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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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geben. Wie sich das Beharren über jede noch so weite Zeitstrecke
hinaus steigern lässt, bis in der ewigen Gültigkeit des Naturgesetzes
oder der mathematischen Formel jede Beziehung auf einen bestimmten
Zeitmoment schlechthin ausgelöscht ist: so lässt sich die Veränderung
und Bewegung als eine so absolute denken, dass überhaupt ein be-
stimmtes Zeitmass derselben nicht mehr besteht; geht alle Bewegung
zwischen einem Hier und einem Dort vor sich, so ist bei dieser ab-
soluten Veränderung -- der species aeternitatis mit umgekehrtem
Vorzeichen -- das Hier vollkommen verschwunden. Haben jene
zeitlosen Objekte ihre Gültigkeit in der Form des Beharrens, so
diese in der Form des Übergangs, der Nicht-Dauer. Es ist mir
nun kein Zweifel, dass auch dieses Gegensatzpaar weit genug ist,
um ein Weltbild darein zu fassen. Wenn man, einerseits, alle Ge-
setze kennte, die die Wirklichkeit beherrschen, so würde diese
letztere durch den Komplex jener thatsächlich auf ihren absoluten
Gehalt, ihre zeitlos ewige Bedeutung zurückgeführt sein -- wenngleich
sich die Wirklichkeit selbst daraus noch nicht konstruieren liesse, weil
das Gesetz als solches, seinem ideellen Inhalt nach, sich gegen jeden
einzelnen Fall seiner Verwirklichung ganz gleichgültig verhält. Grade
weil aber der Inhalt der Wirklichkeit restlos in den Gesetzen auf-
geht, die unaufhörlich Wirkungen aus Ursachen hervortreiben und,
was soeben Wirkung war, im gleichen Augenblick schon als Ursache
wirken lassen -- grade deshalb kann man nun, andrerseits, die
Wirklichkeit, die konkrete, historische, erfahrbare Erscheinung der
Welt in jenem absoluten Flusse erblicken, auf den Heraklits sym-
bolische Äusserungen hindeuten. Bringt man das Weltbild auf diesen
Gegensatz, so ist alles überhaupt Dauernde, über den Moment Hinaus-
weisende aus der Wirklichkeit herausgezogen und in jenem ideellen
Reich der blossen Gesetze gesammelt; in der Wirklichkeit selbst
dauern die Dinge überhaupt keine Zeit, durch die Rastlosigkeit, mit
der sie sich in jedem Moment der Anwendung eines Gesetzes darbieten,
wird jede Form schon im Augenblick ihres Entstehens wieder auf-
gelöst, sie lebt sozusagen nur in ihrem Zerstörtwerden, jede Verfestigung
ihrer zu dauernden -- wenn auch noch so kurz dauernden -- Dingen
ist eine unvollkommene Auffassung, die den Bewegungen der Wirklich-
keit nicht in deren eigenem Tempo zu folgen vermag. So ist es das
schlechthin Dauernde und das schlechthin Nicht-Dauernde, in die und
deren Einheit das Ganze des Seins ohne Rest aufgeht.

Für den absoluten Bewegungscharakter der Welt nun giebt es
sicher kein deutlicheres Symbol als das Geld. Die Bedeutung des
Geldes liegt darin, dass es fortgegeben wird; sobald es ruht, ist es

geben. Wie sich das Beharren über jede noch so weite Zeitstrecke
hinaus steigern läſst, bis in der ewigen Gültigkeit des Naturgesetzes
oder der mathematischen Formel jede Beziehung auf einen bestimmten
Zeitmoment schlechthin ausgelöscht ist: so läſst sich die Veränderung
und Bewegung als eine so absolute denken, daſs überhaupt ein be-
stimmtes Zeitmaſs derselben nicht mehr besteht; geht alle Bewegung
zwischen einem Hier und einem Dort vor sich, so ist bei dieser ab-
soluten Veränderung — der species aeternitatis mit umgekehrtem
Vorzeichen — das Hier vollkommen verschwunden. Haben jene
zeitlosen Objekte ihre Gültigkeit in der Form des Beharrens, so
diese in der Form des Übergangs, der Nicht-Dauer. Es ist mir
nun kein Zweifel, daſs auch dieses Gegensatzpaar weit genug ist,
um ein Weltbild darein zu fassen. Wenn man, einerseits, alle Ge-
setze kennte, die die Wirklichkeit beherrschen, so würde diese
letztere durch den Komplex jener thatsächlich auf ihren absoluten
Gehalt, ihre zeitlos ewige Bedeutung zurückgeführt sein — wenngleich
sich die Wirklichkeit selbst daraus noch nicht konstruieren lieſse, weil
das Gesetz als solches, seinem ideellen Inhalt nach, sich gegen jeden
einzelnen Fall seiner Verwirklichung ganz gleichgültig verhält. Grade
weil aber der Inhalt der Wirklichkeit restlos in den Gesetzen auf-
geht, die unaufhörlich Wirkungen aus Ursachen hervortreiben und,
was soeben Wirkung war, im gleichen Augenblick schon als Ursache
wirken lassen — grade deshalb kann man nun, andrerseits, die
Wirklichkeit, die konkrete, historische, erfahrbare Erscheinung der
Welt in jenem absoluten Flusse erblicken, auf den Heraklits sym-
bolische Äuſserungen hindeuten. Bringt man das Weltbild auf diesen
Gegensatz, so ist alles überhaupt Dauernde, über den Moment Hinaus-
weisende aus der Wirklichkeit herausgezogen und in jenem ideellen
Reich der bloſsen Gesetze gesammelt; in der Wirklichkeit selbst
dauern die Dinge überhaupt keine Zeit, durch die Rastlosigkeit, mit
der sie sich in jedem Moment der Anwendung eines Gesetzes darbieten,
wird jede Form schon im Augenblick ihres Entstehens wieder auf-
gelöst, sie lebt sozusagen nur in ihrem Zerstörtwerden, jede Verfestigung
ihrer zu dauernden — wenn auch noch so kurz dauernden — Dingen
ist eine unvollkommene Auffassung, die den Bewegungen der Wirklich-
keit nicht in deren eigenem Tempo zu folgen vermag. So ist es das
schlechthin Dauernde und das schlechthin Nicht-Dauernde, in die und
deren Einheit das Ganze des Seins ohne Rest aufgeht.

Für den absoluten Bewegungscharakter der Welt nun giebt es
sicher kein deutlicheres Symbol als das Geld. Die Bedeutung des
Geldes liegt darin, daſs es fortgegeben wird; sobald es ruht, ist es

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[552/0576] geben. Wie sich das Beharren über jede noch so weite Zeitstrecke hinaus steigern läſst, bis in der ewigen Gültigkeit des Naturgesetzes oder der mathematischen Formel jede Beziehung auf einen bestimmten Zeitmoment schlechthin ausgelöscht ist: so läſst sich die Veränderung und Bewegung als eine so absolute denken, daſs überhaupt ein be- stimmtes Zeitmaſs derselben nicht mehr besteht; geht alle Bewegung zwischen einem Hier und einem Dort vor sich, so ist bei dieser ab- soluten Veränderung — der species aeternitatis mit umgekehrtem Vorzeichen — das Hier vollkommen verschwunden. Haben jene zeitlosen Objekte ihre Gültigkeit in der Form des Beharrens, so diese in der Form des Übergangs, der Nicht-Dauer. Es ist mir nun kein Zweifel, daſs auch dieses Gegensatzpaar weit genug ist, um ein Weltbild darein zu fassen. Wenn man, einerseits, alle Ge- setze kennte, die die Wirklichkeit beherrschen, so würde diese letztere durch den Komplex jener thatsächlich auf ihren absoluten Gehalt, ihre zeitlos ewige Bedeutung zurückgeführt sein — wenngleich sich die Wirklichkeit selbst daraus noch nicht konstruieren lieſse, weil das Gesetz als solches, seinem ideellen Inhalt nach, sich gegen jeden einzelnen Fall seiner Verwirklichung ganz gleichgültig verhält. Grade weil aber der Inhalt der Wirklichkeit restlos in den Gesetzen auf- geht, die unaufhörlich Wirkungen aus Ursachen hervortreiben und, was soeben Wirkung war, im gleichen Augenblick schon als Ursache wirken lassen — grade deshalb kann man nun, andrerseits, die Wirklichkeit, die konkrete, historische, erfahrbare Erscheinung der Welt in jenem absoluten Flusse erblicken, auf den Heraklits sym- bolische Äuſserungen hindeuten. Bringt man das Weltbild auf diesen Gegensatz, so ist alles überhaupt Dauernde, über den Moment Hinaus- weisende aus der Wirklichkeit herausgezogen und in jenem ideellen Reich der bloſsen Gesetze gesammelt; in der Wirklichkeit selbst dauern die Dinge überhaupt keine Zeit, durch die Rastlosigkeit, mit der sie sich in jedem Moment der Anwendung eines Gesetzes darbieten, wird jede Form schon im Augenblick ihres Entstehens wieder auf- gelöst, sie lebt sozusagen nur in ihrem Zerstörtwerden, jede Verfestigung ihrer zu dauernden — wenn auch noch so kurz dauernden — Dingen ist eine unvollkommene Auffassung, die den Bewegungen der Wirklich- keit nicht in deren eigenem Tempo zu folgen vermag. So ist es das schlechthin Dauernde und das schlechthin Nicht-Dauernde, in die und deren Einheit das Ganze des Seins ohne Rest aufgeht. Für den absoluten Bewegungscharakter der Welt nun giebt es sicher kein deutlicheres Symbol als das Geld. Die Bedeutung des Geldes liegt darin, daſs es fortgegeben wird; sobald es ruht, ist es

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 552. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/576>, abgerufen am 30.04.2024.