkraft hinzukam, wie
dann später Wind und Wasser als leicht faßbare mechanische Kräfte roh ausgenützt
wurden. Erst seit hundert Jahren wurden sie recht bemeistert und die schwer faßbaren
und lenkbaren, aber viel wirksameren mechanischen Kräfte Dampf und Elektricität hinzu-
gefügt. Wir können uns durch ihre Summierung in der Einheit von Pferde- oder
Menschenkräften eine rohe Vorstellung davon machen, wie sie das wirtschaftliche Leben
gefördert haben. Wir benützen als Beispiel das heutige Deutschland. Seinen 26 Mill.
arbeitskräftiger Menschen wird eine Pferde- und Rindviehkraft von etwa gleicher
mechanischer Leistungsfähigkeit zur Seite stehen; seine Dampfkräfte werden (nach den
mittleren Reduktionszahlen Fairbairns eine Pferdekraft = 15 Menschen) 114 Mill.

Erſtes Buch. Land, Leute und Technik.
Fläche verwendet, wie die einfache Dreifelderwirtſchaft. Die künſtliche Düngung, die
Bodenmeliorationen aller Art, die Verbeſſerung der Ackerwerkzeuge, die Einführung von
landwirtſchaftlichen Maſchinen, die große Verbeſſerung der Viehzucht durch rationelle
Züchtung haben die Produktionskoſten an vielen Punkten vermindert, die Ernten ver-
doppelt, teilweiſe vervierfacht. Die Zuſammenlegung der Grundſtücke und der Wegebau
haben in gleicher Richtung gewirkt. Der Pflug iſt ſo verbeſſert, daß er bei halber
Zugkraft mehr leiſtet als früher. An einzelnen Stellen hat man den Dampfpflug,
neueſtens gar elektriſche Kraft angewendet. Die überall möglichen Verbeſſerungen haben
bei der zähen konſervativen Art des Landmannes noch lange nicht überall Eingang und
volle Wirkung erreicht, viele andere ſind nicht allerwärts anwendbar. Faſt überall aber
iſt der Betrieb mehr oder weniger rationaliſiert und verbeſſert worden. Daß er aber
faſt nirgends gänzlich geändert wurde, daß die Fortſchritte hier nicht wie im Verkehr
und ſo vielen Gewerben eine Revolution bedeuteten, darauf kommen wir gleich.

85. Würdigung des Maſchinenzeitalters. Wenn wir die neuere weſt-
europäiſche Volkswirtſchaft nach ihrer techniſchen Seite als Maſchinenzeitalter bezeichnen,
ſo iſt das ein Name, der von der wichtigſten, ſichtbarſten Erſcheinung genommen iſt,
das Weſen der Sache aber nicht erſchöpft. Dasſelbe liegt in der auf Naturerkenntnis
geſtützten Rationaliſierung aller Wirtſchaftsprozeſſe, in der Anwendung immer vollendeterer,
komplizierterer und doch in ihrem Erfolg billigerer Methoden und Arbeitsprozeſſe über-
haupt, welche bei gleicher oder geringerer Kraftaufwendung doch Größeres und Beſſeres
leiſten. Die Phyſiologie hat in die Raſſenverbeſſerung, die Chemie da und dort ebenſo
intenſiv eingegriffen, wie die Mechanik mit ihren verbeſſerten Werkzeugen und den
Maſchinen Zeit und Kraft erſpart, bisher nicht ausführbare Leiſtungen ermöglicht hat.

Aber daß man möglichſt überall menſchliche Arbeit zu ſparen, ſie durch mechaniſche
Kraft und die Kraftmaſchine zu erſetzen, daß man an Stelle des Werkzeugs die Arbeits-
maſchine zu ſetzen ſuchte, das bildet allerdings den ſpringenden Punkt der Entwickelung,
die wichtigſte Neuerung. Der Sprachgenius hat mit Recht Werkzeug und Maſchinen in
Gegenſatz geſtellt. Wir verſtehen unter erſterem ein techniſches Arbeitsmittel, das den
Arbeitsprozeß fördert und erleichtert, aber der Hand und dem Kopf des Arbeitenden
doch Sekunde für Sekunde die Ausführung überläßt, unter der Maſchine ein techniſches
Arbeitsmittel, das Naturkräfte und ein Syſtem zuſammengeſetzter feſter Körper, kombi-
nierter Werkzeuge nötigt, in mechaniſcher Abfolge Bewegungen auszuführen, ſo daß dem
Menſchen nur die Überwachung und allgemeine Leitung des Arbeitsprozeſſes, eine Summe
kleiner, mechaniſcher Handgriffe bleibt. Die Kraftmaſchine erzeugt und reguliert die
mechaniſche Kraft, die Arbeitsmaſchine läßt die ihr mitgeteilte Kraft auf den wirtſchaft-
lichen Arbeitsprozeß wirken; beide gehören zuſammen. Einzelne Maſchinen, wie der
Dampfhammer, ſind Kraft- und Arbeitsmaſchine zugleich. Einfachere Maſchinen gab es
ſeit Jahrtauſenden, wie das Schöpf- und Waſſerrad; auch den Wagen, die Töpferſcheibe,
den Pflug, die Kriegsmaſchinen der Alten, das Spinnrad hat man als Maſchinen
bezeichnet. Heute gehören die Nähmaſchine und viele andere hauswirtſchaftliche Maſchinen
in das Gebiet. Werkzeug und Maſchinen gehen da ineinander über, wo die Arbeit aus
einer direkt die Stoffe formenden eine mehr bloß leitende wird. Das Maſchinenzeitalter
beſteht darin, daß die Kraft- und Arbeitsmaſchinen eine früher nie gekannte Verbreitung
gefunden und einem ſteigenden Teil der Arbeitsprozeſſe ihren Stempel aufgedrückt haben.

Wir ſahen, wie zur Menſchenkraft zuerſt die lenkbare Tierkraft hinzukam, wie
dann ſpäter Wind und Waſſer als leicht faßbare mechaniſche Kräfte roh ausgenützt
wurden. Erſt ſeit hundert Jahren wurden ſie recht bemeiſtert und die ſchwer faßbaren
und lenkbaren, aber viel wirkſameren mechaniſchen Kräfte Dampf und Elektricität hinzu-
gefügt. Wir können uns durch ihre Summierung in der Einheit von Pferde- oder
Menſchenkräften eine rohe Vorſtellung davon machen, wie ſie das wirtſchaftliche Leben
gefördert haben. Wir benützen als Beiſpiel das heutige Deutſchland. Seinen 26 Mill.
arbeitskräftiger Menſchen wird eine Pferde- und Rindviehkraft von etwa gleicher
mechaniſcher Leiſtungsfähigkeit zur Seite ſtehen; ſeine Dampfkräfte werden (nach den
mittleren Reduktionszahlen Fairbairns eine Pferdekraft = 15 Menſchen) 114 Mill.

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[218/0234] Erſtes Buch. Land, Leute und Technik. Fläche verwendet, wie die einfache Dreifelderwirtſchaft. Die künſtliche Düngung, die Bodenmeliorationen aller Art, die Verbeſſerung der Ackerwerkzeuge, die Einführung von landwirtſchaftlichen Maſchinen, die große Verbeſſerung der Viehzucht durch rationelle Züchtung haben die Produktionskoſten an vielen Punkten vermindert, die Ernten ver- doppelt, teilweiſe vervierfacht. Die Zuſammenlegung der Grundſtücke und der Wegebau haben in gleicher Richtung gewirkt. Der Pflug iſt ſo verbeſſert, daß er bei halber Zugkraft mehr leiſtet als früher. An einzelnen Stellen hat man den Dampfpflug, neueſtens gar elektriſche Kraft angewendet. Die überall möglichen Verbeſſerungen haben bei der zähen konſervativen Art des Landmannes noch lange nicht überall Eingang und volle Wirkung erreicht, viele andere ſind nicht allerwärts anwendbar. Faſt überall aber iſt der Betrieb mehr oder weniger rationaliſiert und verbeſſert worden. Daß er aber faſt nirgends gänzlich geändert wurde, daß die Fortſchritte hier nicht wie im Verkehr und ſo vielen Gewerben eine Revolution bedeuteten, darauf kommen wir gleich. 85. Würdigung des Maſchinenzeitalters. Wenn wir die neuere weſt- europäiſche Volkswirtſchaft nach ihrer techniſchen Seite als Maſchinenzeitalter bezeichnen, ſo iſt das ein Name, der von der wichtigſten, ſichtbarſten Erſcheinung genommen iſt, das Weſen der Sache aber nicht erſchöpft. Dasſelbe liegt in der auf Naturerkenntnis geſtützten Rationaliſierung aller Wirtſchaftsprozeſſe, in der Anwendung immer vollendeterer, komplizierterer und doch in ihrem Erfolg billigerer Methoden und Arbeitsprozeſſe über- haupt, welche bei gleicher oder geringerer Kraftaufwendung doch Größeres und Beſſeres leiſten. Die Phyſiologie hat in die Raſſenverbeſſerung, die Chemie da und dort ebenſo intenſiv eingegriffen, wie die Mechanik mit ihren verbeſſerten Werkzeugen und den Maſchinen Zeit und Kraft erſpart, bisher nicht ausführbare Leiſtungen ermöglicht hat. Aber daß man möglichſt überall menſchliche Arbeit zu ſparen, ſie durch mechaniſche Kraft und die Kraftmaſchine zu erſetzen, daß man an Stelle des Werkzeugs die Arbeits- maſchine zu ſetzen ſuchte, das bildet allerdings den ſpringenden Punkt der Entwickelung, die wichtigſte Neuerung. Der Sprachgenius hat mit Recht Werkzeug und Maſchinen in Gegenſatz geſtellt. Wir verſtehen unter erſterem ein techniſches Arbeitsmittel, das den Arbeitsprozeß fördert und erleichtert, aber der Hand und dem Kopf des Arbeitenden doch Sekunde für Sekunde die Ausführung überläßt, unter der Maſchine ein techniſches Arbeitsmittel, das Naturkräfte und ein Syſtem zuſammengeſetzter feſter Körper, kombi- nierter Werkzeuge nötigt, in mechaniſcher Abfolge Bewegungen auszuführen, ſo daß dem Menſchen nur die Überwachung und allgemeine Leitung des Arbeitsprozeſſes, eine Summe kleiner, mechaniſcher Handgriffe bleibt. Die Kraftmaſchine erzeugt und reguliert die mechaniſche Kraft, die Arbeitsmaſchine läßt die ihr mitgeteilte Kraft auf den wirtſchaft- lichen Arbeitsprozeß wirken; beide gehören zuſammen. Einzelne Maſchinen, wie der Dampfhammer, ſind Kraft- und Arbeitsmaſchine zugleich. Einfachere Maſchinen gab es ſeit Jahrtauſenden, wie das Schöpf- und Waſſerrad; auch den Wagen, die Töpferſcheibe, den Pflug, die Kriegsmaſchinen der Alten, das Spinnrad hat man als Maſchinen bezeichnet. Heute gehören die Nähmaſchine und viele andere hauswirtſchaftliche Maſchinen in das Gebiet. Werkzeug und Maſchinen gehen da ineinander über, wo die Arbeit aus einer direkt die Stoffe formenden eine mehr bloß leitende wird. Das Maſchinenzeitalter beſteht darin, daß die Kraft- und Arbeitsmaſchinen eine früher nie gekannte Verbreitung gefunden und einem ſteigenden Teil der Arbeitsprozeſſe ihren Stempel aufgedrückt haben. Wir ſahen, wie zur Menſchenkraft zuerſt die lenkbare Tierkraft hinzukam, wie dann ſpäter Wind und Waſſer als leicht faßbare mechaniſche Kräfte roh ausgenützt wurden. Erſt ſeit hundert Jahren wurden ſie recht bemeiſtert und die ſchwer faßbaren und lenkbaren, aber viel wirkſameren mechaniſchen Kräfte Dampf und Elektricität hinzu- gefügt. Wir können uns durch ihre Summierung in der Einheit von Pferde- oder Menſchenkräften eine rohe Vorſtellung davon machen, wie ſie das wirtſchaftliche Leben gefördert haben. Wir benützen als Beiſpiel das heutige Deutſchland. Seinen 26 Mill. arbeitskräftiger Menſchen wird eine Pferde- und Rindviehkraft von etwa gleicher mechaniſcher Leiſtungsfähigkeit zur Seite ſtehen; ſeine Dampfkräfte werden (nach den mittleren Reduktionszahlen Fairbairns eine Pferdekraft = 15 Menſchen) 114 Mill.

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/234>, abgerufen am 30.04.2024.