aber Eurystheus zwei nicht gelten ließ, so mußte er sich bequemen, noch zwei weitere zu verrichten.
Einst, bei der feierlichen Vermählung Jupiters mit Juno, als alle Götter dem erhabenen Paar ihre Hochzeitgeschenke darbrachten, wollte auch Gäa, die Erde, nicht zurückbleiben; sie ließ am Westgestade des großen Weltmeeres einen ästereichen Baum voll goldener Aepfel hervorwachsen. Vier Jungfrauen, Hesperiden genannt, Töchter der Nacht, waren die Wächterinnen dieses heili¬ gen Gartens, den außerdem noch ein hundertköpfiger Drache bewachte, Ladon, ein Sprößling des Phorkys, des berühmten Vaters so vieler Ungeheuer, und der erd¬ geborenen Ceto. Kein Schlaf kam je über die Augen dieses Drachen, und ein fürchterliches Gezisch verkündete seine Nähe, denn jede seiner hundert Kehlen ließ eine andere Stimme hören. Diesem Ungeheuer, so lautete der Befehl des Eurystheus, sollte Herkules die goldenen Aepfel der Hesperiden entreißen. Der Halbgott machte sich auf den langen und abentheuervollen Weg, auf welchem er sich dem blinden Zufall überließ, denn er wußte nicht, wo die Hesperiden wohnen. Zuerst gelangte er nach Thessalien, wo der Riese Termerus hauste, der alle Reisenden, denen er begegnete, mit seinem harten Hirn¬ kasten zu Tode rannte. Aber an des göttlichen Herkules Schädel zersplitterte das Haupt des Riesen. Weiter vor¬ wärts, am Flusse Echedorus, kam dem Helden ein an¬ deres Ungethüm in den Weg, Cycnus, der Sohn des Mars und der Pyrene. Dieser, von dem Halbgotte nach den Gärten der Hesperiden befragt, forderte statt aller Antwort den Wanderer zum Zweikampf heraus, und wurde von Herkules erschlagen. Da erschien Mars, der Gott
aber Euryſtheus zwei nicht gelten ließ, ſo mußte er ſich bequemen, noch zwei weitere zu verrichten.
Einſt, bei der feierlichen Vermählung Jupiters mit Juno, als alle Götter dem erhabenen Paar ihre Hochzeitgeſchenke darbrachten, wollte auch Gäa, die Erde, nicht zurückbleiben; ſie ließ am Weſtgeſtade des großen Weltmeeres einen äſtereichen Baum voll goldener Aepfel hervorwachſen. Vier Jungfrauen, Heſperiden genannt, Töchter der Nacht, waren die Wächterinnen dieſes heili¬ gen Gartens, den außerdem noch ein hundertköpfiger Drache bewachte, Ladon, ein Sprößling des Phorkys, des berühmten Vaters ſo vieler Ungeheuer, und der erd¬ geborenen Ceto. Kein Schlaf kam je über die Augen dieſes Drachen, und ein fürchterliches Geziſch verkündete ſeine Nähe, denn jede ſeiner hundert Kehlen ließ eine andere Stimme hören. Dieſem Ungeheuer, ſo lautete der Befehl des Euryſtheus, ſollte Herkules die goldenen Aepfel der Heſperiden entreißen. Der Halbgott machte ſich auf den langen und abentheuervollen Weg, auf welchem er ſich dem blinden Zufall überließ, denn er wußte nicht, wo die Heſperiden wohnen. Zuerſt gelangte er nach Theſſalien, wo der Rieſe Termerus hauste, der alle Reiſenden, denen er begegnete, mit ſeinem harten Hirn¬ kaſten zu Tode rannte. Aber an des göttlichen Herkules Schädel zerſplitterte das Haupt des Rieſen. Weiter vor¬ wärts, am Fluſſe Echedorus, kam dem Helden ein an¬ deres Ungethüm in den Weg, Cycnus, der Sohn des Mars und der Pyrene. Dieſer, von dem Halbgotte nach den Gärten der Heſperiden befragt, forderte ſtatt aller Antwort den Wanderer zum Zweikampf heraus, und wurde von Herkules erſchlagen. Da erſchien Mars, der Gott
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0258"n="232"/>
aber Euryſtheus zwei nicht gelten ließ, ſo mußte er ſich<lb/>
bequemen, noch zwei weitere zu verrichten.</p><lb/><p>Einſt, bei der feierlichen Vermählung Jupiters<lb/>
mit Juno, als alle Götter dem erhabenen Paar ihre<lb/>
Hochzeitgeſchenke darbrachten, wollte auch <hirendition="#g">Gäa</hi>, die Erde,<lb/>
nicht zurückbleiben; ſie ließ am Weſtgeſtade des großen<lb/>
Weltmeeres einen äſtereichen Baum voll goldener Aepfel<lb/>
hervorwachſen. Vier Jungfrauen, Heſperiden genannt,<lb/>
Töchter der Nacht, waren die Wächterinnen dieſes heili¬<lb/>
gen Gartens, den außerdem noch ein hundertköpfiger<lb/>
Drache bewachte, Ladon, ein Sprößling des Phorkys,<lb/>
des berühmten Vaters ſo vieler Ungeheuer, und der erd¬<lb/>
geborenen Ceto. Kein Schlaf kam je über die Augen<lb/>
dieſes Drachen, und ein fürchterliches Geziſch verkündete<lb/>ſeine Nähe, denn jede ſeiner hundert Kehlen ließ eine<lb/>
andere Stimme hören. Dieſem Ungeheuer, ſo lautete der<lb/>
Befehl des Euryſtheus, ſollte Herkules die goldenen Aepfel<lb/>
der Heſperiden entreißen. Der Halbgott machte ſich auf<lb/>
den langen und abentheuervollen Weg, auf welchem er<lb/>ſich dem blinden Zufall überließ, denn er wußte nicht,<lb/>
wo die Heſperiden wohnen. Zuerſt gelangte er nach<lb/>
Theſſalien, wo der Rieſe <hirendition="#g">Termerus</hi> hauste, der alle<lb/>
Reiſenden, denen er begegnete, mit ſeinem harten Hirn¬<lb/>
kaſten zu Tode rannte. Aber an des göttlichen Herkules<lb/>
Schädel zerſplitterte das Haupt des Rieſen. Weiter vor¬<lb/>
wärts, am Fluſſe Echedorus, kam dem Helden ein an¬<lb/>
deres Ungethüm in den Weg, Cycnus, der Sohn des<lb/>
Mars und der Pyrene. Dieſer, von dem Halbgotte nach<lb/>
den Gärten der Heſperiden befragt, forderte ſtatt aller<lb/>
Antwort den Wanderer zum Zweikampf heraus, und wurde<lb/>
von Herkules erſchlagen. Da erſchien Mars, der Gott<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[232/0258]
aber Euryſtheus zwei nicht gelten ließ, ſo mußte er ſich
bequemen, noch zwei weitere zu verrichten.
Einſt, bei der feierlichen Vermählung Jupiters
mit Juno, als alle Götter dem erhabenen Paar ihre
Hochzeitgeſchenke darbrachten, wollte auch Gäa, die Erde,
nicht zurückbleiben; ſie ließ am Weſtgeſtade des großen
Weltmeeres einen äſtereichen Baum voll goldener Aepfel
hervorwachſen. Vier Jungfrauen, Heſperiden genannt,
Töchter der Nacht, waren die Wächterinnen dieſes heili¬
gen Gartens, den außerdem noch ein hundertköpfiger
Drache bewachte, Ladon, ein Sprößling des Phorkys,
des berühmten Vaters ſo vieler Ungeheuer, und der erd¬
geborenen Ceto. Kein Schlaf kam je über die Augen
dieſes Drachen, und ein fürchterliches Geziſch verkündete
ſeine Nähe, denn jede ſeiner hundert Kehlen ließ eine
andere Stimme hören. Dieſem Ungeheuer, ſo lautete der
Befehl des Euryſtheus, ſollte Herkules die goldenen Aepfel
der Heſperiden entreißen. Der Halbgott machte ſich auf
den langen und abentheuervollen Weg, auf welchem er
ſich dem blinden Zufall überließ, denn er wußte nicht,
wo die Heſperiden wohnen. Zuerſt gelangte er nach
Theſſalien, wo der Rieſe Termerus hauste, der alle
Reiſenden, denen er begegnete, mit ſeinem harten Hirn¬
kaſten zu Tode rannte. Aber an des göttlichen Herkules
Schädel zerſplitterte das Haupt des Rieſen. Weiter vor¬
wärts, am Fluſſe Echedorus, kam dem Helden ein an¬
deres Ungethüm in den Weg, Cycnus, der Sohn des
Mars und der Pyrene. Dieſer, von dem Halbgotte nach
den Gärten der Heſperiden befragt, forderte ſtatt aller
Antwort den Wanderer zum Zweikampf heraus, und wurde
von Herkules erſchlagen. Da erſchien Mars, der Gott
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/258>, abgerufen am 01.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.