Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

göttin der Griechen, ihr in das Herz gegeben, im Pal¬
laste zu bleiben. Sie hatte eben ihr Gemach verlassen
und wollte das Zimmer ihrer Schwester aufsuchen, als
sie den unerwartet daher schreitenden Helden begegnete.
Beim Anblicke der Herrlichen that sie einen lauten Schrei.
Auf ihren Ruf stürzte Chalciope mit allen ihren Diene¬
rinnen aus ihrem Gemache hervor. Auch diese Schwe¬
ster brach in einen lauten Jubelruf aus und streckte dank¬
sagend ihre Hände gen Himmel, denn sie erkannte in
vieren der jungen Helden ihre eigenen Kinder, die Söhne
des Phrixus. Diese sanken in die Arme ihrer Mutter
und lange nahm das Grüßen und Weinen kein Ende.


Medea und Aeetes .

Zuletzt kam auch Aeetes heraus mit seiner Gemahlin
Idya, denn der Jubel und die Thränen ihrer Tochter
hatten sie herausgelockt. Sogleich füllte sich der ganze
Vorhof mit Getümmel: hier waren Sklaven damit be¬
schäftigt, einen stattlichen Stier für die neuen Gäste zu
schlachten; dort spalteten andere dürres Holz für den
Herd; wieder andere wärmten Wasser in Becken am
Feuer: da war keiner, der nicht im Dienste des Königes
etwas zu thun gefunden hätte. Aber ihnen Allen unge¬
sehen schwebte hoch in der Luft der Liebesgott, zog einen
schmerzbringenden Pfeil, senkte sich mit diesem unsichtbar
zur Erde nieder, und hinter Jason zusammengekauert,
schnellte er vom gespannten Bogen das Geschoß auf die
Königstochter Medea, der bald der Pfeil, dessen Flug
Niemand und sie selbst nicht bemerkt hatte, unter der

göttin der Griechen, ihr in das Herz gegeben, im Pal¬
laſte zu bleiben. Sie hatte eben ihr Gemach verlaſſen
und wollte das Zimmer ihrer Schweſter aufſuchen, als
ſie den unerwartet daher ſchreitenden Helden begegnete.
Beim Anblicke der Herrlichen that ſie einen lauten Schrei.
Auf ihren Ruf ſtürzte Chalciope mit allen ihren Diene¬
rinnen aus ihrem Gemache hervor. Auch dieſe Schwe¬
ſter brach in einen lauten Jubelruf aus und ſtreckte dank¬
ſagend ihre Hände gen Himmel, denn ſie erkannte in
vieren der jungen Helden ihre eigenen Kinder, die Söhne
des Phrixus. Dieſe ſanken in die Arme ihrer Mutter
und lange nahm das Grüßen und Weinen kein Ende.


Medea und Aeetes .

Zuletzt kam auch Aeetes heraus mit ſeiner Gemahlin
Idya, denn der Jubel und die Thränen ihrer Tochter
hatten ſie herausgelockt. Sogleich füllte ſich der ganze
Vorhof mit Getümmel: hier waren Sklaven damit be¬
ſchäftigt, einen ſtattlichen Stier für die neuen Gäſte zu
ſchlachten; dort ſpalteten andere dürres Holz für den
Herd; wieder andere wärmten Waſſer in Becken am
Feuer: da war keiner, der nicht im Dienſte des Königes
etwas zu thun gefunden hätte. Aber ihnen Allen unge¬
ſehen ſchwebte hoch in der Luft der Liebesgott, zog einen
ſchmerzbringenden Pfeil, ſenkte ſich mit dieſem unſichtbar
zur Erde nieder, und hinter Jaſon zuſammengekauert,
ſchnellte er vom geſpannten Bogen das Geſchoß auf die
Königstochter Medea, der bald der Pfeil, deſſen Flug
Niemand und ſie ſelbſt nicht bemerkt hatte, unter der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0148" n="122"/>
göttin der Griechen, ihr in das Herz gegeben, im Pal¬<lb/>
la&#x017F;te zu bleiben. Sie hatte eben ihr Gemach verla&#x017F;&#x017F;en<lb/>
und wollte das Zimmer ihrer Schwe&#x017F;ter auf&#x017F;uchen, als<lb/>
&#x017F;ie den unerwartet daher &#x017F;chreitenden Helden begegnete.<lb/>
Beim Anblicke der Herrlichen that &#x017F;ie einen lauten Schrei.<lb/>
Auf ihren Ruf &#x017F;türzte Chalciope mit allen ihren Diene¬<lb/>
rinnen aus ihrem Gemache hervor. Auch die&#x017F;e Schwe¬<lb/>
&#x017F;ter brach in einen lauten Jubelruf aus und &#x017F;treckte dank¬<lb/>
&#x017F;agend ihre Hände gen Himmel, denn &#x017F;ie erkannte in<lb/>
vieren der jungen Helden ihre eigenen Kinder, die Söhne<lb/>
des Phrixus. Die&#x017F;e &#x017F;anken in die Arme ihrer Mutter<lb/>
und lange nahm das Grüßen und Weinen kein Ende.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          </div>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b #fr #g">Medea und Aeetes</hi> <hi rendition="#b #g">.</hi><lb/>
            </head>
            <p>Zuletzt kam auch Aeetes heraus mit &#x017F;einer Gemahlin<lb/>
Idya, denn der Jubel und die Thränen ihrer Tochter<lb/>
hatten &#x017F;ie herausgelockt. Sogleich füllte &#x017F;ich der ganze<lb/>
Vorhof mit Getümmel: hier waren Sklaven damit be¬<lb/>
&#x017F;chäftigt, einen &#x017F;tattlichen Stier für die neuen Gä&#x017F;te zu<lb/>
&#x017F;chlachten; dort &#x017F;palteten andere dürres Holz für den<lb/>
Herd; wieder andere wärmten Wa&#x017F;&#x017F;er in Becken am<lb/>
Feuer: da war keiner, der nicht im Dien&#x017F;te des Königes<lb/>
etwas zu thun gefunden hätte. Aber ihnen Allen unge¬<lb/>
&#x017F;ehen &#x017F;chwebte hoch in der Luft der Liebesgott, zog einen<lb/>
&#x017F;chmerzbringenden Pfeil, &#x017F;enkte &#x017F;ich mit die&#x017F;em un&#x017F;ichtbar<lb/>
zur Erde nieder, und hinter Ja&#x017F;on zu&#x017F;ammengekauert,<lb/>
&#x017F;chnellte er vom ge&#x017F;pannten Bogen das Ge&#x017F;choß auf die<lb/>
Königstochter Medea, der bald der Pfeil, de&#x017F;&#x017F;en Flug<lb/>
Niemand und &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t nicht bemerkt hatte, unter der<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[122/0148] göttin der Griechen, ihr in das Herz gegeben, im Pal¬ laſte zu bleiben. Sie hatte eben ihr Gemach verlaſſen und wollte das Zimmer ihrer Schweſter aufſuchen, als ſie den unerwartet daher ſchreitenden Helden begegnete. Beim Anblicke der Herrlichen that ſie einen lauten Schrei. Auf ihren Ruf ſtürzte Chalciope mit allen ihren Diene¬ rinnen aus ihrem Gemache hervor. Auch dieſe Schwe¬ ſter brach in einen lauten Jubelruf aus und ſtreckte dank¬ ſagend ihre Hände gen Himmel, denn ſie erkannte in vieren der jungen Helden ihre eigenen Kinder, die Söhne des Phrixus. Dieſe ſanken in die Arme ihrer Mutter und lange nahm das Grüßen und Weinen kein Ende. Medea und Aeetes . Zuletzt kam auch Aeetes heraus mit ſeiner Gemahlin Idya, denn der Jubel und die Thränen ihrer Tochter hatten ſie herausgelockt. Sogleich füllte ſich der ganze Vorhof mit Getümmel: hier waren Sklaven damit be¬ ſchäftigt, einen ſtattlichen Stier für die neuen Gäſte zu ſchlachten; dort ſpalteten andere dürres Holz für den Herd; wieder andere wärmten Waſſer in Becken am Feuer: da war keiner, der nicht im Dienſte des Königes etwas zu thun gefunden hätte. Aber ihnen Allen unge¬ ſehen ſchwebte hoch in der Luft der Liebesgott, zog einen ſchmerzbringenden Pfeil, ſenkte ſich mit dieſem unſichtbar zur Erde nieder, und hinter Jaſon zuſammengekauert, ſchnellte er vom geſpannten Bogen das Geſchoß auf die Königstochter Medea, der bald der Pfeil, deſſen Flug Niemand und ſie ſelbſt nicht bemerkt hatte, unter der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/148
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/148>, abgerufen am 30.04.2024.