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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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Er erzählte, als ob das so seyn müsste, eine Men¬
ge heilige Schnurren seiner Jugend, die sogar in sei¬
nem eigenen Munde zwar unterhaltend aber eben nicht
salbungsreich waren. So war er bey Sens einmal als
falscher Bischof gereist und hatte falsche Offizialien ge¬
halten, und man hatte sich fast todt gelacht als er den
Spass entdeckte. Ein andermal hatte er einst als Chor¬
schüler gesehen, dass ein Bauer seinem Beichtvater ei¬
nen grossen schönen Karpfen brachte und ihn unter¬
dessen in den Weihkessel setzte. Schnell stahl ihn der
Hecht mit seinen Gesellen zum Frühstück, und hatte
seine grosse Freude, als der absolvierte Bauer kam und
in und unter dem Weihkessel umsonst den eingesetz¬
ten Karpfen suchte, um ihn nun in die Küche des
geistlichen Herrn abzuliefern. Dergleichen Schnurren
hatte er zu Dutzenden, und erzählte sie besser als ich.
Noch eine Drolerie zeichnete sich aus, aus der alten
französischen Geschichte. Es lebte unweit Sens ein
Kanzler von Frankreich auf seinen Gütern und war
als sehr guter Haushalter bekannt. Einst kommt ein
Bauer von seinem Gute in die Beichte und beichtet,
er habe dem Kanzler die Perücke gekämmt. Nun,
seyd Ihr denn sein Peruckenmacher? fragte der Beicht¬
vater. -- Nein; ich habe sie ihm nur so gekämmt. --
Das sind Possen; die könnt ihr künftig bleiben lassen:
was gehn Euch des Kanzlers Perücken an. -- Dieser
geht mit der Absolution fort und ein anderer kommt
und beichtet, er habe dem Kanzler die Perücke ge¬
kämmt. Die nehmliche Sünde, der nehmliche Ver¬
weis, die nehmliche Vergebung: da kommt ein dritter
mit der nehmlichen Beichte. Das fällt dem geistlichen

Er erzählte, als ob das so seyn müſste, eine Men¬
ge heilige Schnurren seiner Jugend, die sogar in sei¬
nem eigenen Munde zwar unterhaltend aber eben nicht
salbungsreich waren. So war er bey Sens einmal als
falscher Bischof gereist und hatte falsche Offizialien ge¬
halten, und man hatte sich fast todt gelacht als er den
Spaſs entdeckte. Ein andermal hatte er einst als Chor¬
schüler gesehen, daſs ein Bauer seinem Beichtvater ei¬
nen groſsen schönen Karpfen brachte und ihn unter¬
dessen in den Weihkessel setzte. Schnell stahl ihn der
Hecht mit seinen Gesellen zum Frühstück, und hatte
seine groſse Freude, als der absolvierte Bauer kam und
in und unter dem Weihkessel umsonst den eingesetz¬
ten Karpfen suchte, um ihn nun in die Küche des
geistlichen Herrn abzuliefern. Dergleichen Schnurren
hatte er zu Dutzenden, und erzählte sie besser als ich.
Noch eine Drolerie zeichnete sich aus, aus der alten
französischen Geschichte. Es lebte unweit Sens ein
Kanzler von Frankreich auf seinen Gütern und war
als sehr guter Haushalter bekannt. Einst kommt ein
Bauer von seinem Gute in die Beichte und beichtet,
er habe dem Kanzler die Perücke gekämmt. Nun,
seyd Ihr denn sein Peruckenmacher? fragte der Beicht¬
vater. — Nein; ich habe sie ihm nur so gekämmt. —
Das sind Possen; die könnt ihr künftig bleiben lassen:
was gehn Euch des Kanzlers Perücken an. — Dieser
geht mit der Absolution fort und ein anderer kommt
und beichtet, er habe dem Kanzler die Perücke ge¬
kämmt. Die nehmliche Sünde, der nehmliche Ver¬
weis, die nehmliche Vergebung: da kommt ein dritter
mit der nehmlichen Beichte. Das fällt dem geistlichen

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[442 /0470] Er erzählte, als ob das so seyn müſste, eine Men¬ ge heilige Schnurren seiner Jugend, die sogar in sei¬ nem eigenen Munde zwar unterhaltend aber eben nicht salbungsreich waren. So war er bey Sens einmal als falscher Bischof gereist und hatte falsche Offizialien ge¬ halten, und man hatte sich fast todt gelacht als er den Spaſs entdeckte. Ein andermal hatte er einst als Chor¬ schüler gesehen, daſs ein Bauer seinem Beichtvater ei¬ nen groſsen schönen Karpfen brachte und ihn unter¬ dessen in den Weihkessel setzte. Schnell stahl ihn der Hecht mit seinen Gesellen zum Frühstück, und hatte seine groſse Freude, als der absolvierte Bauer kam und in und unter dem Weihkessel umsonst den eingesetz¬ ten Karpfen suchte, um ihn nun in die Küche des geistlichen Herrn abzuliefern. Dergleichen Schnurren hatte er zu Dutzenden, und erzählte sie besser als ich. Noch eine Drolerie zeichnete sich aus, aus der alten französischen Geschichte. Es lebte unweit Sens ein Kanzler von Frankreich auf seinen Gütern und war als sehr guter Haushalter bekannt. Einst kommt ein Bauer von seinem Gute in die Beichte und beichtet, er habe dem Kanzler die Perücke gekämmt. Nun, seyd Ihr denn sein Peruckenmacher? fragte der Beicht¬ vater. — Nein; ich habe sie ihm nur so gekämmt. — Das sind Possen; die könnt ihr künftig bleiben lassen: was gehn Euch des Kanzlers Perücken an. — Dieser geht mit der Absolution fort und ein anderer kommt und beichtet, er habe dem Kanzler die Perücke ge¬ kämmt. Die nehmliche Sünde, der nehmliche Ver¬ weis, die nehmliche Vergebung: da kommt ein dritter mit der nehmlichen Beichte. Das fällt dem geistlichen

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 442 . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/470>, abgerufen am 30.04.2024.