Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

ten seines Hauses gereist war. Die Dame, eine Frau
von Rosenthal, deren Mann östreichischer Offizier
war, ging ganz allein mit ihrem Kinde, einem schö¬
nen sehr lieblichen Knaben von ungefähr anderthalb
Jahr, nach Venedig, um dort ihren Mann zu erwar¬
ten, der in Livorno und anderwärts noch Dienstge¬
schäfte hatte. Da der Junge ein überkomplettes Per¬
sönchen im Wagen und doch so allerliebst war, machte
er die Ronde von der Mutter zu uns allen. Die Ge¬
sellschaft lachte über meine grämliche Personalität mit
dem Kleinen auf dem Arm, und ich kam mir wirk¬
lich selbst vor wie der Silen im Kabinett Borghese mit
dem jungen Bacchus. Die Leutchen mussten das nehm¬
liche meinen; denn die Gruppierung fand Beyfall und
der Junge war gern bey mir.

Der Berg von Florenz aus ist ein wahrer Garten
bis fast auf die grösste Höhe. Du kannst denken, dass
ich viel zu Fusse ging; der Franzose leistete mir dann
zuweilen Gesellschaft. Der Schweizer mit dem gro¬
sen Säbel kam selten aus dem Wagen. Etwas unhei¬
misch machen es oben auf dem Bergrücken die vielen
Kreuze, welche bedeuten, dass man hier jemand todt
geschlagen hat, weil man gewöhnlich auf die Gräber
Kreuze setzt. Die Römer sind in diesem Falle etwas
weniger fromm und politischer, und setzen nichts dar¬
auf; denn sonst würde der ganze Weg bey ihnen eine
Allee von Kreuzen seyn. Ich muss Dir bekennen,
dass ich von dem Kreuze gar nicht viel halte. Wa¬
rum nimmt man nicht etwas besseres aus der Bibel?
Das Emblem scheint von der geistlichen und weltli¬
chen Despotie in Gemeinschaft erfunden zu seyn, um

ten seines Hauses gereist war. Die Dame, eine Frau
von Rosenthal, deren Mann östreichischer Offizier
war, ging ganz allein mit ihrem Kinde, einem schö¬
nen sehr lieblichen Knaben von ungefähr anderthalb
Jahr, nach Venedig, um dort ihren Mann zu erwar¬
ten, der in Livorno und anderwärts noch Dienstge¬
schäfte hatte. Da der Junge ein überkomplettes Per¬
sönchen im Wagen und doch so allerliebst war, machte
er die Ronde von der Mutter zu uns allen. Die Ge¬
sellschaft lachte über meine grämliche Personalität mit
dem Kleinen auf dem Arm, und ich kam mir wirk¬
lich selbst vor wie der Silen im Kabinett Borghese mit
dem jungen Bacchus. Die Leutchen muſsten das nehm¬
liche meinen; denn die Gruppierung fand Beyfall und
der Junge war gern bey mir.

Der Berg von Florenz aus ist ein wahrer Garten
bis fast auf die gröſste Höhe. Du kannst denken, daſs
ich viel zu Fuſse ging; der Franzose leistete mir dann
zuweilen Gesellschaft. Der Schweizer mit dem gro¬
sen Säbel kam selten aus dem Wagen. Etwas unhei¬
misch machen es oben auf dem Bergrücken die vielen
Kreuze, welche bedeuten, daſs man hier jemand todt
geschlagen hat, weil man gewöhnlich auf die Gräber
Kreuze setzt. Die Römer sind in diesem Falle etwas
weniger fromm und politischer, und setzen nichts dar¬
auf; denn sonst würde der ganze Weg bey ihnen eine
Allee von Kreuzen seyn. Ich muſs Dir bekennen,
daſs ich von dem Kreuze gar nicht viel halte. Wa¬
rum nimmt man nicht etwas besseres aus der Bibel?
Das Emblem scheint von der geistlichen und weltli¬
chen Despotie in Gemeinschaft erfunden zu seyn, um

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0423" n="395 "/>
ten seines Hauses gereist war. Die Dame, eine Frau<lb/>
von Rosenthal, deren Mann östreichischer Offizier<lb/>
war, ging ganz allein mit ihrem Kinde, einem schö¬<lb/>
nen sehr lieblichen Knaben von ungefähr anderthalb<lb/>
Jahr, nach Venedig, um dort ihren Mann zu erwar¬<lb/>
ten, der in Livorno und anderwärts noch Dienstge¬<lb/>
schäfte hatte. Da der Junge ein überkomplettes Per¬<lb/>
sönchen im Wagen und doch so allerliebst war, machte<lb/>
er die Ronde von der Mutter zu uns allen. Die Ge¬<lb/>
sellschaft lachte über meine grämliche Personalität mit<lb/>
dem Kleinen auf dem Arm, und ich kam mir wirk¬<lb/>
lich selbst vor wie der Silen im Kabinett Borghese mit<lb/>
dem jungen Bacchus. Die Leutchen mu&#x017F;sten das nehm¬<lb/>
liche meinen; denn die Gruppierung fand Beyfall und<lb/>
der Junge war gern bey mir.</p><lb/>
        <p>Der Berg von Florenz aus ist ein wahrer Garten<lb/>
bis fast auf die grö&#x017F;ste Höhe. Du kannst denken, da&#x017F;s<lb/>
ich viel zu Fu&#x017F;se ging; der Franzose leistete mir dann<lb/>
zuweilen Gesellschaft. Der Schweizer mit dem gro¬<lb/>
sen Säbel kam selten aus dem Wagen. Etwas unhei¬<lb/>
misch machen es oben auf dem Bergrücken die vielen<lb/>
Kreuze, welche bedeuten, da&#x017F;s man hier jemand todt<lb/>
geschlagen hat, weil man gewöhnlich auf die Gräber<lb/>
Kreuze setzt. Die Römer sind in diesem Falle etwas<lb/>
weniger fromm und politischer, und setzen nichts dar¬<lb/>
auf; denn sonst würde der ganze Weg bey ihnen eine<lb/>
Allee von Kreuzen seyn. Ich mu&#x017F;s Dir bekennen,<lb/>
da&#x017F;s ich von dem Kreuze gar nicht viel halte. Wa¬<lb/>
rum nimmt man nicht etwas besseres aus der Bibel?<lb/>
Das Emblem scheint von der geistlichen und weltli¬<lb/>
chen Despotie in Gemeinschaft erfunden zu seyn, um<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[395 /0423] ten seines Hauses gereist war. Die Dame, eine Frau von Rosenthal, deren Mann östreichischer Offizier war, ging ganz allein mit ihrem Kinde, einem schö¬ nen sehr lieblichen Knaben von ungefähr anderthalb Jahr, nach Venedig, um dort ihren Mann zu erwar¬ ten, der in Livorno und anderwärts noch Dienstge¬ schäfte hatte. Da der Junge ein überkomplettes Per¬ sönchen im Wagen und doch so allerliebst war, machte er die Ronde von der Mutter zu uns allen. Die Ge¬ sellschaft lachte über meine grämliche Personalität mit dem Kleinen auf dem Arm, und ich kam mir wirk¬ lich selbst vor wie der Silen im Kabinett Borghese mit dem jungen Bacchus. Die Leutchen muſsten das nehm¬ liche meinen; denn die Gruppierung fand Beyfall und der Junge war gern bey mir. Der Berg von Florenz aus ist ein wahrer Garten bis fast auf die gröſste Höhe. Du kannst denken, daſs ich viel zu Fuſse ging; der Franzose leistete mir dann zuweilen Gesellschaft. Der Schweizer mit dem gro¬ sen Säbel kam selten aus dem Wagen. Etwas unhei¬ misch machen es oben auf dem Bergrücken die vielen Kreuze, welche bedeuten, daſs man hier jemand todt geschlagen hat, weil man gewöhnlich auf die Gräber Kreuze setzt. Die Römer sind in diesem Falle etwas weniger fromm und politischer, und setzen nichts dar¬ auf; denn sonst würde der ganze Weg bey ihnen eine Allee von Kreuzen seyn. Ich muſs Dir bekennen, daſs ich von dem Kreuze gar nicht viel halte. Wa¬ rum nimmt man nicht etwas besseres aus der Bibel? Das Emblem scheint von der geistlichen und weltli¬ chen Despotie in Gemeinschaft erfunden zu seyn, um

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/423
Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 395 . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/423>, abgerufen am 30.04.2024.